Kategorie: Aktenzeichen

Jobst Schlennstedt | Lübeck im Visier

Jobst Schlennstedt | Lübeck im Visier

Längst war ihm klar, dass er Arne John angelogen hatte. Denn diese Angelegenheit gehörte ihm ganz allein. Niemand anderes sollte sich darum kümmern. Alles passte genau. Ein vermeintlicher Mord auf einer Frachtfähre und ein Toter, den niemand vermisste. Die Konstellation erschien ihm aussichtslos genug, um ihn endlich wieder zu motivieren, einen Fall anzunehmen. (Auszug Seite 33)

Simon Winter hat sich vor einiger Zeit aus seiner Tätigkeit als Privatermittler zurückgezogen und leitet seit Herbst letzten Jahres den Campingplatz, auf dem er auch wohnt, zusammen mit Anna, der Tochter der Besitzerin. Bei einer Ballonausfahrt wird Simon zugetragen, dass kürzlich auf einer Fähre ein Mann über Bord befördert wurde, es aber nur einen Zeugen gibt, keine Leiche und keinen Vermissten. Diese Geschichte nimmt den Privatermittler so gefangen, dass er doch wieder zu recherchieren beginnt und schon bald merkt, dass er damit viele unangenehme Fragen stellt. Dann gerät Anna in Gefahr und schlussendlich geht es nicht nur um einen Fall, der weit älter ist als der vermeintliche Mord, sondern auch um Minuten!

Simon Winter ist vierzig Jahre alt und wohnt in einem Camper auf dem Campingplatz am Pönitzer See. Als er acht war, musste er mit ansehen, wie seine Eltern erschossen wurden. Nachdem er seine Lehre als Restaurantfachmann abgebrochen hat, begann er sich seine Karriere als Privatdetektiv aufzubauen und gilt jetzt als einer der Besten, wenn nicht sogar als der Beste in der Gegend.

Ein Schauplatz mitten auf der Ostsee

Ich freue mich, dass ich zum Thema des diesjährigen Adventsspezials einen Küsten-Krimi gefunden habe, der größtenteils mitten auf der Ostsee spielt. Weitere Schauplätze sind Lübeck und Travemünde. Die Geschichte ist in einigermaßen kurze Kapitel gegliedert und liest sich sehr flüssig. Das Buch besteht aus gut zweihundert Seiten, kann man also durchaus an einem Wochenende lesen. Die Handlung ist undurchsichtig gestrickt, so dass für mich als Leser nicht sofort zu erkennen war, wie alles zusammenhängt. Also genau so, wie es sein soll. Bis zum Schluss ist es spannend geblieben und erst dann gab es auch die Auflösung aller Verstrickungen.

Ein gewaltbereiter Protagonist

Bei dem Protagonisten Simon Winter bin ich zwiegespalten geblieben. Einerseits macht er meiner Meinung nach einen guten Job, denn er befragt auch unangenehme Menschen und lässt sich nicht so leicht abschütteln. Andererseits ist er mir etwas zu gewaltbereit, denn um seinen Anliegen Nachdruck zu verleihen, scheut er auch nicht davor zurück, mit Fäusten zu agieren. Außerdem bringt er seine Geschäftspartnerin Anna mehr oder weniger wissentlich in Gefahr.

Unter dem Strich

Wie mir Lübeck im Visier von Jobst Schlennstedt am Ende nun wirklich gefallen hat, kann ich gar nicht so genau beschreiben. An sich hat mir der Aufbau der Geschichte gefallen, unter dem Strich ist sie mir aber zu Action geladen und hätte auch Potenzial für einen Action-Film. Außerdem herrschen fast Mafia artige Zustände, die auch nicht meinem Geschmack entsprechen. Wen das nicht stört, findet hiermit aber einen kurzweiligen und interessanten Krimi.

Jobst Schlennstedt, 1976 in Herford geboren und dort aufgewachsen, studierte Geografie an der Universität Bayreuth. Seit Anfang 2004 lebt er in Lübeck. Hauptberuflich ist er Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens für die Hafen- und Logistikwirtschaft. 2006 erschien sein erster Kriminalroman. 

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Lübeck im Visier | Erschienen am 17. September 2015 bei Emons
ISBN 978-3-95451-691-9
224 Seiten | 9.90 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Adventsspezials Privatdetektive.

