Kategorie: Kriminalroman

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ März 2022

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ März 2022

Hörbuch-Kurzrezensionen Anfang März 2022

 

Henri Faber | Ausweglos ♬

Elias Blom von der Kripo Hamburg war vor einigen Jahren daran gescheitert, einen brutalen Serienmörder, in der Öffentlichkeit als Ringfinger-Mörder bekannt, zur Strecke zu bringen und wurde ins Einbruchdezernat versetzt. Doch er sieht eine neue Chance, sich zu rehabilitieren, als jetzt erneut eine Bluttat geschieht, die die Handschrift des Killers einschließlich abgetrennten Fingers trägt. Denn diesmal gibt es einen wichtigen Zeugen. Noah Klingberg hatte Wäsche auf dem Dachboden eines Mehrfamilienhauses auf gehangen, als er mit einem Messer attackiert und gezwungen wurde, den Unbekannten zu seiner Frau Linda zu bringen. Noah sieht einen Ausweg und lotst den Angreifer in die Nachbarwohnung, zu der er einen Zweitschlüssel besitzt und in der er das Ehepaar Falk im Urlaub wähnt. Am anderen Morgen wacht er schwer verletzt neben der toten Nachbarin Emma Falk auf.

Henri Faber hat mit seinem Debüt einen fesselnden Thriller geschaffen, der mit relativ kurzen Kapiteln und wechselnden Perspektiven von Beginn an spannend ist und sich im weiteren Verlauf zu einem Verwirrspiel der verschiedenen Charaktere wandelt. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind die Figuren, die wir durch vier versierte Sprecher mit ihren Geheimnissen, Schwächen und Stärken kennenlernen. Besonders durch das Eintauchen in die Privatleben der Ehepaare Klingberg und Falk wird die Geschichte immer undurchsichtiger. Wir erfahren die Zusammenhänge aus der Sicht von Noah, einem erfolglosen Schriftsteller, der alles für seine Frau tun würde. Linda leidet aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches unter psychischen Problemen und dann ist da noch Elias Blom, der verbissene Kommissar, dessen Charakterisierung ich etwas blass fand. Zwischendurch nimmt uns auch immer wieder der Serienmörder mit in seine krude Gedankenwelt.

Der Autor schafft es gekonnt einen an der Nase herum zu führen und bietet eine Bandbreite an vermuteten Tatabläufen, falschen Geständnissen sowie ungeahnten Wendungen. Die Auflösung ist in keiner Weise vorhersehbar und birgt einen dramatischen wenn auch durch den Alleingang Bloms reichlich unrealistischen Showdown und ein abstruses Ende.

 

Ausweglos | Als Hörbuch am 20. August 2021 im Der Audio Verlag erschienen
ISBN 978-3-7424-2084-8
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Simon Jäger, Vera Teltz, Philipp Schepmann und Uve Teschner
Laufzeit: 12 Stunden, 45 Minuten | 14,99 Euro
Weitere Angaben und Hörprobe
Die Printausgabe erschien bei dtv Verlagsgesellschaft.

Wertung: 3,0 von 5
Genre: Psychothriller

 

 

Agatha Christie | Tod auf dem Nil ♬

Im Kino läuft gerade die Neuverfilmung von „Tod auf dem Nil“ mit Kenneth Branagh. Das hat mich auf den Geschmack gebracht und ich habe mir den Klassiker sowie eines der bekanntesten Werke der britischen Autorin bei Audible als Hörbuch runtergeladen.

Während seines Urlaubes in Ägypten lernt der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot auf einem Nilkreuzfahrtschiff ein jung verheiratetes Paar kennen. Die bildschöne Millionenerbin Linnet Ridgeway und ihr Ehemann Simon Doyle können ihre Hochzeitsreise auf der „Karnak“ aber nicht wirklich genießen. Linnets beste Freundin Jacqueline de Bellefort, die vorher mit dem mittellosen Doyle verlobt war und die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, verfolgt sie rachedurstig überall hin und macht ihnen die Flitterwochen zur Hölle. Heute würde man das Stalking nennen. Linnets Ermordung bringt schließlich die Krimihandlung ins Rollen. Da es nicht bei der einen Toten bleibt, ist der Spürsinn des klugen wie auch eitlen Detektivs mit dem imposanten Moustache gefragt und er steht vor der intellektuellen Herausforderung, den Tathergang penibel zu rekonstruieren. Als Poirot die anderen Passagiere des Nildampfers befragt und nach möglichen Mord-Motiven durchleuchtet (kleiner Spoiler: Sie haben fast alle eins) muss er mit Hilfe seiner genialen Kombinationsgabe die perfekten Alibis zerpflücken und den Mörder trotz vieler falscher Fährten nur aufgrund von Indizien entlarven.

