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Alex Reeve | Das Haus in der Half Moon Street (Band 1)

Alex Reeve | Das Haus in der Half Moon Street (Band 1)

Sein Spezialgebiet waren die Angeschwemmten, Hinabgestoßenen, Exhumierten und Vergifteten Londons, all die armen Teufel, deren Todesursache als verdächtig eingestuft wurde. Er schnitt sie auf und studierte ihre Innereien, und ich nähte sie wieder zu, so gut wie neu oder doch nicht viel schlechter, und schrieb die Befunde für die Polizei auf. (Auszug Seite 7)

Mit „Das Haus in der Half Moon Street“ startet Alex Reeve eine historische Krimiserie im viktorianischen London. 1880 arbeitet der junge, intelligente Leo Stanhope im Leichenschauhaus des Westminster Hospitals als Assistenten des Chirurgen Hurst. Stanhopes Leben gerät aus den Fugen, als eine weibliche Leiche mit eingeschlagenem Schädel auf seinem Tisch landet. Die Tote, die aus der Themse gefischt wurde, ist die Prostituierte Maria Milanes, die in einem Bordell in der Half Moon Street gearbeitet hat. Maria war Leos große Liebe, mit der er ein neues Leben beginnen wollte. Detective Ripley hat Stanhope sofort als Hauptverdächtigen im Visier und steckt ihn für eine Nacht ins Gefängnis. Für Leo eine lebensgefährliche Situation und sofort nach seiner Entlassung macht er sich auf die Suche nach dem wahren Mörder. Auch weil die Aufklärung von einem Prostituiertenmord bei der Polizei keine große Priorität hat. Bei seinen Nachforschungen entdeckt Leo, dass Maria ihm viele Sachen verheimlichte und ihm wird klar, dass er sie kaum kannte. Er macht auf eigene Faust Jagd nach dem Mörder, auch wenn er dabei Gefahr läuft, dass sein eigenes lang gehütetes Geheimnis dabei ans Licht der Öffentlichkeit kommen könnte.

Spoiler
Das Besondere an diesem historischen Krimi ist der Ich-Erzähler Leo Stanhope und ich war etwas unschlüssig, ob ich sein Geheimnis spoilern sollte. Aber dieses wird bereits auf den ersten Seiten gelüftet und ist ein Aspekt, der den Roman, wenn nicht prägt, dann aber doch sehr im Fokus steht. Leo Stanhope ist im Körper einer Frau geboren. Als Tochter eines Landpfarrers, damals noch Charlotte Pritchard, erkannte er schon früh, dass er im falschen Körper lebt und beschloss mit fünfzehn, als Mann aufzutreten und seine Familie Richtung London zu verlassen. Besonders sein engstirniger Vater, Reverend Ivor Pritchard hatte ihm das Leben zur Hölle gemacht. Lediglich mit seiner Schwester Jane hat er mittlerweile noch Kontakt, aber auch sie kann seinen Identitätswechsel nicht akzeptieren und will den Moralvorstellungen der damaligen Zeit geschuldet, nichts mit ihm zu tun haben.

Im 19. Jahrhundert galt Transition als Verbrechen. Transsexuelle führten ein Leben im Verborgenen, wollten sie nicht im Gefängnis oder im Irrenhaus landen, wo sie mit Elektroschocks oder Hirn-Operationen behandelt wurden. Diesem Aspekt wird vom Autor sehr viel Raum gewährt und man spürt sein Bemühen, Leos tägliche Herausforderungen seiner Zeit glaubhaft darzustellen. Das ist ihm auch gut gelungen, dank der Ich-Erzählperspektive bekommt man einen intensiven Eindruck von Leos Gefühls- und Leidenswelt, auch wenn es hin und wieder zu Wiederholungen kommt. Obwohl das Hauptaugenmerk schon auf seinen Schwierigkeiten im Alltagsleben liegt und für einige dramatische Situationen sorgt, fügt es sich doch mühelos in den Hauptplot ein. Mit den Ermittlungen in dem Kriminalfall ist es aber nicht verbunden und dass Leo trans ist, spielt dabei gar keine Rolle.

