Kategorie: Aktenzeichen

Kyra Dittmann | Wild Horse Valley

Kyra Dittmann | Wild Horse Valley

“Die Dessertvariationen begannen, in meinem Magen Salto zu tanzen. Auch wenn ich eigentlich fast daran glaubte, dass Greyson mit seiner rätselhaften Art übertrieb, kam ich mir vor, als wäre ich bereits in ein düsteres Geheimnis verwickelt. Ich hatte ja sowas von keine Ahnung.“ (Auszug Seite 136)

Abby wohnt in Liverpool und fährt am liebsten Skateboard. Kurz vor den Sommerferien eröffnet Abbys Mutter ihrer Tochter, dass sie sich in einen Baron verliebt hat und gemeinsam mit Abby zwei Wochen bei ihm auf dem Schloss verbringen will. Ihrer Mutter zu Liebe und weil das Schloss auch einen eigenen Reitstall hat, erklärt sich Abby einverstanden. Die ersten Tage in der Ferienunterkunft verlaufen aber so gar nicht wie gewünscht. Irgendwie sind alle abweisend und kühl. Und was ist eigentlich mit Greyson, dem Sohn des Barons? Einerseits ist er genauso versnobt, wie alle anderen, dann wieder furchtbar nett. Abby ahnt, dass es hinter der ganzen Fassade ein Geheimnis gibt…

Skateboard und Pferdegeschichten

Abby ist fünfzehn Jahre alt und in eher bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater ist bereits vor einigen Jahren an einer Krankheit verstorben. Abby hat noch viele Erinnerungen an ihn, unter anderem den Traum, irgendwann einmal mit ausgebreiteten Armen und offenen Augen dem Wind entgegen zu galoppieren. Abbys Leidenschaft neben dem Skaten sind Bücher, bevorzugt Pferdegeschichten. Reiten kann Abby aber noch nicht.

Zottelpony statt wildem Hengst

Ich hätte mir ja nicht träumen lassen, dass ich für diesen Blog mal einen Pferde-Roman besprechen darfAber dieses Special eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Da ich selbst Reiterin bin, lag die Entscheidung für Wild Horse Valley von Kyra Dittmann nahe. Ich habe mich sehr auf das Buch gefreut, war aber ehrlich gesagt auch recht skeptisch, weil man ja diese typischen Kleinmädchen-, Wendy- und Ostwind-Geschichten kennt. Von dieser Geschichte wurde ich aber positiv überrascht, weil Abby eben nicht einem wilden Hengst begegnet, den nur sie zähmen kann oder das erste Mal auf einem Pferderücken sitzt und sofort über die Wiesen galoppiert. Nein, Abby freundet sich mit einem zotteligen Pony an und geht mit ihm spazieren. Das finde ich sehr sympathisch!

Alles vereint

In diesem Buch geht es aber nicht nur um die Pferde, sondern tatsächlich auch um Mord. Spannung entsteht dadurch, dass Abby Greyson doch mit der Zeit etwas näher kommt und er sogar ihre Hilfe benötigt, sich bei den Begründungen aber mehr als kryptisch ausdrückt. Außerdem beobachtet Abby immer wieder merkwürdiges Verhalten der anderen Schlossbewohner, kann sich aber keinen Reim darauf machen. Dazu kommen falsche Anschuldigungen, Missverständnisse und Sticheleien sowie Abbys Versuche, sich in dieser neuen und feinen Welt zurechtzufinden. Ein bisschen Liebe und der erste Kuss darf auch nicht fehlen und schon ist alles vereint, was Teenies sich wünschen.

Empfehlung

Ich fand den Roman sehr flüssig zu lesen und kann ihn wirklich empfehlen. Kleine Klischee-Ansätze sind immer mal wieder vorhanden, werden im Großen und Ganzen dann aber gut umschifft. Das Buch eignet sich gut als leichte Spannungslektüre für Erwachsene. Zudem finde ich das Cover sehr schön gestaltet.