Es handelt sich um einen klassischen Whodunit, dessen Handlung sich auch typisch für Christie in einem isolierten Raum vor exotischer Kulisse abspielt. Der wendungsreiche Krimi-Plot lebt von seinen pointierten Dialogen und einem bissigen Blick auf die damalige bessere Gesellschaft. Die vielen überspitzt dargestellten Charaktere werden mit viel Liebe zum Detail ins Bild gesetzt und dank eines auktorialen Erzählers erfahren wir alles über ihre Beweg- und Hintergründe. Dem Charme dieses fintenreichen Rätselkrimis, bei dem auch die Wirtschaftskrise und der Börsencrash eine Rolle spielen, konnte ich mich nicht entziehen. Die Lösung ist überraschend und immer wieder faszinierend, wie auf den ersten Blick unscheinbare Details im Rückblick eine wichtige Bedeutung erlangen.

 

Tod auf dem Nil | Erschienen am 16.11.2018 im Der Hörverlag
ISBN: 978-3-8445-3279-1
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Martin Maria Schwarz
Laufzeit: 9 Stunden 42 Minuten | 7,95 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Originaltitel: Death on the Nile (Übersetzt aus dem Englischen von Pieke Biermann)
Die aktuelle Printausgabe erschien im Atlantik Verlag.

Wertung: 4,5 von 5
Genre: Krimi

 

Agatha Christie | Mord im Orient-Express ♬

An einem kalten Wintertag steigt der Privatdetektiv Hercule Poirot in Istanbul in einen Luxuszug, der ihn nach London bringen soll. Der Orientexpress ist für die Jahreszeit überraschend voll besetzt, nur durch seine Beziehung zu dem ebenfalls mitreisenden Eisenbahn-Direktor Monsieur Bouc bekommt er noch ein freies Abteil. Nach einer unruhigen Nacht bleibt der Zug in einer Schneewehe stecken und im Nachbarabteil wird der amerikanische Geschäftsmann Samuel Edward Ratchett durch 12 Messerstiche erstochen aufgefunden. Zur Unbeweglichkeit verdammt sitzen der Detektiv und die Mitreisenden fest und Monsieur Bouc bittet den Meisterdetektiv den Fall aufzuklären. Das stellt Poirot vor einige Herausforderungen, hatte doch der mysteriöse Mr. Ratchett ihn am Tag davor im Speisewagen von Morddrohungen berichtet und um Schutz gebeten. Der Täter kann nur einer der Passagiere sein und es stellt sich heraus, dass nicht alle (Ratchett eingeschlossen) die sind, für die sie sich ausgeben.

Ich habe zum ersten Mal die Geschwindigkeit des Hörbuchs etwas erhöht und dann bot der Krimiklassiker großes Unterhaltungspotential mit allem, wofür die Queen of Crime bewundert wird: Ein großes Figurenensemble unterschiedlicher Couleur, ein exotisches Setting, falsche Alibis, zahlreiche Verdächtige sowie die Suche nach dem Motiv. Durch den geschlossenen Raum erleben wir fast ein Kammerspiel mit einem Meisterdetektiv, dessen kleine, graue Zellen auf Hochtouren arbeiten. Dialoge, die nur so vor Schlagkraft und zynischem Wortwitz strotzen. Dazu sieht sich Poirot diesmal, dem ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Halt und Ordnung innewohnt, mit Fragen der Moral und Ethik konfrontiert. Der Mordfall ist vertrackt, das ausgeklügelte Ende wirklich erstaunlich und hat nach all den Jahren nichts von seinem Charme verloren. Auch dieser Roman wurde von und mit Kenneth Branagh neu verfilmt.

 

Mord im Orientexpress | Erschienen am 12.05.2014 in Der Hörverlag
ISBN: 978-3-8445-1482-7
ungekürzte Lesung | Sprecher: Friedhelm Ptok
Laufzeit: 7 Stunden 28 Minuten | 6,95 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Originaltitel: Murder on the Orient Express (aus dem Engischen übersetzt von Otto Bayer)
Die aktuelle Printausgabe erschien im Atlantik Verlag.