Das Flair des historischen London sowie die Gerichtsmedizin ziehen mich immer wieder an. Und Reeve nutzt das Potential einer Großstadt im viktorianischen Zeitalter auch perfekt aus und hat gründlich recherchiert, um ein realistisches Setting und Abbild der damaligen Gesellschaft zu erschaffen. Aber wenn es um die typisch düstere Atmosphäre geht, bietet der Roman nur Beliebiges, und ich habe das schon in anderen Lektüren besser gespürt. Andrerseits habe ich die Geschichte wirklich sehr gerne gelesen. Typisch für den Auftaktband einer Reihe nimmt der Autor sich viel Zeit, die Hauptfigur und einige wenige Charaktere ausführlich vorzustellen. Leo wohnt in einem kleinen Zimmer über der Apotheke eines Witwers und seiner altklugen Tochter zur Untermiete, die ums wirtschaftliche Überleben kämpfen. Er führt ein zurückgezogenes Leben, neben seiner Arbeit in der Pathologie und den Besuchen im Bordell trifft er sich einmal in der Woche zum Schachspielen. Frauen haben es in der Zeit nicht leicht, im weiteren Verlauf trifft Stanhope eine Engelmacherin und die Tortenbäckerin Rosie, die nach dem Tod ihres Mannes mit den Kindern alleine zu Recht kommen muss. Der Krimiplot ist nicht rasend spannend, aber flüssig geschrieben, mit einigen falschen Fährten und gibt dem Leser immer wieder Rätsel auf.

Trigger
Dabei wird auch Menschenhandel thematisiert und man sollte sich auf detaillierte Beschreibungen von Gewalt- sowie Missbrauchsdarstellungen einstellen. Besonders Stanhope ist aufgrund seiner Physis den Angriffen oft nicht gewachsen und bekommt das ein oder andere Mal ordentlich auf die Mütze. Der Autor schreckt auch nicht vor einer explizit geschilderten Vergewaltigungsszene zurück, sodass der historische Krimi sicherlich eine Triggerwarnung verdient hätte.

Im Nachwort erläutert der britische Autor seine Intention für die Verwendung einer Transgender-Hauptfigur in seinem Debüt-Roman. Er setzt sich dabei auch mit dem Vorwurf der kulturellen Aneignung auseinander, da er kein Trans-Mann ist. Vielleicht war es auch einfach nur eine schlaue Idee, auf den Mainstream-Zug aufzuspringen, denn Transgender-Themen sind in der Öffentlichkeit aktuell sehr präsent. Die Schwierigkeiten von Leos Leben im 19. Jahrhundert bilden zwar den Angelpunkt der Geschichte und werden feinfühlig dargelegt. Aber im nächsten Band könnte der Autor dann vielleicht dem Krimiplot mehr Raum geben und mehr Sorgfalt in die Ausgestaltung verwenden. Wenn dann die Besonderheit Leos mehr in den Hintergrund rückt und als selbstverständlich hingenommen wird, wäre ich gerne wieder dabei. Für mich ein solider Auftaktband mit einer besonderen, sympathischen Hauptfigur und Luft nach oben.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Das Haus in der Half Moon Street | Erschienen am 02.11.2021 bei Knaur TB
ISBN 978-3-426-52639-2
416 Seiten | 12,99 €
Originaltitel: The House on Half Moon Street (Übersetzung aus dem Englischen von Christine Gaspard)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Mathijs Deen | Der Holländer

Mathijs Deen | Der Holländer

„Und haben Sie Ihren Freund nicht gesucht?“, fragt Hans.
„Oder versucht, ihn zu retten“, ergänzt Jürgen.
Peter schweigt und schaut die beiden abwechselnd an. „Sie sind wohl noch nie im Watt unterwegs gewesen“, sagt er schließlich. „Sie haben offensichtlich keine Ahnung.“ (Auszug E-Book Pos. 413)

Zwei Männer gehen ins Watt, zu einem Rekordversuch vom Festland nach Borkum in einer Tour, der heilige Gral der Wattwanderer. Doch nur einer von beiden kommt in Borkum an und erzählt davon, wie der andere in einem Priel weggerissen wurden, er das Verbindungsseil verlor, der Freund abgetrieben wurde. Doch Peter Lattewitz steht unter Schock, ist offenbar auch etwas verwirrt. Hat es sich genau so abgespielt? Die Leiche seines Wattpartners, Klaus Smyrna, wird jedenfalls ein Stück entfernt auf einer Sandbank in der Ems gefunden und von einem niederländischen Patrouillenboot weggenommen. Erste Ermittlungen widerlegen die Unfallthese nicht. Doch da hat der Fall eine ganz andere Wendung genommen, wird plötzlich zum Politikum.