Jakob Arjouni | Ein Mann, ein Mord

Jakob Arjouni | Ein Mann, ein Mord

Das Eros-Center Elbestrasse hatte vier Stockwerke mit jeweils zwanzig bis fünfundzwanzig Zimmern, einer Dusche und einer Toilette. Erdgeschoß und erster Stock wurden jeden Tag gefegt, waren am unsatzstärksten und fest in deutscher Hand. Nach oben hin wurden die Flure dunkler, die Frauen billiger und farbiger. Im dritten Stock Asiatinnen, im vierten Afrikanerinnen; die Putzfrau kam einmal die Woche. (Auszug Seite 24)

Ein etwas schrulliger Künstler und Autor namens Weidenbusch engagiert Kemal Kayankaya, um seine Freundin Sri Dao zu finden. Diese ist Thailänderin und arbeitete als Prostituierte in einem Club der lokalen Größe Charly Köberle. Weidenbusch bezahlte 5.000 Mark, um Sri Dao freizukaufen. Bei einem Treffen mit einem Kontakt, um falsche Papiere zur Verhinderung von Sri Daos Abschiebung bekommen, wurde Sri Dao in ein Auto gezerrt und Weidenbusch mit einer Waffe bedroht. Seitdem ist die Frau verschwunden.

Kayankaya begibt sich direkt ins Frankfurter Milieu ins Eroscenter des Charly Köberle. Dort trifft er überraschend auf seinen Kumpel Slibulsky, der offenbar jetzt Handlangerdienste für Köberle erledigt. Doch Kayankaya erreichts zunächst nichts. Auch ein Besuch beim Ausländeramt und der Ausländerpolizei gerät zum Desaster, da Kayankaya dort nicht gerade mit offenen Armen empfangen wird. Doch dann erhält er unerwartet von einem Polizisten doch noch einen Tipp: In einer Villa in Gellersheim sollen in letzter Zeit häufiger Gruppen von Ausländern einquartiert worden sein.

Ein Mann, ein Mord ist der dritte Roman um den inzwischen legendären Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya. 1985 tauchte Kayankaya mit Happy Birthday, Türke! das erste Mal auf der Bildfläche auf. Verkatert und abgeranzt löste er seinen ersten Fall im Rotlichtmilieu der Mainmetropole. Dieser Privatdetektiv steht ganz in der Tradition amerikanischer Hardboiled-Krimis, mehr als einmal wurden von verschiedener Seite Parallelen zu Raymond Chandlers Marlowe gezogen. Jedenfalls waren sowohl Leser als auch Kritiker von dieser Figur begeistert. Maxim Biller schrieb damals im Magazin „Tempo“ euphorisch: „Eine literarische Figur […], die man nie mehr vergißt. Eine Gestalt, die es, jawohl, in der deutschen Literatur seit Oskar Matzerath nicht mehr gab.“ Insgesamt fünf Krimis mit Kayankaya schrieb Autor Jakob Arjouni, der 2013 schon mit 48 Jahren an einem Krebsleiden verstarb.

Arjouni hat diese Figur Kayankaya aber auch äußerst trickreich angelegt. Als Kind türkischer Eltern wurde er als Kleinkind von einem deutschen Ehepaar adoptiert, nachdem die Eltern tödlich verunglückt waren. Nun hat Kayankaya unzweifelhaft einen türkischen Namen und einen türkischen Teint, ist ansonsten aber ein waschechter Hesse, beherrscht nicht einmal die türkische Sprache. Das macht ihn zur Zielscheibe des alltäglichen Rassismus, bei den Vermietern, bei der Polizei, bei den Passanten auf der Straße. Doch Kayankaya hat eigentlich immer eine ironisch-schlagfertige Replik parat. Das macht auch den Charme dieses Privatdetektivs aus: Immer etwas heruntergekommen, immer klamm, immer ein schneller Spruch, er geht keiner Konfrontation aus dem Weg, überquert die Grenzen der Legalität, aber Kayankaya ist im Inneren ein Typ mit viel Herz, Sensibilität und Empathie.