Wertung: 5 von 5
Genre: Krimi

 

Fotos und Rezensionen von Andy Ruhr.

Mechtild Borrmann | Wer das Schweigen bricht

Mechtild Borrmann | Wer das Schweigen bricht

Es war einfach eine Dummheit gewesen. Seine ganze Neugierde auf diese Therese Peters war eine sentimentale Albernheit, die er sich jetzt nicht mehr erklären konnte. Unkritisch hatte er es für einen glücklichen Zufall gehalten, auf eine Journalisti zu treffen, und jetzt konnte man sie nicht mehr aufhalten. Er fühlte sich wie ein Verräter. Was würde diese Frau noch alles zutage fördern? Er nahm einen Schluck von dem Cognac. (Auszug S.52)

Robert Lubisch durchforscht den Nachlass seines vor Kurzem verstorbenen Vaters Friedhelm und findet dort den SS-Ausweis eines gewissen Wilhelm Peters sowie das Foto einer jungen Frau. Lubischs Interesse ist geweckt, sein Vater war ein strenger Patriarch und das Verhältnis war eher getrübt. Gibt es ein ungewöhnliches Geheimnis im Leben des so strebsamen Friedhelm Lubisch, der in den Nachkriegsjahren ein Firmenimperium aufgebaut hat? Robert Lubisch folgt einer Spur ins niederrheinische Kranenburg und findet heraus, dass die Frau auf dem Bild Therese Pohl, später Therese Peters war. Im ehemaligen Wohnhaus von Therese wohnt inzwischen die Journalistin Rita Albers, die ein paar Nachforschungen anstellt. Vor Ort will niemand viel sagen, Therese Peters ist irgendwann 1950 aus Kranenburg verschwunden, kurz nachdem ihr Mann vermisst gemeldet wurde. Albers wittert eine spannende Story und kann sogar ermitteln, wo sich Therese heute aufhält. Therese Mende ist inzwischen Erbin eines Modeimperiums und will zu den damaligen Ereignissen eigentlich nichts mehr sagen. Kurz darauf wird Rita Albers erschlagen in ihrer Küche aufgefunden.

Nun ermittelt die Polizei im Mordfall Albers. Verdächtigt wird auch Robert Lubisch, der kurz zuvor mit Albers zusammengekommen war, um sie von weiteren Ermittlungen abzuhalten. Schnell wird klar, dass die Lösung in der Vergangenheit zu finden ist. Nach und nach ergibt sich eine Geschichte von sechs jungen Menschen, die im Sommer 1939 die Schule beenden und deren enge Freundschaft aufgrund verschiedener traumatischer Ereignisse nach und nach zerbricht. Diese Ereignisse von damals werfen einen Schatten bis in die heutige Zeit und Robert Lubisch wird sich wünschen, diese Büchse der Pandora niemals geöffnet zu haben.

„[…] Es gab im Winter 1944/45 keine Zeit für Trauer, und manchmal denke ich, dass das eine der Tragödien dieses Krieges war, vielleicht jedes Krieges ist. Wenn wir keine Zeit zum Trauern haben, verlieren wir eine Dimension unseres Menschseins.“ (Auszug S.195)

Mechtild Borrmann schreibt abwechselnd in den beiden Zeitebenen 1998 und 1939-1950. Dabei wechselt sie sowohl direkt in die Vergangenheit als auch über Erinnerungen der Personen, zumeist Therese Mende. Der Ton ist ruhig, das Tempo eher gemächlich. Die Autorin schreibt klar und stringent, mit wenig Ausschweifungen, doch nie nüchtern. Der Fokus liegt auf den Figuren und ihren Gefühlswelten. Die Erzählperspektive wechselt zwischen verschiedenen Personen. Nach und nach wird diese Tragödie enthüllt und entfaltet so noch präziser ihre erzählerische Kraft. Mit einer nicht erwarteten Wendung ganz zum Schluss wird der Leser nochmals überrascht.

Mechtild Borrmann ist inzwischen Bestsellerautorin, 2011 war sie jedoch noch im Aufbau ihr schriftstellerischen Karriere. Sie hatte zuvor drei beachtete Kriminalromane veröffentlicht, der enorme spätere Erfolg war jedoch noch nicht absehbar. Im Februar 2011 erschien dann ihr dritter Roman im Bielefelder Pendragon Verlag. „Wer das Schweigen bricht“ war dann der endgültige Durchbruch der Autorin und für den Verlag ein Glücksgriff, eine 22.Auflage erreicht man so schnell nicht wieder. Der Roman war aber nicht nur bei den Leser:innen ein voller Erfolg, auch die Kritiker waren begeistert und vergaben für dieses Werk ein Jahr später den Deutschen Krimipreis.