Kyra Dittmann wurde 1972 in Bonn geboren und arbeitete nach einer Schreinerlehre viele Jahre im Handwerk. Dann stellte sie ihre Weichen neu und absolvierte diverse Schreib- und Drehbuchseminare und arbeitet heute als freie Autorin. Kyra Dittmann lebt mit ihrem Mann und den sechzehnjährigen Zwillingstöchtern in Bonn. Sie ist selbst eine begeisterte Reiterin.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

Wild Horse Valley | Erschienen am 16. März 2018 im Coppenrath Verlag
ISBN 978-3-649-62774-6
320 Seiten | 12.99 Euro
ab 12 Jahre
Bibliografische Angaben & Leseprobe

 

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Kinder- und Jugendkrimi.

Leonora Christina Skov | Das Inselhaus

Leonora Christina Skov | Das Inselhaus

„Robin wurde mit einem Mal heiß und kalt. Transparenz machte verletzlich, die Wenigsten schienen zu begreifen, wie sehr eigentlich und das Letzte, was sie wollte, war in Gesellschaft von sechs wildfremden Menschen und einem Hauswart mit einer höchst zweifelhaften Ausstrahlung verletzlich zu sein.“ (Seite 79)

Sieben Künstler erhalten eine Einladung zu einem vierwöchigen Arbeitsaufenthalt auf einer privaten Insel in Dänemark. Als die Künstler auf die Insel kommen, sehen sie, dass sie in einem Haus komplett aus Glas wohnen. Diese fehlende Privatsphäre und die völlige Abgeschiedenheit bringen den ersten Missmut unter den Bewohnern. Doch dann geschehen merkwürdige Dinge und alle werden immer misstrauischer. Was soll dieser Arbeitsaufenthalt wirklich bezwecken?

Unentschlossene Meinung

Das Inselhaus von Leonora Christina Skov lässt mich etwas unentschlossen zurück, muss ich sagen. Den Anfang der Geschichte fand ich ein bisschen schwierig, weil über die Hälfte des Buches vor allem der Vorstellung der Künstler gewidmet ist. Dabei wird die Perspektive immer wieder gewechselt und einerseits ist es interessant, welche Sorgen und Nöte alle mit sich herumtragen und dass der Schein ganz oft trügt, aber besonders spannend fand ich es nicht. Zum Ende hin, wenn sich das Dickicht etwas lichtet, was es mit dem gemeinsamen Aufenthalt auf sich hat und die ersten Gemeinsamkeiten auftauchen, wird es dann wirklich fesselnd und ich konnte nicht aufhören zu lesen.

Sieben unsympathische Protagonisten

Bei den sieben Protagonisten bin ich mir auch nicht ganz schlüssig, wie ich sie finde. Am Anfang aus der eigenen Perspektive klingen alle Entscheidungen des bisherigen Lebens für mich nachvollziehbar und ich kann mich gut in sie hineinversetzen. Aus der Perspektive der anderen Bewohner finde ich sie dann nicht mehr so sympathisch und zum Ende hin mag ich keinen mehr. Das hatte ich so bewusst auch noch bei keinem Buch.

Die Idee dahinter

Die Grundidee der Geschichte finde ich sehr gut, obwohl sie auch nicht neu erfunden ist, wie die Autorin in der Danksagung erwähnt. Denn die Idee ist aus mehreren anderen Romanen „zusammengeschustert“. Besonders gefallen mir Handlungsorte auf Inseln und in einem Glashaus zu wohnen ist bestimmt interessant, würde ich als Urlaubsunterkunft allerdings nicht buchen.

Was bleibt?

Wie lässt mich der Roman zurück? Unschlüssig, wie schon oben beschrieben und mit der Einsicht, dass alle Sichtweisen und Erlebnisse sehr subjektiv sind. Und dass wohl jeder eine Leiche im Keller hat. Meine kenne ich nicht. Vielleicht kommt sie noch oder ich erhalte demnächst eine dubiose Einladung auf eine unbekannte Insel.