Der örtliche Chef der niederländischen Marechaussee hat nämlich nicht vor, den Leichnam an die deutsche Bundespolizei zu übergeben. Die deutsch-niederländische Grenze in der Emsmündung ist nicht eindeutig definiert. Seiner Meinung nach wurde die Leiche in den Niederlanden gefunden, daher soll es eine niederländische Ermittlung geben. Das sehen die Deutschen völlig anders und es kommt zum Kompetenzgerangel, leichten Verstimmungen und Provokationen. Derweil sendet die Bundespolizei Liewe Cupido, deutsche Mutter, niederländischer Vater, nach Delfzijl, um dort heimlich erste Ermittlungen aufzunehmen und mit bereitwilligen Kollegen auf der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Und je mehr Cupido sich mit diesem Fall befasst, desto mehr Unklarheiten ergeben sich. Eigentlich waren die Wattwanderer ein Trio, doch zufällig bei dieser Tour, die man akribisch vorbereitet hat, war der dritte Mann, Aron Reinhard, in England im Urlaub. Einiges rund um dieses Trio kommt Cupido merkwürdig vor. Waren Lattewitz und Smyrna wirklich alleine im Watt?

Er weiß genau, was er tut, obwohl es unmöglich ist, alle Risiken zu vermeiden. Ein Wattwanderer geht ungebahnte oder vom Meer ausgelöschte Wege. Es ist eine Umgebung voller Unwägbarkeuten, in der die Natur das Sagen hat. (Auszug E-Book Pos. 37)

Eine faszinierende Welt, dieses Watt. Aber auch unheimlich und gefährlich. Und diese Extrem-Wattwanderer sind Extremsportler, die die Grenzen ausreizen und Risiken eingehen. Absolut vergleichbar mit Bergsteigern, die sich akribisch auf eine Tour vorbereiten, Routen vorausplanen und auf die optimalen Wetterbedingungen warten. Das Wattenmeer der Nordsee mit seinen vorgelagerten Inseln birgt einige sehr herausfordende Watttouren und die Strecke vom Festland bei Manslagt (Gemeinde Krummhörn) bis nach Borkum ist mit mehr als 25km definitiv so etwas wie die Besteigung eines 8.000ers. Die Wattfläche nach Borkum läuft nie vollständig trocken, seichte Wasserflächen und mehrere Priele, die nur bei Nipptide und weiteren optimalen Windverhältnissen gerade so für Profis passierbar sind, müssen durchquert werden. Die Lektüre hat mich dazu gebracht, dieses Extrem-Wattwandern mal etwas zu recherchieren. Die Route Borkum-Festland ist wohl tatsächlich wohl nur von einer Handvoll Gruppen bis heute tatsächlich geschafft worden.

Mathijs Deen ist in seiner Heimat ein bekannter Autor und Rundfunkproduzent, mehrere seiner Werke sind auch ins Deutsche übersetzt worden. Mit „Der Holländer“ wagt er sich explizit ins Krimigenre, gleichwohl liegt sein Fokus weniger auf dem eher solider Plot als auf den Figuren. Liewe Cupido als einsamer, eher schweigsamer Ermittler passt in die friesische Landschaft. Die weiteren Figuren werden ebenfalls sorgsam beschrieben. Generell ist die Stimmung melancholisch, es geht um gekränkte Eitelkeit, Einsamkeit und Verlust. Der Roman ist auch direkt mit dem Schauplatz verbunden, das Watt und die Orte drumherum spielen eine zentrale Rolle. Deen vermeidet aber bewusst die Klischees touristischer Regionalkrimis. Ein bisschen schade für den geübten Krimileser ist die Tatsache, dass zumindest ich früh ahnte, in welche Richtung die Auflösung gehen würde. Dennoch insgesamt ein stimmungsvoller und mit interessanten Figuren bestückter Roman von der friesischen Küste.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der Holländer | Erschienen am 15.02.2022 im Mare Verlag
ISBN 978-3-86648-674-4
272 Seiten | 20,- €
als E-Book: ISBN 978-3-7517-1003-9 | 12,99 €
Originaltitel: De Hollander (Übersetzung aus dem Niederländischen von Andreas Ecke)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

A.K. Turner | Tote schweigen nie (Band 1)

A.K. Turner | Tote schweigen nie (Band 1)

Der Reißverschluss des Leichensacks öffnete sich und gab den Blick auf Cassies ersten Fall dieses Tages frei. Die halb offenen Augen der Frau, von verblüffend leuchtendem Blau, starrten blicklos zu ihr empor. (Auszug Seite 7)