Natürlich spielt die Geschichte im zweiten Weltkrieg und unter dem nationalsozialistischen Regime. Dies beeinflusst und sorgt für eine Katalyse der Ereignisse. Doch im Grunde genommen erzählt Borrmann eine ganz klassische Geschichte von Freundschaft, nicht erwiderter Liebe, Enttäuschung, Eifersucht, Hass und Schuld – und welche Tragweite persönliche, manchmal spontane Entscheidungen entfachen können, auch über Jahrzehnte hinweg. Und über das spätere Schweigen, dass die offenen Gräben zwar füllt, aber die Erinnerung nie ganz verdrängt. Das Ganze transportiert sie sehr geschickt in den beiden Zeitebenen mit glaubwürdigen Figuren, die diesen eher leisen, aber dadurch umso mächtigeren Roman tragen. „Wer das Schweigen bricht“ ist ein herausragender Kriminalroman, den man mehr als zehn Jahre nach Veröffentlichung schon als Klassiker des Genres verorten kann.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Wer das Schweigen bricht | Erschienen am 07. Februar 2011 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-231-9
224 Seiten | 9,95 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Mathijs Deen | Der Holländer

Mathijs Deen | Der Holländer

„Und haben Sie Ihren Freund nicht gesucht?“, fragt Hans.
„Oder versucht, ihn zu retten“, ergänzt Jürgen.
Peter schweigt und schaut die beiden abwechselnd an. „Sie sind wohl noch nie im Watt unterwegs gewesen“, sagt er schließlich. „Sie haben offensichtlich keine Ahnung.“ (Auszug E-Book Pos. 413)

Zwei Männer gehen ins Watt, zu einem Rekordversuch vom Festland nach Borkum in einer Tour, der heilige Gral der Wattwanderer. Doch nur einer von beiden kommt in Borkum an und erzählt davon, wie der andere in einem Priel weggerissen wurden, er das Verbindungsseil verlor, der Freund abgetrieben wurde. Doch Peter Lattewitz steht unter Schock, ist offenbar auch etwas verwirrt. Hat es sich genau so abgespielt? Die Leiche seines Wattpartners, Klaus Smyrna, wird jedenfalls ein Stück entfernt auf einer Sandbank in der Ems gefunden und von einem niederländischen Patrouillenboot weggenommen. Erste Ermittlungen widerlegen die Unfallthese nicht. Doch da hat der Fall eine ganz andere Wendung genommen, wird plötzlich zum Politikum.

Der örtliche Chef der niederländischen Marechaussee hat nämlich nicht vor, den Leichnam an die deutsche Bundespolizei zu übergeben. Die deutsch-niederländische Grenze in der Emsmündung ist nicht eindeutig definiert. Seiner Meinung nach wurde die Leiche in den Niederlanden gefunden, daher soll es eine niederländische Ermittlung geben. Das sehen die Deutschen völlig anders und es kommt zum Kompetenzgerangel, leichten Verstimmungen und Provokationen. Derweil sendet die Bundespolizei Liewe Cupido, deutsche Mutter, niederländischer Vater, nach Delfzijl, um dort heimlich erste Ermittlungen aufzunehmen und mit bereitwilligen Kollegen auf der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Und je mehr Cupido sich mit diesem Fall befasst, desto mehr Unklarheiten ergeben sich. Eigentlich waren die Wattwanderer ein Trio, doch zufällig bei dieser Tour, die man akribisch vorbereitet hat, war der dritte Mann, Aron Reinhard, in England im Urlaub. Einiges rund um dieses Trio kommt Cupido merkwürdig vor. Waren Lattewitz und Smyrna wirklich alleine im Watt?