Leonora Christina Skov, geboren 1976, ist in ihrer Heimat Dänemark für ihre sarkastische Literaturkritik und ihre bissige Kolumne in der Wochenzeitung Weekendavise bekannt. Für ihre Romane Das Turmzimmer und Der erste Liebhaber wurde sie von der dänischen Kritik gefeiert. Leonora Christina Skov lebt in Kopenhagen. (Verlagsinfo)

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Das Inselhaus | Erschienen am 9. Januar 2018 bei btb
ISBN: 978-3-442-71424-7
416 Seiten | 10.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

23. Mai 2018

Denise Mina | Blut Salz Wasser

Denise Mina | Blut Salz Wasser

„Wissen Sie, was ich an diesem Land so abstoßend finde?“, fragte Susan und ließ ihren Akzent in einen anderen übergehen. „Diese scheiß Scheinheiligkeit.“
Der Ladenbesitzer war überfordert. „Was? Heiligkeit?“
„Scheinheiligkeit. Selbstgerechtigkeit.“ Der Akzent klang jetzt sehr viel amerikanischer. […]
Der Ladenbesitzer war entschlossen, nicht zuzugeben, dass er im Unrecht war. Er zuckte die Achseln. „So sind Menschen eben, oder nicht?“
„Nein“, sagte die echte Susan. So ist es hier.“ (Auszug Seite 263)

Alles beginnt mit einem Mord. Einem brutalen Mord an einer Frau am Ufer des Loch Lomond. Der Mörder Iain Fraser übt diese Tat etwas widerwillig, aber letztlich effizient aus. Sein Boss Mark Barratt hat die Befehle gegeben und er führt sie aus, um eine Schuld zu tilgen, auch noch eine Schuld für jemand anderen. Der Leser begleitet anschließend Iain immer wieder durch diese Geschichte und ist überrascht, dass dieser Mann, dieser brutale Mörder, die traurigste Gestalt der ganzen Geschichte ist. Ein Mann mit verkorkster Vergangenheit, voller Schwermut und noch nicht mal sein Mord bringt letztlich etwas. Zwei Menschen sterben bei einem Brand und das stürzt ihn noch tiefer in den Abgrund.

Gleichzeitig hat DI Alex Morrow einen verdammt unangenehmen Fall auf dem Tisch. Eine großangelegte Polizeiaktion der Londoner Polizei und der Police Scotland. Roxanna Fuentecilla ist eine Geldwäscherin eines Drogenrings. Schon lange von der Polizei in London observiert, ist sie vor kurzem nach Glasgow gekommen und hat hier eine windige Versicherungsagentur übernommen. Die Observation geht weiter und die Polizeibehörden belauern sich: Wer am Ende das Drogengeld sicherstellt, darf davon den Löwenanteil dem eigenen Budget zuteilen. Das Problem nun ist jedoch: Fuentecilla ist verschwunden, hat die Verfolger abgehängt. Die letzte Handyortung der Vermissten führt Alex nach Helensburgh. In der Nähe wird schließlich die Leiche im Loch gefunden. Wie sich herausstellt, ist es nicht die Vermisste. Dennoch hatten beide Frauen miteinander zu tun, eine Verbindung zeichnet sich ab.

Die dritte Erzählperspektive nimmt Boyd Fraser ein. Er ist der Besitzer eines Cafés in Helensburgh, wo er auf Bio und nachhaltig macht und seine Speisen und Getränke zu gesalzenen Preisen an den Kunden bringt. Boyd ist ein Getriebener, unzufrieden und unglücklich, ohne recht zu wissen warum. Da kommt eines Tages eine Frau in sein Café. Susan Grierson, eine ehemalige Pfadfinderleiterin, die offenbar nach zwanzig Jahren nach Helensburgh zurückgekehrt ist. Irgendwie umgibt sie allerdings ein Geheimnis, dass jedoch weder Boyd noch Iain am Anfang bemerken und sich von ihr in die weiteren Ereignisse hereinziehen lassen.

