Monat: August 2025

Sara Paretsky | Wunder Punkt (Band 22)

Sara Paretsky | Wunder Punkt (Band 22)

Ich persönlich war die Verantwortung so leid. Ich war nicht Privatdetektivin geworden, um die Bürde von anderer Leute Sorgen zu tragen, sondern weil es mich reizte, die Hintergründe bestimmter Verbrechen aufzudecken. Mehr noch, ich genoss es, wenn ich für etwas Gerechtigkeit sorgen konnte. (Auszug S. 34)

V.I. Warshawski ist eine echte Veteranin. 1982 ermittelte die Privatdetektivin aus Chicago zum allerersten Mal in „Indemnity Only“ (Dt. „Schadenersatz“). Gibt es eigentlich eine aktuelle Ermittlerfigur, die länger permanent im Einsatz ist? Jedenfalls ist Vic Warshawski scheinbar unverwüstlich, denn in „Wunder Punkt“ schickt sie ihre Schöpferin Sara Paretsky in ihren 22. (!) Einsatz. Doch auch an Veteraninnen geht nicht alles spurlos vorüber.

Einer ihrer letzten Fälle hat Vic nämlich schwer mitgenommen. Für ihren Partner Peter spürte sie eine Studentin auf, eine Transfrau, die sich vor ihren Eltern versteckte. Diese wiederum beschuldigten Peter, für die Situation verantwortlich zu sein. Zwar schwieg Vic über den Aufenthaltsort, doch ein zweiter Detektiv spürte sie ebenfalls auf. Der Vater kam mit einer Waffe, er erschoss sein Kind und sich selbst. Vic kam zu spät, um das Blutbad zu verhindern. Doch die Tat hat sie schwer mitgenommen, zudem kam es zum Zerwürfnis mit Peter, der sich als Archäologe zu einer längeren Ausgrabung in Europa angeschlossen hat.

In dieser Situation war es für ihr Quasi-Patenkind Bernie schwer, Vic zu einem Trip nach Lawrence, Kansas zu überreden, um ihrer Mitbewohnerin Angela, einer erfolgreichen College-Basketballerin, bei einem Spiel zuzusehen. Und noch schwerer ist es, Vic am Morgen nach dem Spiel zu bitten, nach einer anderen Kommilitonin, Sabrina, zu suchen, die ebenfalls als Fan mitgekommen ist, aber nun in der Nacht verschwunden ist. Widerwillig nimmt sich Vic der Sache an, erfährt, dass Sabrina in einer Krise steckte und sucht in der begrenzten Drogenszene von Lawrence. In einem heruntergekommenen Haus außerhalb der Stadt, das offenbar für Drogenpartys genutzt wird, findet sie schließlich Sabrina in kritischem drogenberauschtem Zustand. Ihre Mutter, Angestellte eines hochrangigen Unternehmens in der Rüstungsbranche, beauftragt Vic, mehr herauszufinden. Also sieht sich Vic nochmal im Drogenhaus um und findet die Leiche einer Frau im Keller, die sie mehreren Tagen vermisst wurde. Inzwischen gerät Vic selbst ins Visier der Behörden, darf das County nicht mehr verlassen, sogar das FBI taucht in Lawrence auf.

Die Getötete Clarina Coffin hatte mehrfach für Aufsehen gesorgt, da sie sich in den Geschichtslehrplan an der Schule eingemischt hatte und Ungerechtigkeiten zu Zeiten der Staatsgründung von Kansas angeprangert hatte. Doch wer hatte ein Motiv, sie zu ermorden? Vic wird immer noch selbst verdächtigt und hat wenig Vertrauen in die örtlichen Ermittler. Somit nimmt sie selbst die Ermittlungen in die Hand, fast allein, nur eine hochmotivierte Lokaljournalistin und zwei alte Freunde, die einen Schrottplatz betreiben, stehen ihr zur Seite. Vic gräbt tief und begibt sich in große Gefahr, denn sie macht sich in Lawrence einige Feinde, denn die Machenschaften reichen bis in höhere Kreise.

Das alles wird zu einem (nicht ungewöhnlich für V.I. Warshawski) sehr komplexen Fall, in dem es um Landraub, illegale Grundstückgeschäfte und viel Geld in der Zukunft geht, sodass Besitzansprüche aus alten Zeiten eher lästig sind. Neueinsteiger in die Serie (der Einstieg ist durchaus möglich) sollten wissen, dass die Story sehr dezidiert und kleinteilig entwickelt wird, auf wohl dosierte Spannungsmomente muss allerdings keinesfalls verzichtet werden. Kenner schätzen allerdings die ausgereifte Entwicklung des Plots, die starken Dialoge und generell den Biss der unbeugsamen Privatschnüfflerin.

Verlegerin und Übersetzerin Else Laudan hat am Ende noch ein ausführliches Glossar angelegt, um die wichtigsten Begriffe nochmal für den Leser detaillierter zu erläutern. Denn Sara Paretsky greift hier Themen auf, die von der Gründung des Staates Kansas und seiner ambivalenten Rolle in Fragen der Sklavenhaltung bis hin zu Serverfarmen und Bitcoinmining reichen. Ein wenig hätte man die Geschichte vielleicht straffen können, aber sei es drum. „Wunder Punkt“ ist ein starker gesellschaftskritischer Krimi aus dem Herzen der Vereinigten Staaten, in dem die angeschlagene Vic Warshawski auch im 22.Fall unerschütterlich und mit großem persönlichem Einsatz für Gerechtigkeit einsteht. Die Autorin kommt im September übrigens nach längerer Zeit mal wieder nach Deutschland zu einer Lesetour, die Termine sollte man sich merken.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Wunder Punkt | Erschienen am 10.06.2025 im Argument Verlag
ISBN 987-3-86754-281-4
500 Seiten | 25,- €
Originaltitel: Pay Dirt | Übersetzung aus dem Englischen von Else Laudan
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von Sara Paretsky