„Tote schweigen nie“ ist der Auftakt einer neuen im Gerichtsmedizin-Milieu verorteten Serie. Die Protagonistin Cassandra Raven arbeitet seit 5 Jahren als Sektionsassistentin im Londoner Institut für Rechtsmedizin. Optisch fällt sie durch ihren Gothic-Look mit schwarz gefärbten Undercut, zahlreichen Tattoos und Gesichtspiercings auf. Dazu passt ihre etwas schroffe Art. Gar nicht mal so innovativ dachte ich beim Lesen des Klappentextes, alles schon mal dagewesen. Ich musste gleich an Abby Sciuto denken, die exzentrische Forensikwissenschaftlerin aus der beliebten Serie Navy CIS. Was mich aber gleich auf den ersten Seiten für die morbide Protagonistin eingenommen hat, ist ihre Leidenschaft und ihr Verantwortungsbewusstsein, mit der sie ihrer Arbeit nachgeht. Sie kümmert sich mit viel Feingefühl um die eingehenden Leichname, sieht sie als Menschen und hat das Gefühl, dass die Toten mit ihr kommunizieren und oft Hinweise auf ihre Todesursache geben. Es ist ihr wichtig, den Toten ihre Würde zu lassen und sie bemüht sich jedes Mal um eine respektvolle Verabschiedung durch die Hinterbliebenen. Eigentlich ist Cassie lediglich dafür zuständig, die Toten für die Obduktion vorzubereiten, aber dank ihrer guten Beobachtungsgabe hat sie schon manchen Pathologen vor groben Fehlern bewahrt.

Cassie hatte schon immer ein spezielles Verhältnis zum Tod. Bereits mit 4 Jahren verlor sie ihre Eltern bei einem Autounfall und wuchs bei ihrer polnischen Großmutter auf. Ihre coole Babcia hat sie immer unterstützt und fand nie was dabei, ihrer Enkelin gefrorene Eichhörnchen zu Studienzwecken zuzustecken. In ihrer Jugend rebellisch und unangepasst kam sie mit Drogen in Berührung und wäre als Junkie auf die schiefe Bahn geraten. Nur ihre engagierte Lehrerin Geraldine Edwards glaubte an sie und bestärkte sie, den Schulabschluss auf der Abendschule nachzuholen.

„Meine Zeit ist noch nicht gekommen.“
Umso schockierter ist Cassie, als Mrs E als Leiche auf ihrem Sektionstisch landet. Die 51-Jährige war erst vor kurzem in den Ruhestand getreten und soll in der Badewanne ertrunken sein. Es finden sich keine Hinweise auf eine unnatürliche Todesursache und eine forensische Obduktion wird daher abgelehnt. Und obwohl nichts auf ein Verbrechen hindeutet, ist Cassie überzeugt, dass ihre ehemals kerngesunde Mentorin, der sie so viel zu verdanken hat, ermordet wurde. Hartnäckig beginnt sie auf eigene Faust Nachforschungen zu stellen.

Unterstützung bekommt sie überraschend von der distanzierten Detective Sergeant Phyllida Flyte, die Cassie wegen einer aus dem Institut spurlos verschwundenen Leiche eines alten Mannes im Verdacht hat. DS Flyte wirkt auf den ersten Blick spröde, reserviert und ist jemand, der sich strikt an die Regeln hält. Damit stellt die Autorin Cassie eine eher reservierte sowie überkorrekte Ermittlerin zur Seite. Die beiden anfangs so konträr wirkenden Charaktere bilden ein sehr spezielles Team, das sich erst notgedrungen zusammenrauft und dann langsam annähert. Dabei stellt sich heraus, dass beide in ihrer Arbeit sehr gewissenhaft sind und moralisch integer handeln.

Die einzelnen Kapitel sind jeweils aus der Sicht einer der Hauptfiguren geschrieben, sodass die Story aus beiden Blickwinkeln erzählt wird. Die verschiedenen Fäden laufen geschickt zusammen und enden mit einem Twist am Ende sowie einer überraschenden Auflösung. Ein Großteil der Handlung spielt in der Leichenhalle und man erfährt in vielen aufschlussreichen Details von der Arbeit in der Pathologie und den Möglichkeiten, Todesursachen aufzudecken. Der Fokus liegt auf gut recherchierten und authentisch dargestellten Fakten zu den Themen Obduktion und Forensik. Die Ermittlungen in dem Kriminalfall sowie Ravens eigenmächtiges Vorgehen, das sie selbst in einige Gefahrensituationen bringt, spielen erst im weiteren Verlauf eine Rolle. Daher ist es eher ein ruhiger Krimi mit einer kontinuierlichen Spannung und moderatem Tempo als ein blutiger Thriller, bei dem die Aufklärung des ungeklärten Todesfalles im Vordergrund steht. Der Schreibstil ist flüssig und die Geschichte glänzt mit schrägen Charakteren.

Fazit
A.K. Turner hat das Rad nicht neu erfunden, aber auf einen weiteren Band mit dem Duo Raven/Flyte würde ich mich freuen, da ich die Dynamik der beiden unterschiedlichen Hauptfiguren interessant fand und hier durchaus noch Entwicklungspotenzial sehe. In diesem Auftaktband hat sich die Autorin viel Zeit genommen, mit den beiden Charakteren und ihrer Arbeit bekannt zu machen. Ich fand die Einblicke interessant und authentisch geschildert, habe aber auch eine Schwäche für Krimis und Thriller, in denen Forensik und Gerichtsmedizin eine Rolle spielen. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass sie in einem zweiten Band mehr Gas geben kann. Cassandras Zwiegespräche mit den Toten sind natürlich schräg, wirken aber nie lächerlich und werden ganz sensibel in der Geschichte verwoben und nicht so plakativ wie auf dem Klappentext beschrieben.

A.K. Turner ist eine englische TV-Produzentin, die Dokumentarfilme und True-Crime-Dokumentationen für den BBC dreht. Die Figur Cassandra Raven entwickelte die Londoner Autorin ursprünglich für eine BBC Radio-Sendung.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Tote schweigen nie | Erschienen am 1.September 2021 bei Droemer
ISBN 978-3-426-2824-9
400 Seiten |16,- Euro
Originaltitel: Body Language (Übersetzung aus dem Englischen von Marie-Luise Bezzenberger)
Bibliografische Angaben und Leseprobe

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2021

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2021

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Dezember 2021

 

Agatha Christie | Das Geheimnis des Weihnachtspuddings – Geschichten zum Fest

Auf der Suche nach etwas Besinnlichem griff ich zu dem in Rot und Lebkuchenfarben gestaltetem Büchlein mit Kurzgeschichten zum Fest von Agatha Christie. Diese spielen zumindest alle in der Weihnachtszeit und in den ersten beiden dürfen natürlich ihre legendären Protagonisten, der Meisterdetektiv Hercule Poirot und die gewiefte Hobby-Ermittlerin Jane Marple nicht fehlen. Die titelgebende Geschichte „Das Geheimnis des Weihnachtspuddings“ ist eine ganz klassische Detektivstory um einen verschwundenen Edelstein und ein orientalischer Thronfolger in Nöten. Diese nimmt den Hauptteil des Buches ein und versprüht noch am meisten weihnachtliches Flair. Wir erleben traditionelle, britische Feiertage auf dem Land bei einer gutsituierten Familie mit Dienstpersonal. Der belgische Gentleman ist genau der richtige für diesen delikaten Fall, den er natürlich durch den Einsatz seiner grauen Zellen, clevere Beobachtungen und gerissenes Fallenstellen mit diplomatischem Geschick zu lösen weiß.

Sollte es ihm merkwürdig vorkommen, dass die meisten Hausbewohner draußen gewesen waren und Poirot in Schlafanzug und Mantel antanzte, so ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. (Auszug Seite 84)

In „Eine Weihnachtstragödie“ erzählt Miss Marple eine tragische Geschichte, die sie selbst erlebt hat und in der sie einen Mord zwar mit ihrem unerreichten Spürsinn erahnt, aber nicht verhindern kann. Komplettiert wird das durch eine weitere Kurzgeschichte und ein Märchen mit einem Esel als Hauptfigur zuzüglich eigenen Weihnachtserinnerungen, bei der die Queen of Crime mal ihre besinnliche Seite offenbart. Insgesamt sind das ganz nette Geschichten für einen Nachmittag, die mich zum Schmunzeln brachten und immerhin mal wieder richtig Lust auf Agatha Christie gemacht haben. Der feine Humor gepaart mit gepflegter Sprache, die britische Lebensart mit viel Nostalgie war genau das, was ich grade benötigte.

 

Das Geheimnis des Weihnachtspuddings | Erschienen am 04.10.2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-4550-0469-4
176 Seiten | 12,00 Euro
Zusammenstellung von Daniel Kampa (Übersetzung aus dem Englischen von Renate Orth-Guttmann, Michael Mundhenk und Lia Franken)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Krimi

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

 

Max Annas | Der Hochsitz

Ein Dorf in der Eifel, unweit der luxemburgischen Grenze. Es sind Osterferien im Jahr 1978. Die beiden 11jährigen Mädchen Sanne und Ulrike durchstreifen aufmerksam die Gegend, ihr Lieblingsplatz ist ein Hochsitz am Waldrand. Und es passieren einige Dinge in diesen Tagen: Im Nachbarort wird eine Bank überfallen, die Grenzbeamten bereiten sich auf eine Aktion gegen Grenzschmuggler vor, ein Fremder klappert in einem Cadillac Bauernhöfe in der Gegend ab und macht unmoralische Kaufangebote und zwei fremde Frauen fahren durchs Grenzgebiet und wollen unerkannt bleiben. Dann geschieht ein Mord, nachts mitten auf der Dorfstraße – und Sanne und Ulrike haben ihn als einzige gesehen. Doch auf sie hört natürlich niemand, sodass die beiden selber auf Spurensuche gehen.