Er weiß genau, was er tut, obwohl es unmöglich ist, alle Risiken zu vermeiden. Ein Wattwanderer geht ungebahnte oder vom Meer ausgelöschte Wege. Es ist eine Umgebung voller Unwägbarkeuten, in der die Natur das Sagen hat. (Auszug E-Book Pos. 37)

Eine faszinierende Welt, dieses Watt. Aber auch unheimlich und gefährlich. Und diese Extrem-Wattwanderer sind Extremsportler, die die Grenzen ausreizen und Risiken eingehen. Absolut vergleichbar mit Bergsteigern, die sich akribisch auf eine Tour vorbereiten, Routen vorausplanen und auf die optimalen Wetterbedingungen warten. Das Wattenmeer der Nordsee mit seinen vorgelagerten Inseln birgt einige sehr herausfordende Watttouren und die Strecke vom Festland bei Manslagt (Gemeinde Krummhörn) bis nach Borkum ist mit mehr als 25km definitiv so etwas wie die Besteigung eines 8.000ers. Die Wattfläche nach Borkum läuft nie vollständig trocken, seichte Wasserflächen und mehrere Priele, die nur bei Nipptide und weiteren optimalen Windverhältnissen gerade so für Profis passierbar sind, müssen durchquert werden. Die Lektüre hat mich dazu gebracht, dieses Extrem-Wattwandern mal etwas zu recherchieren. Die Route Borkum-Festland ist wohl tatsächlich wohl nur von einer Handvoll Gruppen bis heute tatsächlich geschafft worden.

Mathijs Deen ist in seiner Heimat ein bekannter Autor und Rundfunkproduzent, mehrere seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt worden. Mit „Der Holländer“ wagt er sich explizit ins Krimigenre, gleichwohl liegt sein Fokus weniger auf dem eher solider Plot als auf den Figuren. Liewe Cupido als einsamer, eher schweigsamer Ermittler passt in die friesische Landschaft. Die weiteren Figuren werden ebenfalls sorgsam beschrieben. Generell ist die Stimmung melancholisch, es geht um gekränkte Eitelkeit, Einsamkeit und Verlust. Der Roman ist auch direkt mit dem Schauplatz verbunden, das Watt und die Orte drumherum spielen eine zentrale Rolle. Deen vermeidet aber bewusst die Klischees touristischer Regionalkrimis. Ein bisschen schade für den geübten Krimileser ist die Tatsache, dass zumindest ich früh ahnte, in welche Richtung die Auflösung gehen würde. Dennoch insgesamt ein stimmungsvoller und mit interessanten Figuren bestückter Roman von der friesischen Küste.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der Holländer | Erschienen am 15.02.2022 im Mare Verlag
ISBN 978-3-86648-674-4
272 Seiten | 20,- €
als E-Book: ISBN 978-3-7517-1003-9 | 12,99 €
Originaltitel: De Hollander (Übersetzung aus dem Niederländischen von Andreas Ecke)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Arttu Tuominen | Was wir verschweigen

Arttu Tuominen | Was wir verschweigen

Paloviita weinte.
Ohne zu wissen, warum. Erst bemerkte er es gar nicht, dann konnt er die Tränen nicht mehr stoppen.
[…] Er wusch sich das Gesicht und betrachtete sich im Spiegel. Wohin entschwand die Zeit? Gab es sie noch, oder löste sie sich einfach auf wie platzende Seifenblasen? Er wusste es nicht, und es war ihm auch egal. (Auszug E-Book Pos. 782)

Jari Paloviita ist interimsweise Chef der Kripo im finnischen Pori. Er macht sich Hoffnung, den Job dauerhaft zu bekommen. Ein Tötungsdilekt in einer Waldhütte unter Betrunkenen und Bekifften überlässt er seinen Kollegen Henrik Oksman und Linda Toivonen. Die haben alle Hände voll zu tun, die Wetterverhältnisse sind widrig, die Zeugenaussagen widersprüchlich, das Tatwerkzeug verschwunden. Dennoch ist der Fall relativ klar: Antti Mielonen hat Rami Nieminen von hinten erstochen, die Polizei kann Mielonen später voller Blut im Wald festnehmen. Ein Geständnis gibt es nicht, Mielonen behauptet, sich an nichts erinnern zu können. Dennoch ein vermeintlich schnell gelöster Fall, den Jari in den sicheren Händen der Kollegen weiß. Doch als Jari Namen von Opfer und Täter erfährt, fällt er aus allen Wolken. Der Tatverdächtige Antti Mielonen war zu Schulzeiten Jaris bester Freund – und wegen eines Vorfalls vor 27 Jahren steckt Jari noch tief in dessen Schuld.