Vor knapp einem Jahr habe ich Monika Geiers Alles so hell da vorn gelesen und war schwer begeistert. Nun habe ich mich während der Lektüre von Blut Salz Wasser wieder daran erinnert, da ich schon glaube, einige Gemeinsamkeiten entdeckt zu haben. Beide richten den Fokus auf die Mikroebene, auf das Lokale/Regionale – hier das kleine Örtchen Helensburgh – ohne aber dabei das große Ganze zu vernachlässigen. Hier spielen die ganzen Ereignisse vor dem bevorstehenden schottischen Unabhängigkeitsreferendum, was zusätzlichen Diskussionsstoff birgt. Trotzdem sind es vor allem die kleinen Szenen, die mich begeistert haben, weil sie realistisch und doch voller Finesse geschildert werden. So zum Beispiel die Befragung des versnobten Anwalts Delahunt in dessen Haus oder die Szene, in der sich Morrow und die örtliche Polizeichefin Simmons misstrauisch beäugen, nur um dann festzustellen, dass sie beide Reste von Erbrochenem auf ihrer Kleidung haben – Simmons von ihrer pflegebedürftigen Mutter, Morrow von ihren Zwillingen.

Blut Salz Wasser ist der fünfte Teil der Reihe um die Ermittlerin Alex Morrow. Trotz der spürbaren Vorgeschichte ist dieser Band aber problemlos auch ohne die Vorgänger zu lesen. Teil 3 ist übrigens noch unübersetzt und soll bald nachgeschoben werden. Übersetzerin von diesem Band ist übrigens Zoë Beck, auch keine Unbekannte in der deutschen (Krimi-)Literaturszene. Autorin Denise Mina hat nach dem Jurastudium angefangen, Kriminalromane zu schreiben. Gleich ihr Debüt Garnethill gewann sie 1998 den Dagger Award. Inzwischen wird ihr inoffiziell der Titel „Queen of Tartan Noir“ zugeschrieben. „Tartan Noir“ ist dabei die oftmals sehr gedehnte Klammer für die realistische und dunkle schottische Kriminalliteratur. In einem Interview bekannte Mina aber, das unscharfe Label inzwischen zu akzeptieren („Wir machen alle ganz unterschiedliche Bücher, es gibt kein Tartan Noir als Genre, aber die Bezeichnung hilft uns, bekannter zu werden“, Interview Culturmag 2010).

DI Alex Morrow ist übrigens eine sehr gelungene Protagonistin. Ihre private Seite wird in diesem Band nur ab und zu angeschnitten; sie ist Mutter von zwei kleinen Zwillingen. Doch familiär ist nicht alles im Lot. Immer wieder trübt sich ihr Gemüt, wenn ihre Gedanken um ihren kriminellen Stiefbruder Danny kreisen, der aktuell einsitzt. Beruflich ist sie eine gewissenhafte und durchsetzungsstarke Polizistin. Eine Frau aus der Arbeiterklasse, die es durch Fleiß und Beharrlichkeit zu etwas gebracht hat, die sich aber trotzdem keine Illusionen über ihren Platz macht. Doch am besten lasse ich sie selbst zu Wort kommen:

Sie sind nicht loyal, sagte Iain. Sie wissen nicht, zu wem sie gehören.
Da sah sie ihn direkt an, und sie lächelte, aber sie war wütend. Sie sagte: Nein, Mr. Fraser, ich weiß genau, zu wem ich gehöre. Und ich weiß, wer ich bin: Ich bin die Person, die die Wahrheit sagt, auch wenn sie mir nicht gefällt. Auch wenn sie mir wehtut. (Seite 336)

Der Plot von Blut Salz Wasser ist durchaus komplex, aber absolut virtuos erzählt. Der Roman lebt vor allem auch von den hervorragenden und authentischen Figuren, die ihr Innerstes offenbaren. Gleichzeitig haben wir hier einen definitiv verzwickten Kriminalfall, der am Ende zwar gelöst werden wird, aber einen bitteren Geschmack hinterlässt. Es war mein erstes Buch von Denise Mina und ich habe bislang vermutlich einiges verpasst. Glückwunsch an den Argument Verlag (der ohnehin nicht für Lückenbüßer bekannt ist), eine solche Autorin neu im Verlagsprogramm zu haben!