Die Kayankaya-Krimis und seine Hauptfigur nutzt Jakob Arjouni, um neben dem hartgesottenen Krimiplot auch gesellschaftspolitische Statements unterzubringen. Hier in diesem Plot um Menschenhandel und korrupte Behörden, zeigt der Autor klar den gesellschaftlichen und auch behördlichen Rassismus auf. Die Ausländer und Asylsuchenden werden in dieser Geschichte nur ausgenutzt und ausgebeutet, ansonsten sind sie nicht weiter willkommen. Arjouni lässt Kayankaya gegen Ende ein wütendes und resigniertes Selbstgespräch führen, in dem er sich beklagt, wie mit diesen Menschen umgegangen wird und diese als „Schmarotzer“ abgestempelt werden, die auf unsere Kosten leben,

„obwohl diese Kosten seit Jahrhunderten er getragen hat, und der heute nur dahin geht, wo mit dem Reichtum seines Landes unsere Fußgängerzonen, unsere Fliegerstaffeln und unsere Opernhäuser aufgebaut wurden“. (Seite 116)

„Und auch wenn es manchmal so aussieht, als wäre die freie Meinungsäußerung ausschließlich für Republikaner und Leute, die keine Meinung haben, erfunden, sie gilt auch noch für andere.“ (Seite 67)

Kemal Kayankaya ist einfach ein Typ, den man gern haben muss. Ein Ritter der Gerechtigkeit, der durchs Frankfurter Rotlichtviertel und bundesdeutschen Mief und Scheinheiligkeit stampft. Hinzu kommt der lässige Schreibstil von Arjouni mit großartigen Dialogen und viel Sinn fürs Detail, etwa wie Kayankaya und sein Kumpel Slibulsky ein Tennismatch im Fernsehen anschauen. Insgesamt ist Ein Mann, ein Mord ein großartiger Hardboiled-Großstadt-Krimi, der zudem nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat. Wer diesen Kemal Kayankaya noch nicht kennt, hat definitiv etwas verpasst!

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Ein Mann, ein Mord | Erstveröffentlichung 1991
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 1. September 2012 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-22563-1
192 Seiten | 9.90 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Adventsspezials Privatdetektive.

Auch bei uns: Gunnars Rezension zu Kemal Kayankayas erstem Fall Happy Birthday, Türke!

Dorothy L. Sayers | Starkes Gift

Dorothy L. Sayers | Starkes Gift

Für unser Spezial um Privatdetektive/innen habe ich statt eines neu erschienen Buches eines meiner älteren Bücher ausgewählt: eines aus Dorothy L. Sayers Reihe um Lord Peter Wimsey. Aus dieser Serie besitze ich bis auf die letzten beiden (die ich jetzt bei meiner Recherche im Internet entdeckt habe und mir auch noch zulegen werde) alle Bücher. Die Fälle zeichnen sich durch die humorvollen, aber auch scharfsinnigen, immer gut recherchierten und spannenden Handlungen aus, die ohne viel Action auskommen; braucht man manchmal zur Erholung. Zum Motto des Specials passt dieses Buch (finde ich jedenfalls) gut, da hier zwar von einem männlichen Detektiv ermittelt wird, der aber von weiblichen Dektektivinnen Unterstützung erhält.

Die Hauptakteure: Lord Peter Death Bredon Wimsey, geb. um 1890 (wie die Autorin) zweiter Sohn des 15. Herzogs von Denver, besuchte Eton und das Ballion College in Oxford, Hobbys: Sammeln von kostbaren Erstausgaben und Aufklärung von Gewaltverbrechen, immer unterstützt von seinem Diener Bunter, zeitweise auch als Tatortfotograf und Spurenermittler eingesetzt. Harriet Vane, Tochter eines Landarztes, Examen am Shrewsbury College in Oxford, Kriminalschriftstellerin, lebt alleine, Angeklagte in einem Mordprozess.

Im Band Starkes Gift will Lord Peter die Unschuld der wegen Giftmordes vor Gericht stehenden Kriminalschriftstellerin Harriet Vane beweisen, eine „selbständige“ Frau, wie sie im Buche steht. Die Tatsache, dass sie nicht nur erfolgreiche Kriminalromane schreibt (an sich schon ungehörig), lebte sie auch noch mit dem Mordopfer Philip Boyes, ebenfalls Schriftsteller (allerdings weniger erfolgreich) jahrelang in wilder Ehe zusammen. Die Anklage legt ihr zur Last, dass Boyes, von dem sie sich nach dessen Heiratsantrag getrennt hatte (für die Allgemeinheit völlig unglaubhaft), nach einem Versöhnungsbesuch bei ihr mit einem Kaffee, der mit Arsen versetzt war, vergiftet wurde. Er verstarb nach seiner Rückkehr ins Haus seines Cousins Norman Urquhart, wo er nach der Trennung zeitweise gewohnt hatte.