Und auch das Opfer ist Jari bekannt: Rami Nieminen war schon in der Grundschule ein Tunichtgut und Schläger, er war Jaris und Anttis Erzfeind. Und auch später hatte Nieminen eine kriminelle Karriere eingeschlagen, saß wegen Todschlags bereits in Haft. Jari verschweigt das alles seinen Kollegen. Er versucht heimlich zu Antti Kontakt aufzunehmen, doch dieser lässt ihn abblitzen. Nun ist Jari allein mit seinen Erinnerungen und er ringt mit sich, wie weit er gehen will, um die alte Schuld beim alten Freund zu begleichen. Doch sein Kollege Henrik Oksman ahnt etwas und wird langsam misstrauisch.

Autor Arttu Tuominen erzählt in zwei zeitlichen Ebenen und in mehreren Perspektiven. In der Jetztzeit sind es im Wesentlichen Jari Paloviita und Henrik Oksman. Jari ist ein Mann in der Midlife Crisis, verheiratet, zwei Kinder, aber unglücklich. Lebt auf zu großem Fuß, den Job als Kripochef könnte er gut gebrauchen. Henrik hingegen ein Einzelgängerund Pedant, im Zwischenmenschlichen verkrampft, mit schwierigem Verhältnis zu seinem Vater. Dieses Motiv tritt dann vor allem in der Zeitebene von 1991 zutage: Hier verfolgt der Autor die drei Kinder Jari, Antti und Rami, die beiden letzteren leiden unter ihren gewalttätigen Vätern. Rami kompensiert das, in dem er seine Mitschüler terrorisiert. Die Rivalität zwischen ihm und Jari steigert sich ins Unermessliche, als beide sich in dasselbe Mädchen verlieben. Eine Geschichte, die sich immer weiter in der Dramatik steigert und bis in die Gegenwart ausstrahlt.

Tapani greift fester zu, und Sirpa jault auf. Jari weiß nicht, was er tun soll. Die eine Hälfte seiner Gehirnzellen befiehlt ihm davonzulaufen und Hilfe zu holen, die andere, sich nicht von der Stelle zu rühren. Die Worte seines Vaters hallen in ihm wider, dass es nicht schicklich sei, sich in die Angelegenheiten anderer Familien einzumischen, aber vielleicht hat er andere Sitautionen gemeint. (Auszug E-Book Pos. 3211)

Ein interessanter Krimi aus Finnland, bei dem nicht die Mordermittlung im Vordergrund steht, sondern die Beziehung zwischen Täter und Kommissar. Eine spannende Coming-of-Age-Geschichte bildet sich Rückgrat für einen Mordfall 27 Jahre später. Der Leser wird zwangsläufig mit hineingezogen und man ringt mit dem Kommissar, ob er für den alten Freund alles aufs Spiel setzen soll. „Was wir verschweigen“ gewann 2020 den finnischen Krimipreis und trotz Unkenntnis der anderen nominierten Werke bin ich geneigt zu sagen, nicht zu Unrecht. Kleinere Schwächen mal ausgelassen, ist der Roman ein wirklich lesenswerter und gut arrangierter Krimi über häusliche Gewalt, das Erwachsenwerden und den Wert von Freundschaft.

Was wir verschweigen | Erschienen am 26.11.2021 im Lübbe Verlag
ISBN 978-3-7875-2761-4
415 Seiten | 16,- €
als E-Book: ISBN 978-3-7517-1003-9 | 12,99 €
Originaltitel: Verivelka (Übersetzung aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2021

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2021

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Dezember 2021

 

Agatha Christie | Das Geheimnis des Weihnachtspuddings – Geschichten zum Fest

Auf der Suche nach etwas Besinnlichem griff ich zu dem in Rot und Lebkuchenfarben gestaltetem Büchlein mit Kurzgeschichten zum Fest von Agatha Christie. Diese spielen zumindest alle in der Weihnachtszeit und in den ersten beiden dürfen natürlich ihre legendären Protagonisten, der Meisterdetektiv Hercule Poirot und die gewiefte Hobby-Ermittlerin Jane Marple nicht fehlen. Die titelgebende Geschichte „Das Geheimnis des Weihnachtspuddings“ ist eine ganz klassische Detektivstory um einen verschwundenen Edelstein und ein orientalischer Thronfolger in Nöten. Diese nimmt den Hauptteil des Buches ein und versprüht noch am meisten weihnachtliches Flair. Wir erleben traditionelle, britische Feiertage auf dem Land bei einer gutsituierten Familie mit Dienstpersonal. Der belgische Gentleman ist genau der richtige für diesen delikaten Fall, den er natürlich durch den Einsatz seiner grauen Zellen, clevere Beobachtungen und gerissenes Fallenstellen mit diplomatischem Geschick zu lösen weiß.