Nach seinen beiden letzten Romanen über Mordermittlungen in der DDR, bleibt Max Annas mit seinem neuen Roman „Der Hochsitz“ in der Vergangenheit. Diesmal aber in der BRD, im Jahr 1978 ist die Angst vor dem Terrorismus der RAF auch in der Eifel hochpräsent. Doch dass zwei Zwölfjährige das Fahndungsplakat aus der Post geklaut haben, ahnt niemand. Überhaupt gibt es so einige Dinge, die an der Polizei vorbei laufen. Max Annas entwirft mit verschiedenen Perspektiven und schnellen Wechseln ein eher tristes Panorama eines Landstrichs, der von Ängsten geprägt scheint: Angst vor Terroristen, vor Fremden, vor Existenzverlust, vor der Zukunft allgemein. Ein Leben im bundesdeutschen Mief der 1970er, bis sich auf einmal die Ereignisse überschlagen. Dabei wird der Plot in einzelne Stränge zerteilt, die sich ab und an treffen, aber oft auch etwas im Ungefähren bleiben. Dennoch eine anregende Lektüre, bei der vor allem das Setting überzeugt.

 

Der Hochsitz | Erschienen am 20.07.2021 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-498-00208-4
272 Seiten | 22,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: Krimi

 

Stuart MacBride | Der Garten des Sargmachers (Band 3)

Ex-Polizist Ash Henderson und die Psychologin Dr. Alice McDonald sind Mitglieder einer externen Expertengruppe, die von der schottischen Polizei in speziellen Fällen aktiviert wird. Eigentlich sind sie gerade auf der Jagd nach einem Kindermörder, als sie kurzzeitig abkommandiert werden. In einer kleinen Siedlung an einer Steilküste sind in einem Sturm ein Teil der Klippen abgestürzt. Auch das verlassene Haus eines gewissen Gordon Smith befindet sich nun kurz vor dem Absturz, als man bemerkt, dass in seinem Garten offenbar zahlreiche Leichen vergraben wurden. Henderson kann zwar noch mal kurz ins Haus und einige Fotos sichern, doch die Bergung der Leichen ist unmöglich. Doch die Fotos genügen, um Hendersons Verdacht zu erhärten: Smith ist ein brutaler Serienmörder und er wird weitermorden. Was dem Fall besondere Brisanz verleiht: Offenbar war eine junge Frau, noch minderjährig, aus der Nachbarschaft schon seit Kindertagen mit Smith bekannt und befindet sich in seiner Gewalt.

Wenn man mal im Nachhinein ganz nüchtern an diesen Thriller herangeht, muss man schon gestehen, dass das Ganze ein teilweise abstruser Plot mit gleich zwei Serienmördern ist, was zumindest meine Lesegewohnheiten nicht mehr so richtig trifft. Das Gute daran ist allerdings, dass – anders als so manche (auch deutsche) Autorenkollegen – Stuart MacBride die ganze Nummer nicht so verkrampft und bierernst nimmt. Er schreibt, um zu unterhalten und täuscht keine Bedeutungsschwere vor. Das drückt sich vor allem in seiner skurrilen Figurenschar und im typisch schwarzen schottischen Humor aus. Insofern ist „Der Garten des Sargmachers“ ordentliche Thrillerunterhaltung, allerdings ohne zu brillieren und vielleicht auch einen Tick zu lang.