In der Verhandlung wird ausführlich dargelegt, dass Philip Boyes zwar bei seinem Cousin vor dem Treffen mit Harriet Vane ein umfangreiches Abendessen eingenommen hatte, dieses aber nach den Ermittlungen von Scotland Yard als Grund für die Vergiftung nicht in Frage kommt, da alle Getränke und Gerichte von mindesten zwei Personen (Boyes und Urquhardt), überwiegend aber auch vom Hauspersonal Urquhardts konsumiert wurden. Von Harriet Vane wurde allerdings bekannt, dass sie mehrfach Arsen eingekauft hatte, angeblich zur Recherche ihres neuen Kriminalromans. Somit bleibt nach Ansicht der Anklage nur der Kaffee von Harriet Vane als Mordinstrument übrig. Der Meinung ist jedoch Lord Peter Wimsey, der die Verhandlung mit wachsender Unruhe verfolgt, absolut nicht.

Abgesehen davon, dass er die Angeklagte für unschuldig hält, hat er sich auch noch in sie verliebt – ganz klar, er muss den wahren Mörder finden. Zum Glück befindet sich unter den Geschworenen eine ihm wohlbekannte ältere Dame, Miss Climpson, die standhaft genug ist, ihre Zweifel an Harriets Schuld gegen die Meinung der anderen Geschworenen über einen Zeitraum von sechs Stunden aufrecht zu erhalten. Da die anderen Geschworenen dem Richter auf Nachfrage verzweifelt mitteilen, dass keine Einigkeit erzielt werden kann muss der Prozess neu aufgerollt werden, der Richter setzt einen neuen Termin in einem Monat an.

Lord Peter hat nun – wenn auch knapp bemessen – Zeit, den wahren Mörder zu finden und die Beweise dafür zu beschaffen. Und ab hier ist nicht nur Lord Peter als Privatdetektiv tätig, sondern auch Miss Climpson, eine sogenannte alte Jungfer, die seit einiger Zeit unauffällig für Lord Peter ermittelt. Während Lord Peter sich mit der Familie von Philip Boyes und dem privaten Umfeld von Philip und Harriet, überwiegend bestehend aus Künstlern, befasst, wird Miss Climpson in einer besonderen Mission in einen kleinen Ort gesandt, in dem eine pflegebedürftige, aber reiche Tante von Norman Urquhardt (der ihr Testamentsvollstrecker ist) und Philip Boyes lebt.

Miss Climpson macht sich mit der Pflegerin der Tante bekannt und wendet eine ziemlich ungewöhnliche Art der Ermittlung an: da die Pflegerin an Hellseher etc. glaubt, stellt sie sich als Medium vor, bei einer Seance gibt sie vor, mit dem Geist der Tante, die seit einiger Zeit nicht mehr ansprechbar ist, Kontakt aufgenommen zu haben (hier werden sehr schön einige Tricks verraten, mit denen in diesem Bereich gearbeitet wurde/wird). Miss Climpson kommt tatsächlich an die benötigten Informationen, was im Anschluss dazu führt, dass eine Mitarbeiterin von Miss Climpson als Schreibkraft tätig wird, nicht ohne vorher von Lord Peter eingeführt bei einem mit ihm befreundeten ehemaligen Einbrecher Tricks zum Öffnen von Schlössern ohne den dazugehörigen Schlüssel zu lernen, um die endgültigen Beweise zu sichern.

Die Autorin Dorothy L. Sayers hat in Starkes Gift einen Plot geschaffen, der Spannung, aber auch Humor vereinigt. Die Spannung bleibt bis zur überraschenden Auflösung erhalten, wobei die Spannung weniger darauf beruht, den wahren Mörder zu finden (dem geübten Krimileser ist schnell klar, wohin der Hase läuft) sondern die Mordmethode herauszufinden. Die Schilderung der Handlungsweise der Protagonisten lässt den Leser immer wieder schmunzeln; Peter ist trotz adliger Herkunft alles andere als abgehoben und auch die anderen Figuren sind sehr lebendig geschildert.