Sollte es ihm merkwürdig vorkommen, dass die meisten Hausbewohner draußen gewesen waren und Poirot in Schlafanzug und Mantel antanzte, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. (Auszug Seite 84)

In „Eine Weihnachtstragödie“ erzählt Miss Marple eine tragische Geschichte, die sie selbst erlebt hat und in der sie einen Mord zwar mit ihrem unerreichten Spürsinn erahnt, aber nicht verhindern kann. Komplettiert wird das durch eine weitere Kurzgeschichte und ein Märchen mit einem Esel als Hauptfigur zuzüglich eigenen Weihnachtserinnerungen, bei der die Queen of Crime mal ihre besinnliche Seite offenbart. Insgesamt sind das ganz nette Geschichten für einen Nachmittag, die mich zum Schmunzeln brachten und immerhin mal wieder richtig Lust auf Agatha Christie gemacht haben. Der feine Humor gepaart mit gepflegter Sprache, die britische Lebensart mit viel Nostalgie war genau das, was ich grade benötigte.

 

Das Geheimnis des Weihnachtspuddings | Erschienen am 04.10.2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-4550-0469-4
176 Seiten | 12,00 Euro
Zusammenstellung von Daniel Kampa (Übersetzung aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann, Michael Mundhenk und Lia Franken)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Krimi

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

 

Max Annas | Der Hochsitz

Ein Dorf in der Eifel, unweit der luxemburgischen Grenze. Es sind Osterferien im Jahr 1978. Die beiden 11jährigen Mädchen Sanne und Ulrike durchstreifen aufmerksam die Gegend, ihr Lieblingsplatz ist ein Hochsitz am Waldrand. Und es passieren einige Dinge in diesen Tagen: Im Nachbarort wird eine Bank überfallen, die Grenzbeamten bereiten sich auf eine Aktion gegen Grenzschmuggler vor, ein Fremder klappert in einem Cadillac Bauernhöfe in der Gegend ab und macht unmoralische Kaufangebote und zwei fremde Frauen fahren durchs Grenzgebiet und wollen unerkannt bleiben. Dann geschieht ein Mord, nachts mitten auf der Dorfstraße – und Sanne und Ulrike haben ihn als einzige gesehen. Doch auf sie hört natürlich niemand, sodass die beiden selber auf Spurensuche gehen.

Nach seinen beiden letzten Romanen über Mordermittlungen in der DDR, bleibt Max Annas mit seinem neuen Roman „Der Hochsitz“ in der Vergangenheit. Diesmal aber in der BRD, im Jahr 1978 ist die Angst vor dem Terrorismus der RAF auch in der Eifel hochpräsent. Doch dass zwei Zwölfjährige das Fahndungsplakat aus der Post geklaut haben, ahnt niemand. Überhaupt gibt es so einige Dinge, die an der Polizei vorbei laufen. Max Annas entwirft mit verschiedenen Perspektiven und schnellen Wechseln ein eher tristes Panorama eines Landstrichs, der von Ängsten geprägt scheint: Angst vor Terroristen, vor Fremden, vor Existenzverlust, vor der Zukunft allgemein. Ein Leben im bundesdeutschen Mief der 1970er, bis sich auf einmal die Ereignisse überschlagen. Dabei wird der Plot in einzelne Stränge zerteilt, die sich ab und an treffen, aber oft auch etwas im Ungefähren bleiben. Dennoch eine anregende Lektüre, bei der vor allem das Setting überzeugt.