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Blut Salz Wasser | Erschienen am 16. April 2018 im Argument Verlag
ISBN 978-3-86754-230-2
362 Seiten | 19.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andys Rezension zu Denise Minas Roman Die tote Stunde sowie Interview von Zoë Beck mit Denise Mina (aus dem Jahr 2010) und Interview mit Denise Mina bei krimiscout.de

Tom Hillenbrand | Hologrammatica

Tom Hillenbrand | Hologrammatica

In alten Filmen haben Privatdetektive stets verschiedene Visitenkarten zur Hand, damit sie sich als Gott-weiß-wer ausgeben können. Ich hingegen habe an die fünfzig Holomasques gespeichert, die ich jederzeit überstülpen kann – Elektroinstallateur, Verkehrspolizist, Penner und so weiter. Sie sind natürlich gehackt, damit ich sie ohne Brassard tragen kann, auch wenn das ein bisschen illegal ist. (Auszug Seite 65)

Der moderne Privatdetektiv

Im Jahr 2088 arbeitet der Londoner Galahad Singh als eine Art Privatdetektiv. Er hat sich als Quästor darauf spezialisiert, verschwundene Menschen zu finden, was im ausgehendem 21. Jahrhundert gar kein leichtes Unterfangen ist. Durch den Klimawandel sind große Teile der Erde abgesoffen und es hat eine weltweite Völkerwanderung bevorzugt Richtung Sibirien gegeben. Wer von der durch eine Seuche stark dezimierten Erdbevölkerung, die mitunter horrenden Temperaturen von 40° Celsius in der Nacht nicht aushält und über genügend Geld verfügt, kann die Erde verlassen und sein Glück im All suchen. Durch neue Technologien ist es mittlerweile sehr einfach, eine neue Identität anzunehmen. Zum einen kann man sein Aussehen durch Holofilter verändern.

Alles nur Fassade

Hologramme sind zum Alltag geworden. Ein holographisches Netz ermöglicht es, visuelle Filter über die graue, schmutzige Realität zu legen. Alles was nicht den optischen Ansprüchen genügt, wird holographiert. Eine Brille benutzt man nur noch, um die Realität ohne Holofilter zu erkennen. Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit. Durch die Technologie des Mind Uploading gelingt es, seine eigene Identität in fremde Körper zu laden. Hierbei wird ein winziger Quantencomputer ins Hirn implantiert, der es ermöglicht, in einen Wunschkörper zu wechseln. Wenn auch nur für kurze Zeit, dann droht der Braincrash, wenn das Cogit nicht wieder in den Stammkörper zurück transferiert wird.

Im vorliegendem Fall soll Singh die Computerexpertin Juliette Perotte aufspüren, die höchstwahrscheinlich gekidnappt wurde. Die hochintelligente Tochter reicher Eltern arbeitete an einer Verschlüsselungstechnik für digitale Gehirne, die sogenannten Cogits. Singh findet in Paris, dem Wohnort der 37-jährigen heraus, dass Perotte mit einem geheimen Projekt beschäftigt war, bei dem sie nach einer Möglichkeit forschte, den Braincrash zu verhindern. Offenbar hatte sie sich in einem riskantem Spiel einer Gruppe von „Deathern“ angeschlossen. Das sind Adrenalinjunkies, die ihre eigene Identität in fremde Gefäße laden und diese Körper dann auf unterschiedlichste Arten umbringen, um den Moment des Todes immer wieder in anderen Varianten zu erleben. Auf der atemlosen Suche nach den Hintergründen und nicht zuletzt als er von Leuten mit riesigen schwarzen Schwertern angegriffen wird, begibt sich der Privatermittler Singh in Gefahr. Er scheint es mit einem übermächtigen Gegner zu tun zu haben, möglicherweise sogar mit einer Künstlichen Intelligenz.

In einem anderen fast surrealen Handlungsstrang findet sich eine Frau auf einer einsamen Insel wieder.
Viel mehr möchte ich über den vielschichtigen, vor phantastischen Ideen sprühenden Plot gar nicht verraten.