Auch wenn der Roman die Zeit der 1930er Jahre wiederspiegelt, ist er nach wie vor gut zu lesen und durchaus interessant. Erstmals in der Lord-Peter-Reihe geht es nicht wie üblich nur um seine Detektivarbeit; Lord Peter wandelt endlich auf Freiersfüßen. Das erweist sich jedoch als schwierig, seine Angebetete Harriet Vane wird von der Autorin als eine Person dargestellt, die trotz ihres bisher bekannten Lebenswandels durchaus moralische Skrupel hat; hin- und hergerissen zwischen ihrer Dankbarkeit gegenüber Lord Peter und der Befürchtung, dass ihr bisheriges Leben irgendwann die Beziehung zerstören würde, lehnt sie seine Anträge ab.

Es sei jedoch erwähnt, dass sich die Bemühungen von Lord Peter wie ein roter Faden durch seine nächsten Fälle zieht. Harriet Vane wird auch selbst in zwei Romanen als Detektivin tätig (allerdings bleibt die jeweilige Auflösung Lord Peter vorbehalten). Ein Happy End gibt es dann doch nach Jahren noch – und selbst das wird von der Autorin noch zu einem vergnüglichen Krimi verarbeitet.

Eigentlich sind alle Lord-Peter-Bücher lesens- und empfehlenswert, wenn man nicht gerade ein ausgewiesener Thriller-Fan ist. Diese Buch ist aber noch mal etwas besonderes, da Lord Peter hier in seinen Ermittlungen Unterstützung von Frauen erhält, die in der damaligen Zeit (und teilweise auch heute noch) leicht abschätzig betrachtet wurden: Künstlerinnen und allein stehende ältere „Frolleins“.

Meine Rezension beruht auf der 1982 im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH erschienenen Ausgabe. Die Werke von Dorothy L. Sayers sind auch weiterhin (mindestens online) als Bücher (neu und gebraucht), als Hörbücher und E-Books erhältlich. Einige Bücher wurden 1972 – 1975 für eine 21-teilige englische Fernsehrserie verfilmt, in den 70er und 80er Jahren wurden diese auch im Bayrischen Rundfunk ausgestrahlt. Es gibt DVDs davon, allerdings soweit mir bekannt ist, nur in englischer Sprache.

Dorothy L. Sayers, geboren am 13. Juni 1893 in Oxford als Tochter eines Pfarrers und Schuldirektors aus altem englischen Landadel, legte als eine der ersten Frauen an der Universität Oxford ihr Examen ab. In ihren Kriminalromanen etablierte sie – ungewöhnlich zu dieser Zeit! – eine adlige Detektivfigur. Ab 1923 (erstes Buch: Der Tote in der Badewanne oder auch Ein Toter zu wenig) ließ sie Lord Peter Wimsey ermitteln, das hier besprochene Buch erschien 1934 und spiegelt logischerweise die Denk- und Lebensweise der damaligen Zeit wider, also auch das, was sich für Frauen „geziemt“, selbständige Frauen wurden noch misstrauisch beobachtet.

 

Rezension und Foto von Monika Röhrig.

Starkes Gift | Erstveröffentlichung 1934
Angaben zur aktuellen E-Book-Ausgabe:
Veröffentlicht am 22. April 2014 bei Rowohlt
ASIN B0184SZZ36
1013 KB, ca. 295 Seiten | 4.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Adventsspezials Privatdetektive.

James Lee Burke | Flucht nach Mexiko Bd. 14

James Lee Burke | Flucht nach Mexiko Bd. 14

Im Staat Louisiana ist systematische Korruptionsanfälligkeit selbstverständlich. Die Kultur, die Denkart, die religiösen Einstellungen und die Wirtschaft unterscheiden sich in nichts von einem karibischen Staat. Wer glaubt, im Staat Louisiana zu Reichtum und Macht zu kommen, ohne mit dem Teufel Geschäfte zu machen, weiß höchstwahrscheinlich nichts vom Teufel und noch viel weniger über Louisiana. (Auszug Seiten 142-143)

Im Sommer 1958 arbeiten der blutjunge Dave Robicheaux und sein Halbbruder Jimmie in Galveston, Texas. Als die beiden ein wenig weit aufs Meer hinausschwimmen und auf einer Sandbank von einem Hai umkreist werden, kommt ihnen eine junge Frau zur Hilfe. Die Frau heißt Ida Durbin und arbeitet als Prostituierte in einem Stundenhotel. Jimmie verknallt sich in sie und ist entgegen Daves Rat wild entschlossen, sie aus der Prostitution herauszuholen. Dafür legt er sich sogar mit ihrem Zuhälter an. Doch als Jimmie am vereinbarten Treffpunkt eintrifft,um mit Ida aus der Stadt nach Mexiko zu verschwinden, ist Ida nicht da und taucht auch nicht wieder auf. Doch Jahrzehnte später holt Dave das Verschwinden von Ida Durbin wieder ein.