 

Der Hochsitz | Erschienen am 20.07.2021 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-00208-4
272 Seiten | 22,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: Krimi

 

Stuart MacBride | Der Garten des Sargmachers (Band 3)

Ex-Polizist Ash Henderson und die Psychologin Dr. Alice McDonald sind Mitglieder einer externen Expertengruppe, die von der schottischen Polizei in speziellen Fällen aktiviert wird. Eigentlich sind sie gerade auf der Jagd nach einem Kindermörder, als sie kurzzeitig abkommandiert werden. In einer kleinen Siedlung an einer Steilküste sind in einem Sturm ein Teil der Klippen abgestürzt. Auch das verlassene Haus eines gewissen Gordon Smith befindet sich nun kurz vor dem Absturz, als man bemerkt, dass in seinem Garten offenbar zahlreiche Leichen vergraben wurden. Henderson kann zwar noch mal kurz ins Haus und einige Fotos sichern, doch die Bergung der Leichen ist unmöglich. Doch die Fotos genügen, um Hendersons Verdacht zu erhärten: Smith ist ein brutaler Serienmörder und er wird weitermorden. Was dem Fall besondere Brisanz verleiht: Offenbar war eine junge Frau, noch minderjährig, aus der Nachbarschaft schon seit Kindertagen mit Smith bekannt und befindet sich in seiner Gewalt.

Wenn man mal im Nachhinein ganz nüchtern an diesen Thriller herangeht, muss man schon gestehen, dass das Ganze ein teilweise abstruser Plot mit gleich zwei Serienmördern ist, was zumindest meine Lesegewohnheiten nicht mehr so richtig trifft. Das Gute daran ist allerdings, dass – anders als so manche (auch deutsche) Autorenkollegen – Stuart MacBride die ganze Nummer nicht so verkrampft und bierernst nimmt. Er schreibt, um zu unterhalten und täuscht keine Bedeutungsschwere vor. Das drückt sich vor allem in seiner skurrilen Figurenschar und im typisch schwarzen schottischen Humor aus. Insofern ist „Der Garten des Sargmachers“ ordentliche Thrillerunterhaltung, allerdings ohne zu brillieren und vielleicht auch einen Tick zu lang.

 

Der Garten des Sargmachers | Erschienen am 18.10.2021 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-49233-6
636 Seiten | 11,- €
Originaltitel: The Coffin Maker’s Garden (Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Jäger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Thriller

 

 

 

John le Carré | Silverview

In London übergibt eine junge Frau einen Brief ihrer an Krebs erkrankten Mutter Deborah Avon an einen Mr. Proctor, offensichtlich ein Mann vom Geheimdienst. Gleichzeitig erhält der junge Buchhändler Julian Lawndsley, der aus der Londoner City in ein kleines Kaff an der Küste von East Anglia gezogen ist, in seinem Laden Besuch von einem seltsamen Mann, Edward Avon. Dieser stellt sich als ehemaliger Studienfreund von Julians verstorbenem Vater vor und ermutert ihn, das bisher leerstehende Kellergeschoss seiner Buchhandlung zum Aufbau einer intellektuellen, philosophischen Bibliothek aufzubauen. Avon selbst hilft mit und nutzt Julians Computer zur weiteren Recherche. Währenddessen hat Stephen Proctor die Witterung aufgenommen, denn es gibt offenbar einen Maulwurf – und die Spuren führen nach „Silverview“, dem Landsitz der Avons.

Vor knapp einem Jahr starb der große Meister des Spionageromans John le Carré und hinterließ ein fast fertiges Manuskript, dass sein Sohn Nicholas Cornwell, selbst Autor unter dem Pseudonym Nick Harkaway, behutsam fertigstellte. Die Story breitet sich sehr langsam und behutsam aus – eine schwierige Ehe, beide Eheleute im Geheimdienst tätig, sie allerdings die erfolgreichere und nun offenbar ein Geheimnisverrat. Alternde Spione mit ihren letzten Winkelzügen und dazwischen die neue Generation, die das Ganze etwas kopfschüttelnd betrachtet. Le Carré packt nochmal die bekannten Themen aus: Lüge, Verrat, Liebe und Loyalität. Und natürlich die Desillusionierung der Geheimdienstarbeit. Le Carré war immer der Mann fürs Intellektuelle anstatt für Geheimdienstaction, so wird „Silverview“ auch zurecht als Roman und nicht als Thriller vermarktet. Denn für mich plätscherte es zum Teil schon etwas vor sich hin. Insgesamt aber dennoch ein solides Werk, dem man das Können le Carrés auch in den schwächeren Momenten anmerkt.

 

Silverview | Erschienen am 18.10.2021 im Ullstein Verlag
ISBN 978-3-55020-206-3
300 Seiten | 14,80 €
Als E-Book: ISBN 978-3-84372-635-1 | 19,99 €
Originaltitel: Silverview (Übersetzung aus dem Englischen von Peter Torberg)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Spionageroman

Fotos und Rezensionen 2-4 von Gunnar Wolters.