Prota

Tom Hillenbrand hat eine immens spannende Mischung aus klassischer Detektivgeschichte und Science-Fiction geschaffen. Dazu gehört auch sein cleverer Protagonist und Ich-Erzähler Galahad Singh, ein relativ bodenständiger Detektiv mit indischen Wurzeln, dessen Lieblingsgetränk der Old Fashioned ist und der in seiner Freizeit am liebsten Saxofon mit einem holographischen John Coltrane als Musiklehrer spielt. Uploads sind ihm suspekt, statt eines digitalen Hirns benutzt er lieber seine grauen Zellen. Der sympathische Singh hat eine schwierige Beziehung zu seinem Vater. Grund dafür ist sicherlich das Verschwinden seines Bruders Percy vor etlichen Jahren, als beide noch Kinder waren. Kein Wunder, dass es ihn komplett aus der Bahn wirft, als er Hinweise erhält, dass Percy noch am Leben ist. Auch in brenzligen Situationen verliert der smarte Singh seinen sarkastischen Humor und seine Selbstironie nicht. Großartig auch die Selbstgespräche mit dem „Komitee der Selbste“, wenn er sich nicht zwischen unterschiedlichen Perspektiven entscheiden kann.

Die Welt im Jahre 2088

Wie schon in seinem mit mehreren Preisen ausgezeichneten Krimi Drohnenland hat der Autor eine rasante Zukunftsvision erschaffen, die mich begeistert und die ich verschlungen habe. Indem er den jetzigen Stand der technischen Entwicklungen konsequent und sehr kreativ weiterentwickelt, kann man sich diese nahe Zukunft tatsächlich problemlos so vorstellen. Tom Hillenbrand hat mit großem Einfallsreichtum und überbordender Phantasie ein absolut glaubwürdiges Setting erschaffen, dem man anmerkt, wie sehr ihm die geschaffene Welt am Herzen liegt. Die komplexe Story erfordert volle Aufmerksamkeit. Wobei ich das Glossar am Ende des Buches, in dem einige technologischen Begriffe erläutert werden, gar nicht benutzt habe, da sich alles aus dem Kontext ergibt.

Die Story wird flüssig und rasant mit vielen überraschenden Wendungen erzählt und scheut sich auch nicht vor filmreifen Action-Szenen. Sehr gut gefallen hat mir auch der immer wieder aufblitzende trockene Humor.

Das mit den Milchtüten ist ein etwas makabrer Scherz, den heutzutage keiner mehr versteht. Vor über hundert Jahren war es üblich, die Gesichter von vermissten Kindern auf Getränkekartons zu drucken. Warum man das tat, erschließt sich mir nicht. Die Polizei war offenbar der Meinung, es würde zu sachdienlichen Hinweisen führen, wenn sich schlaftrunkende Menschen morgens beim Müsliessen von einem verschwundenen Kind anstarren lassen. Klingt bekloppt, aber so war’s. Deshalb nennen wir unsere Vermissten ebenfalls Milchtüten. (Seite 16)

Hologrammatica war für mich viel mehr als eine klassische Kriminalgeschichte, eingebettet in einem abgefahrenen Science-Fiction-Thriller, sondern eine Gesellschaftskritik mit philosophischen Einschüben und sogar ein Beitrag zur Gender-Thematik. Der homosexuelle Galahad lernt während seiner Ermittlungen Francesco kennen und verliebt sich, wobei nicht klar ist, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, da dieser in einem Gefäß steckt. Das dessen tatsächliche Identität ein Geheimnis bleibt, führt zumindest bei Galahad anfänglich zu Irritationen, spielt aber im Endeffekt keine große Rolle. Es geht auch um die ganz großen Themen, wie den uralten Wunschtraum der Menschen nach Unsterblichkeit.

Nach Drohnenland waren meine Erwartungen an Hologrammatica sehr hoch und sie wurden noch komplett übertroffen!

Rezension & Foto Andy Ruhr.

Hologrammatica | Erschienen am 15. Februar 2018 bei Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05149-0
560 Seiten | 12.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Drohnenland von Tom Hillenbrand.

Mikaela Bley | Böse Schwestern Bd. 2

Mikaela Bley | Böse Schwestern Bd. 2

„Der Tod, der Tod, der Tod. Einer der vielen Therapeuten hat mir den Tipp gegeben, bestimmte Worte laut auszusprechen, wenn die Erinnerungen zu heftig werden. (…)“
(…) „Sie versuchen, eine Panikattacke zu stoppen. Funktioniert es?“
„Manchmal. Ich habe mal gelesen, dass Astrid Lindgren alle Telefongespräche mit ihrer Schwester so begonnen hat. Auf diese Weise hatten sie alle dunklen Themen im Handumdrehen abgehakt, brauchten sich keine Gedanken mehr darüber zu machen und konnten sich den hellen Dingen zuwenden.“ (Auszug Seite 178)

Nach dem letzten großen Fall über den Ellen Tamm, Journalistin bei TV4 in Stockholm, berichtet hat, fällt sie in ein tiefes Loch. Um da rauszukommen, zieht sie wieder zu ihrer Mutter und besucht einen Psychiater. Doch dann wird in dem beschaulichen Ort eine Leiche gefunden, die scheinbar niemand kennt. Ellen fühlt sich sofort von dem Fall angezogen und möchte darüber berichten, weil sie ahnt, dass mehr dahinter steckt.

Ellen Tamm ist 35 Jahre alt und hat im Alter von acht Jahren ihre Zwillingsschwester verloren. Dieses Ereignis konnte sie noch immer nicht überwinden und gerade der letzte Fall (Glücksmädchen), bei dem es ebenfalls um ein verschwundenes Mädchen ging, hat alle Erinnerungen wieder aufgerissen. Ellen hat außerdem starke Gefühle für ihren Chef Jimmy. Er ist verheiratet, kann sich aber trotzdem nicht von Ellen distanzieren und so kommt es zu einer ständigen On-Off-Affäre.

Überraschungen

Böse Schwestern von Mikaela Bley ist sehr flüssig zu lesen und überrascht in vielerlei Hinsicht. Dass in idyllischen Dörfern nicht immer alles so beschaulich ist, wie es aussieht, ist nichts Neues. Aber Ellen deckt nicht nur ihre eigene Vergangenheit auf, sondern auch ein Familienkonstrukt, das ich mir so gar nicht vorstellen kann. Trotzdem, oder gerade deshalb, war es sehr interessant und bisher auch das erste Buch, das ich zu diesem Thema gelesen habe.

Gegenwart und Vergangenheit

Die Kapitel sind in Tage und Uhrzeiten untergliedert und werden abwechseln von Ellen und zwei weiteren Frauen erzählt. Ansonsten geht es je zur Hälfte um den Fall, zu dem Ellen recherchiert und ihrer Vergangenheit. Ab und zu passen auch Jimmy und Ellens schreckliche Mutter in die Geschichte. Mir war Ellens Trauma ihrer Kindheit etwas zu viel, muss ich sagen. Auch der Titel des Buches zielt mehr auf die getrennten Zwillinge ab, als auf die Tote, um die es für mich hauptsächlich geht. Das finde ich etwas schade.

Ellen, die Journalistin

Ellen macht meiner Meinung nach einen tollen Job. Sie fragt nach, immer wieder, wenn sie etwas erfahren will und gibt nicht so schnell auf. Ihre Hartnäckigkeit hat sich dabei oft bewährt, aber natürlich geht auch nichts über gute Quellen, die auch schon mal etwas kosten können. In der Redaktion ist Ellen nicht unbedingt die Beliebteste und nicht vom Typ „beste Freundin“. Ellen nervt es eher, wenn sie Small-Talk halten muss. Mir ist sie mit ihrer straighten Art sympathisch.

Noch mehr Überraschungen

Im Laufe der Geschichte macht man sich als Leser ja so seine Gedanken, wer denn der Täter gewesen sein könnte. Das Ruder wird zum Ende aber nochmal komplett herumgerissen, damit hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Und dann bleibt das Buch auch noch mit seinem Ende in Bezug auf Ellen sehr offen. Das lässt in mir die Hoffnung keimen, dass es bald ein drittes Buch über Ellen Tamm gibt.

Fazit: Spannende Geschichte mit etwas viel Vergangenheit!

Mikaela Bley wurde 1979 geboren und lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Stockholm. Um ihren ersten Krimi zu schreiben, kündigte sie ihren Job beim schwedischen Fernsehsender SV4.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Böse Schwestern | Erschienen am 9. Februar 2018 bei Ullstein
ISBN 978-3-548-28861-1
397 Seiten |
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andreas Rezensionen zum 1. Band der Ellen-Tamm-Reihe von  Mikaela Bley Glücksmädchen.

16. Mai 2018