Dave besucht im Krankenhaus seinen Bekannten Troy Bordelon, der ihn im Sterbebett beichtet, dass er damals als Junge gesehen hat, wo Ida Durbin gefangen gehalten wurde. Aber auch er weiß nicht, was mit ihr anschließend passiert ist. Auf dem Weg nach draußen wird Dave von zwei Deputys angesprochen, die ihm auf den Zahn fühlen wollen, was Bordelon ihm verraten haben könnte. Dave ist alarmiert, denn die Deputys stehen auf der Gehaltsliste der einflussreichen Familie Chalon. Diese war bzw. ist neben zahlreichen legalen Geschäften auch an Bordellen beteiligt, unter anderem in Galveston, Texas. Nun ist es an Dave, der nun angestachelt ist, bei den Chalons aufzutauchen und unangenehme Fragen zu stellen. Dabei zieht er den Zorn von Valentine Chalon auf sich, Sohn des Patriarchen Raphael Chalon. Val Chalon, ein bekannter Fernsehjournalist, versucht daraufhin, Dave mit einer Schmutzkampagne aus dem Weg zu räumen.

Gleichzeitig benötigt noch ein anderer Fall Daves Aufmerksamkeit. Ein Serienmörder verschleppt im Bundesstaat Frauen und ermordet sie anschließend äußerst brutal. Auch in Daves Zuständigkeitsbereich als Deputy in New Iberia geschieht ein solcher Mord, zudem wird eine Zeugin, die Dave kurz zuvor in Sachen Familie Chalon befragt hatte, ermordet. Könnte es tatsächlich eine Verbindung von dieser Mordserie zu den Chalons geben?

„Sie sind unser ortsansässiger Attila. Ein bisschen Lagerfeuerrauch und Tierfett in ihren Haaren und Sie wären perfekt. Sie sind der letzte Dreck, Dave Robicheaux. Genauso wie ihre Frau. Sie ist ein Poser und eine Fotze. Das haben Sie nur noch nicht begriffen.“
Schluck den Köder nicht ermahnte ich mich. Doch es gibt Augenblicke, da ist dieser altmodische Rock ’n‘ Roll die einzige Musik in der Jukebox. (Seite 352)

Nicht nur die Kenner der Robicheaux-Reihe werden ahnen, was hier mit Rock ’n‘ Roll gemeint ist. Der gute alte Dave Robicheaux: Unbeherrscht, unvernünftig, aber immer auf der Seite der Gerechtigkeit – und sei auch ein Gesetzesbruch nötig, um diese herzustellen. Flucht nach Mexiko ist der vierzehnte Band der Reihe und endlich wieder eine deutsche Erstausgabe. Der Bielefelder Pendragon Verlag arbeitet sukzessive daran, die ganze Reihe mit Neuauflagen und Neuübersetzungen an den deutschen Leser zu bringen. Immerhin elf Bände und damit die Hälfte sind geschafft – in den Staaten erscheint bald Band 22 „The New Iberia Blues“. Der inzwischen über 80-jährige Altmeister James Lee Burke ist produktiv wie eh und je.

Auch in diesem Roman spielt Burke seine Fähigkeiten gekonnt aus. Flucht nach Mexiko ist ein souverän geplotteter Hardboiled-Krimi im reizvollen Schauplatz des Südens Louisianas, den der Autor wie üblich wortgewaltig in Szene setzt. Im Roman wird die allgegenwärtige Bigotterie des amerikanischen Südens behandelt, die sich in Korruption, Unterdrückung und Gewalt niederschlägt. Dave Robicheaux muss dabei wie üblich einiges einstecken. Verleumdungen durch Valentine Chalon, er steht unter Mordverdacht und wird wieder einmal von seinem Dämon, dem Alkohol, heimgesucht. Doch es gibt Hoffnung, neben seinem treuen, aber ähnlich unkontrollierbaren Kumpel Clete Purcel, erhält Dave eine neue Stütze: Die ehemalige Ordensschwester Molly wird in diesem Roman seine neue Partnerin.