 

Der Garten des Sargmachers | Erschienen am 18.10.2021 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-49233-6
636 Seiten | 11,- €
Originaltitel: The Coffin Maker’s Garden (Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Jäger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Thriller

 

 

 

John le Carré | Silverview

In London übergibt eine junge Frau einen Brief ihrer an Krebs erkrankten Mutter Deborah Avon an einen Mr. Proctor, offensichtlich ein Mann vom Geheimdienst. Gleichzeitig erhält der junge Buchhändler Julian Lawndsley, der aus der Londoner City in ein kleines Kaff an der Küste von East Anglia gezogen ist, in seinem Laden Besuch von einem seltsamen Mann, Edward Avon. Dieser stellt sich als ehemaliger Studienfreund von Julians verstorbenem Vater vor und ermutert ihn, das bisher leerstehende Kellergeschoss seiner Buchhandlung zum Aufbau einer intellektuellen, philosophischen Bibliothek aufzubauen. Avon selbst hilft mit und nutzt Julians Computer zur weiteren Recherche. Währenddessen hat Stephen Proctor die Witterung aufgenommen, denn es gibt offenbar einen Maulwurf – und die Spuren führen nach „Silverview“, dem Landsitz der Avons.

Vor knapp einem Jahr starb der große Meister des Spionageromans John le Carré und hinterließ ein fast fertiges Manuskript, dass sein Sohn Nicholas Cornwell, selbst Autor unter dem Pseudonym Nick Harkaway, behutsam fertigstellte. Die Story breitet sich sehr langsam und behutsam aus – eine schwierige Ehe, beide Eheleute im Geheimdienst tätig, sie allerdings die erfolgreichere und nun offenbar ein Geheimnisverrat. Alternde Spione mit ihren letzten Winkelzügen und dazwischen die neue Generation, die das Ganze etwas kopfschüttelnd betrachtet. Le Carré packt nochmal die bekannten Themen aus: Lüge, Verrat, Liebe und Loyalität. Und natürlich die Desillusionierung der Geheimdienstarbeit. Le Carré war immer der Mann fürs Intellektuelle anstatt für Geheimdienstaction, so wird „Silverview“ auch zurecht als Roman und nicht als Thriller vermarktet. Denn für mich plätscherte es zum Teil schon etwas vor sich hin. Insgesamt aber dennoch ein solides Werk, dem man das Können le Carrés auch in den schwächeren Momenten anmerkt.

 

Silverview | Erschienen am 18.10.2021 im Ullstein Verlag
ISBN 978-3-55020-206-3
300 Seiten | 14,80 €
Als E-Book: ISBN 978-3-84372-635-1 | 19,99 €
Originaltitel: Silverview (Übersetzung aus dem Englischen von Peter Torberg)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Spionageroman

Fotos und Rezensionen 2-4 von Gunnar Wolters.

Deon Meyer | Todsünde (Band 8)

Deon Meyer | Todsünde (Band 8)

„Stabsfeldwebel, Bennie? Ein scheiß Stabsfeldwebel? Das ist echt erniedrigend!“, seufzte Vaughn Cupido. „Und dann ausgerechnet Laingsburg. Das ist das Fegefeuer, Pappie. Das ist der Abgrund, das ist Heartbreak Hotel, das ist am Arsch der Welt, mitten im Nirgendwo. Kennst du die Karoo? Wenn du im Sommer nicht vor Hitze krepiert bist, stirbst du im Winter vor Kälte. ..“ (Auszug Pos. 892 E-Book)

Bennie Griessel und sein Partner Vaughn Cupido müssen sich nach den Geschehnissen in Band 7 (Beute) vor einem Disziplinarverfahren verantworten. Trotzdem ist der vorliegende Band eine in sich geschlossene Geschichte und kann ohne Vorkenntnisse gelesen werden. Nach der Anhörung werden die beiden Captains der Valke zu Stabsfeldwebel degradiert und sollen in die tiefste Provinz nach Laingsburg versetzt werden. Das ist nicht nur sehr demütigend, sondern würde sie auch finanziell vor große Probleme stellen. Besonders Bennie kämpft als trockener Alkoholiker wieder mit den Gedanken an einen Rückfall. Aufgrund der Schützenhilfe ihrer Chefin Kolonel Mbali Kaleni müssen sie dann aber ihren Strafdienst im beschaulichen Stellenbosch nahe Kapstadt antreten, und das sorgt erst mal für eine kurze Erleichterung. In Stellenbosch haben die beiden Superstars der südafrikanischen Polizei zunächst einen schwierigen Stand und werden von den Kollegen misstrauisch beäugt. Im Polizeialltag mit viel Fußarbeit angekommen, nehmen sie aber ihren ersten Routineauftrag sehr ernst. Callie de Bruin, ein junger Student wird von seiner besorgten Mutter vermisst gemeldet. Der hochintelligente Junge, aus einfachen Verhältnissen kommend, konnte nur mit einem Stipendium an der Uni studieren. Er gilt als Computernerd, der sich sehr zurückgezogen nur um sein Studium kümmert und kein Interesse an Partys, Drogen oder gar Liebschaften zeigt.

Der meistgehasste Mann von Stellenbosch
In einem weiteren Handlungsstrang verfolgen wir die Immobilienmaklerin Sandra Steenberg, die mit der Vermittlung von Luxusimmobilien als Alleinverdiener das Geld für ihre Familie mit zwei kleinen Kindern nach Hause bringt. Das gestaltet sich immer schwieriger, denn der Immobilienmarkt läuft schlecht. Die im ganzen Land grassierende Korruption hat verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Immer weniger Ausländer wollen in Südafrika investieren, während immer mehr wohlhabende Einheimische ihr Geld außer Landes bringen. Zusätzlich hat die Pleite des zwielichtigen, milliardenschweren Geschäftsmanns Jasper Boonstra viele Menschen in Stellenbosch um ihr Geld gebracht. Als ausgerechnet Boonstra die attraktive Sandra mit dem Verkauf seines Weinguts Donkerdrif beauftragt, hofft sie auf die ersehnte Wende, denn die zu erwartende hohe Provision wäre ihre Rettung und würde sie mit einem Schlag aus ihren Schulden befreien. Sandra will ganz alleine das Ruder rumreißen und ihrem Ehemann, einem Lektor für englische Literatur, der ausgerechnet jetzt ein Sabbatjahr genommen hat, um einen Roman zu schreiben, nicht mit den Sorgen belasten. Auch ihren Schwiegereltern, die die Nichtakademikerin nie wirklich akzeptieren konnten, will sie es beweisen. Boonstra zeigt nicht nur geschäftliches Interesse an ihr und die Situation droht zu eskalieren. Für den Deal muss sie eine Verschwiegenheitsklausel unterzeichnen und kann so ihrem Ehemann nichts von ihren Problemen erzählen.

Ein chaotischer Scheißhaufen von gigantischem Ausmaß
Der Beginn ist aber erstmal sehr spektakulär und actiongeladen. Seit einiger Zeit kommt es am Westkap zu den sogenannten Transit-Raubüberfällen, bei der immer die gleiche Bande von ca. 10 Leuten in 4 gestohlenen Autos Transporter anhalten und ausrauben. Cupido und Bennie sind dabei, als es bei einem Spezialeinsatzkommando zu einer wilden Schießerei mit einer großen Ansammlung von Gewehren und Handfeuerwaffen kommt, das in einem Fiasko endet oder wie Cupido es später ausdrückt „ein chaotischer Scheißhaufen von gigantischem Ausmaß“.

Nach diesem dramatischen Beginn, fast drehbuchreif geschrieben und hier zeigt Meyer sein ganzes Können, plätschert die Geschichte ein bisschen vor sich hin. Die Schwierigkeiten der Immobilienmaklerin und auch die Besorgnis der Mutter des vermissten Studenten nehmen viel Raum ein, sind aber so treffend beschrieben, dass man sich sehr gut in die Figuren einfühlen kann. Man fiebert und bangt mit Sandra Steenberg mit, die es nicht nur mit dem schmierigen, sexistischen Boonstra zu tun hat, sondern sich auch noch gegen ihren raffgieren Chef zu Wehr setzen muss. Meyers Vermögen, konstant nachvollziehbare Menschen zu zeigen, begeistert mich immer wieder. Auch das Privatleben der beiden Valken kommt nicht zu kurz, sorgen sich beide doch aufgrund der Degradierung um die Zuneigung ihrer Liebsten. Cupido kämpft mit seinen Pfunden, was amüsant zu lesen ist, mir aber in der Häufigkeit der Erwähnung fast schon zu viel war.

Wie für Deon Meyer typisch bewegen sich die losen Erzählfäden eine ganze Weile nebeneinander her, um dann in einem hochexplosiven Showdown aufeinander zu prallen, einschließlich einiger Zufälle. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Griessel und Cupido erhalten anonyme Briefe, in denen auf einen Verräter in den eigenen Reihen hingewiesen wird und ein hochrangiger Polizist wird auf offener Straße erschossen. Deon Meyers achter Benny-Griessel-Band „Todsünde“ ist ein kurzweiliger, gekonnt geschriebener Thriller, sprachlich auf hohem Niveau. Er zeigt ein lebendiges Südafrika mit gierigen Superreichen, der armen Bevölkerung und gibt auch kritische Einblicke in den korrupten Staat.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Todsünde | erschien am 16. August 2021 bei Rütten & Loening
ISBN 978-3-352-00966-2
477 Seiten | 20,00 Euro
Originaltitel: Donkerdrif (Übersetzung aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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