Candice Fox | Devil’s Kitchen

Candice Fox | Devil’s Kitchen

Der neue Thriller von Candice Fox spielt im Milieu der New Yorker Feuerwehr. Die „Engine 99“ ist eine Eliteeinheit und genießt mit ihrem Anführer Matt Roderick, der 9/11 überlebt hat, viel Respekt. Für viele eine Truppe wahrer Helden, die täglich ihr Leben riskieren, um andere Leben zu retten. Doch unter dem Vorwand Brände zu löschen, werden tatsächlich oft geeignete Räumlichkeiten ausgespäht, um diese zu einem späteren Zeitpunkt im Schutze eines Brandeinsatzes auszurauben. Während Flammen lodern, verschwinden Geld und Schmuck aus Banktresoren und Juwelierläden nach ausgefeilten Plänen.

Nachdem bei einem der Raubzüge ein Officer erschossen wurde, schleust das FBI die freiberuflich tätige Ermittlerin Andy Nearland ein, die die Männer der „Engine 99“ überführen soll. Doch private Gefühle und Machtspielchen mit ihrem Vorgesetzten sowie unerwartete Sympathien zum Feuerwehrmann Ben Haig machen diesen Einsatz zum persönlichsten und gefährlichsten ihrer Karriere, bei dem jeder Schritt zur Gratwanderung wird und jedes falsche Wort sie verraten könnte.

Ich hatte noch keinen Roman der australischen Thriller-Autorin Candice Fox gelesen, die Grundidee hat mich hier besonders gereizt, der Plot versprach spektakuläre Aktionen und das dramatisch und düster gestaltete Cover „knisternde“ Spannung. Gleich zu Beginn stürzt man temporeich mit Perspektivwechseln und schnellen Schnitten ins Geschehen. Der Prolog schildert eine brenzlige Situation, in der Andy von Matt und seinen Leuten augenscheinlich enttarnt wird. Bevor es zum Äußersten kommt, geht die Handlung ein paar Monate zurück und wird abwechselnd aus Bens oder Andys Perspektive geschildert. Der Erzählstil ist visuell, direkt und voll rauer Dialoge. Obwohl nach dem Klappentext und den ersten Seiten durchaus Potential bestand, hat mich das Buch leider in großen Teilen enttäuscht.

Schon das Einschleusen von Andy war durch Unprofessionalität und viele planlose Aktionen gekennzeichnet. Reichte der im Klappentext beschriebene Grund nicht aus, um eine Undercover-Agentin einzuschleusen? Nein, als die Freundin des Feuerwehrmannes Ben Haig samt kleinem Sohn spurlos verschwindet, verdächtigt Ben, für mich nicht nachvollziehbar, seine Mannschaft. Mit der Vermutung, seine Kollegen hätten beide getötet, wendet er sich hilfesuchend an die Polizei und bietet an, auszupacken und sein Team und damit auch sich selbst ans Messer zu liefern. Die Kabbeleien zwischen Andy und Ben waren nervig, besonders Andy handelt oft sehr übergriffig, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Durch die Aneinanderreihung von dilettantischen Aktionen wollte sich für mich keine richtige Spannung einstellen. Die Autorin scheint zu viel gewollt zu haben, denn durch die vielen Geheimnisse, die aufgelöst werden wollen, entsteht ein ziemliches Durcheinander. Da ist Andys Vorgeschichte, die lange im Dunkeln bleibt, dann die verschwundene Familie Bens, der getötete Officer, es gibt noch einen verunglückten Feuerwehrkamerad und der eigentliche Kern der Geschichte, die ausgeklügelten Raubüberfälle kommen für mich zu kurz.

Engo war natürlich vorn, den Schlauch wie einen großen schlaffen Schwanz über dem Arm, das Kinn vorgereckt. … Engo zog immer gern eine Show ab, wenn er in brennende Gebäude wie dieses marschierte, als wäre das alles Routine. Kein großes Ding…. Ben hatte Engo über Leichen gehen sehen, als wären sie Knicke im Teppich. (Auszug Seite 10)

Moralisch ambivalente Charaktere in einem Roman finde ich höchst interessant, aber die Figuren in Devil’s Kitchen sind alle extrem überzeichnet. Und korrupte Helden mit moralischen Abgründen habe ich auch schon mal besser gelesen, ich sage nur Don Winslow. Jeder Feuerwehrmann der Einheit hat massive Probleme von Spielsucht bis zu gewalttätigen Aussetzern. Dann ist da noch Superwoman Andy, die jeden Job innerhalb weniger Wochen erlernt. Die Sprache der Feuerwehrleute ist derb und vulgär, sie wirken wie Stereotypen aus einem amerikanischen B-Movie, allesamt Machos, die auch nur Unsinn in hölzernen Dialogen reden. Vielleicht lag es auch an der Übersetzung, aber um mal ein Beispiel zu nennen, es kommt mehrmals das Wort „Schlenkerpuppe“ für eine leblose Gestalt vor.

Schade, eine kriminelle Feuerwehreinheit, die eigentlich dein Freund und Helfer sein sollte und eine weibliche Ermittlerin, die sich undercover in der frauenfeindlichen Umgebung behauptet, hatte sich nach einer explosiven Mischung angehört.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Devil’s Kitchen | Erschienen am 14. April 2025 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47490-7
431 Seiten | 18,00 €
Originaltitel: ‎ Devil’s Kitchen | Übersetzung aus dem Englischen von Andrea O‘Brien
Bibliografische Angaben & Leseprobe