In Flucht nach Mexiko wird die Reihe und das Genre nicht neu erfunden. Es gibt keine Extravaganzen, sondern Altbewährtes. Und das heißt bei James Lee Burke gewohnte Qualität, auf die sich der Leser blind verlassen kann. Harte Gewalt, Gesellschaftskritik und gleichzeitig ein feines Gespür und ein großes Herz für seine Figuren sowie einen warmen Blick für die atemberaubenden Landschaften Louisianas.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Flucht nach Mexiko | Erschienen am 4. Oktober 2018 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-621-8
480 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Weitere Rezensionen zu Romanen von James Lee Burke

B. A. Paris | Breakdown

B. A. Paris | Breakdown

Breakdown – Sie musste sterben. Und du bist schuld.

„Weil ich vermute, dass sie eine Panne hat, halte ich ein kleines Stück vor ihr und lasse den Motor laufen. Sie tut mir leid, weil sie unter so schrecklichen Umständen aus ihrem Auto steigen muss und während ich in den Rückspiegel sehe (…), stelle ich mir vor, wie sie nach ihrem Regenschirm tastet. Mindestens zehn Sekunden vergehen, bevor mir klar wird, dass sie nicht aussteigen wird (…).“ (Auszug Seite 12)

Cass kommt von einer Feier wieder und nimmt – trotz des Unwetters, das tobt – die Abkürzung durch den Wald. Sie sieht ein Auto am Rand stehen, in dem eine Frau sitzt. Cass hält an, aber als die Frau auch nach einigen Minuten keine Anstalten macht auszusteigen, fährt sie weiter nach Hause. Am nächsten Morgen erfährt Cass, dass die Frau im Auto ermordet wurde. Hätte Cass sie retten können?

Flüssiger Schreibstil

Breakdown von B. A. Paris wird in Ich-Form aus Sicht von Cass erzählt und die Kapitel sind in Tage untergliedert. Cass ist Lehrerin und startet gerade in die Sommerferien, als der Mord passiert. Sie ist mit Matthew verheiratet und beide wohnen in einem Haus unweit des Tatorts. Die Handlung lässt sich flüssig lesen und ich bin gut durch die Seiten gekommen.

Was hätte ich getan?

Spannend finde ich die Frage, wie ich mich selbst in dieser Situation verhalten hätte und ich muss zugeben, dass ich nicht mutiger gewesen und auch weiter gefahren wäre. Also konnte ich mich in dieser Entscheidung gut mit Cass identifizieren. In der ersten Hälfte fand ich die Protagonistin trotzdem etwas anstrengend und fast ein bisschen nervig, weil sie ziemlich von ihren Schuldgefühlen zerfressen wird und ich immer gedacht habe, nun erzähl es doch wenigstens mal jemanden oder gehe mit deinen Beobachtungen zur Polizei!

Nicht nur Schuldgefühle, sondern Hysterie

Als bei Cass dann noch andere Symptome und Vorkommnisse dazukommen und ihr Alltag völlig aus dem Ruder läuft, wirkt sie wie hysterisch und das kam mir ein wenig überzogen vor. Beispielsweise wird sie von stummen Anrufen terrorisiert und mein erster Gedanke war, einfach den Stecker dem Telefon zu ziehen und sich nicht davon verrückt machen zu lassen.

Die Wendung

Etwa in der Mitte der Geschichte kommt es dann zu einer Wendung, die mich überrascht hat und die Geschichte wird zu einem Psychothriller vom Feinsten. Ab hier macht alles Sinn, worüber ich mich im Vorfeld aufgeregt habe und ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

B. A. Paris wuchs in England auf, hat jedoch den Großteil ihres Erwachsenenlebens in Frankreich verbracht. Sie arbeitete in der Finanzbranche und als Lehrerin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren fünf Töchtern lebt sie auch heute noch in Frankreich. Dieses Buch ist der zweite Roman, der von der Autorin im Blanvalet-Verlag übersetz wurde.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Breakdown | Erschienen am 20. August 2018 bei Blanvalet
ISBN 978-3-7341-0264-6
448 Seiten | 9.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe