Monat: Dezember 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2022

Kurzrezensionen Dezember 2022

Arttu Tuominen | Was wir verbergen

Ende des letzten Jahres erschien „Was wir verschweigen“ von Arttu Tuominen, der erste Band mit Kommissaren der Kriminalpolizei aus Pori in Nordwestfinnland. Damals stand Jari Paloviita im Fokus, als er einem mordverdächtigen Jugendfreund zu Hilfe kommt und die Ermittlungen beeinflusst. Für mich ein überzeugender Krimi.

Nun gibt es Band 2 aus Pori und diesmal steht Jaris Kollege Henrik Oksman im Fokus des Romans. Er ist ein stiller Einzelgänger im Präsidium. Was niemand weiß: Henrik ist homosexuell und verkleidet sich gern als Frau. Er verbringt einen Abend in einem queeren Nachtklub in Pori, findet dort Anschluss und verlässt mit seinem Begleiter den Club in ein nahegelegenes Hotel. Kurz darauf wirft ein Attentäter zwei Granaten in den Eingangsbereich des Clubs, fünf Menschen sterben. Ein Bekennervideo zeigt einen fanatischen Mann, der weitere Taten ankündigt und andere aufruft, ebenfalls in seinen Kampf gegen Schwule und vermeintlich Andersartige zu ziehen. Es folgen hektische Ermittlungen nach dem Täter, währenddessen Henrik verschweigt, dass er kurz vor dem Attentat im Club war und mit aller Macht versucht, sein Geheimnis zu bewahren.

Eine sehr interessante Idee des Autors, die Prämisse des ersten Romans – ein Ermittler, der in einem aktuellen Fall etwas zu verbergen hat – wieder aufzugreifen. Das funktioniert auch, denn obwohl man annehmen könnte, dass Homosexualität im modernen Finnland unproblematisch wäre, stehen der private Hintergrund Henrik Oksmans als Gegenbeispiel. Erzkonservative, homophobe und rassistische Gegenbewegungen gibt es offenbar auch in Finnland. Der Roman überzeugt am meisten bei der komplexen Figur Oksman und am wenigsten bei der etwas schematischen Figur des Attentäters. Insgesamt aber eine ordentliche Fortsetzung des starken ersten Bands.

 

Was wir verbergen | Erschienen am 28.10.2022 bei Bastei Lübbe
ISBN 978-3-7857-2811-6
366 Seiten | 16,99 €
Als E-Book: ISBN 978-3-7517-2811-9 | 11,99 €
Originaltitel: Hyvitys | Übersetzung aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Krimi

 

Michael Mann & Meg Gardiner | Heat 2

Um Regisseur Michael Mann ist es ein wenig still geworden, seine letzter Kinofilm „Blackhat“ von 2015 war ein veritabler Flop. Kein Wunder, dass er sich nun seines größten Erfolgs erinnert hat: „Heat“ von 1995 ist ein sowohl actionreiches als auch tief melancholisches Heist-Drama, ein Klassiker des Genres, mit großartigen Schauspilern wie Robert de Niro und Al Pacino. Zusammen mit der Kriminalautorin Meg Gardiner hat Michael Mann nun „Heat 2“ geschrieben, dass sowohl Prequel als auch Sequel von „Heat“ ist. Die Verfilmung soll angeblich bereits in den Startlöchern stehen.

Die Cineasten unter uns werden es wissen (Zur Not erläutern die Autoren etwas umständlich im Prolog auch nochmal den Schluss von Heat): Beim Showdown am Ende überlebt Chris Shiherlis (gespielt von Val Kilmer) schwer verletzt und entkommt der Polizei um Vincent Hanna. Aus dieser Ausgangsposition wird erzählt, wie Chris in Paraguay in der rauen Schmugglerstadt Cuidad del Este bei einer taiwanesischen Mafiafamilie unterkommt und sich dort hocharbeitet, vor allem in der Gunst der Tochter des Clanchefs, die obwohl deutlich cleverer als ihr Bruder, nicht an die Spitze des Clans aufrücken soll. Währenddessen wird die Vorgeschichte erzählt: Nach einem Coup in Chicago 1988 geraten Neil McCauley und seine Crew mit Chris ins Visier eines soziopathischen Kriminellen, der ihnen den nächsten Coup streitig machen will. Zum Ende werden alle Fäden wieder in L.A. Im Jahr 2000 zusammenführen.

Jetzt kann man natürlich etwas streiten, ob es unbedingt einer Fortsetzung bedurft hätte. Ästhetisch und inhaltlich knüpfen Mann & Gardiner an Bestehendem an, haben wenig Neues zu bieten, geben den bekannten Figuren keine wesentlichen neuen Attribute. Andererseits ist das Ganze auch auf einem respektablem Niveau. Der Spannungsbogen überzeugt, man bleibt bis zum Schluss dran und fühlte sich gut unterhalten. Insofern nicht übel, man sehen, was der Film kann.

 

Heat 2 | Erschienen am 27.09.2022 bei HarperCollins
ISBN 978-3-3650-0228-5
688 Seiten | 14,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-7499-0516-4 | 9,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: Krimi

 

Michelle Paver | Schneegrab

April 1935: Von Darjeeling aus bricht eine Gruppe britischer Bergsteiger zum Kangchenjunga auf, dem dritthöchsten Berg der Welt. Sie bewegen sich auf der Route einer Expedition um den Leiter Edmund Lyell knapp dreißig Jahre zuvor, die im Desaster endete, wobei Lyell dank eines von ihm veröffentlichten heroischen Expeditionsberichts zum Bergsteigerhelden wurde. Doch ging es damals so zu, wie von ihm berichtet? Stephen Pearce, Arzt der neuen Expedition, kam erst spät ins Team, will sich unbedingt beweisen – und doch beschleicht ihn ein merkwürdiges Gefühl, auch aufgrund des Aberglaubens der einheimischen Träger. Als die Gruppe schließlich den Berg erreicht, hat Stephen Erscheinungen. Irgendjemand scheint die Gruppe zu begleiten und zu beobachten.

Autorin Michelle Paver begibt sich mit „Schneegrab“ in den Himalaya und hat eine Mischung aus historischem Bergsteigerroman und Mysterythriller vorgelegt. Der Schauplatz ist interessant gewählt, ihre Recherchen scheint die Autorin auch gemacht zu haben, allerdings habe ich schon packendene Bergsteigergeschichten gelesen. Das Ganze ist weniger eine Horror als eine Schauergeschichte. Nicht schlecht, vor allem die Auflösung fand ich durchaus clever. Allerdings plätscherte es für mich zwischendurch auch so ein wenig dahin. Die Entscheidung, die Story von Stephen als Ich-Erzähler erzählen zu lassen, macht zwar Sinn, aber ich fand die übrigen Figuren dadurch etwas blass vom Profil. So fand ich „Schneegrab“ ganz ordentlich für zwischendurch, aber da wäre aus meiner Sicht noch mehr drin gewesen.

 

Schneegrab | Erschienen am 01.12.2021 im Piper Verlag
ISBN 978-3-492-06345-6
304 Seiten | 17,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-492-60178-8 | 12,99 €
Originaltitel: Thin Air | Übersetzung aus dem Englischen von Karin Dufner
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: Mysterythriller

 

Graham Moore | Verweigerung

Ein Geschworenenprozess in Los Angeles: Die 15jährige Jessica Silver, Tochter eines Immobilienmoguls, verschwindet. Wegen Mordes wird ihr Lehrer Bobby Nock angeklagt, der offenbar ein Verhältnis mit Jessica hatte und in dessen Auto Blutspuren von Jessica gefunden wurden. Die Geschworenen tendieren zunächst zu einem Schuldspruch, entscheiden aber letztlich nach längerer Beratung und Intervention hauptsächlich einer Geschworenen auf „nicht schuldig“ und stehen fortan unter scharfer Kritik. Im Mittelpunkt der Kritik steht Maya Seale, die anschließend selbst Jura studiert und Anwältin wird. Zehn Jahre später trommelt eine TV-Produktionsfirma die Geschworenen wieder zusammen. Einer von ihnen, Rick, behauptet, hieb- und stichfeste Beweise für die Täterschaft Bobby Nocks gefunden zu haben. Maya bezweifelt dies, streitet sich mit Rick und findet diesen kurz danach ermordet in ihrem Hotelzimmer. Plötzlich wird Maya zur Hauptverdächtigen.

Justizthriller waren durch John Grisham in der 1990ern auf einmal sehr populär. Das amerikanische Rechtssystem mit Geschworenenurteilen lädt natürlich auch immer wieder zu interessanten Plots ein. Hier erzählt Autor Graham Moore sehr versiert auf zwei Zeitebenen: Zum einen beleuchtet er den Prozess von damals, nach und nach erfährt der Leser, was damals in den Beratungen der Geschworenen geschehen ist und was zum Freispruch von Bobby Nocks geführt hat. Zum Anderen verfolgen wir Maya in der Gegenwart, die nur widerwillig an dem TV-Event teilnimmt, plötzlich mordverdächtig ist und nun selbst ermittelt, um sich zu entlasten. Insgesamt ein clever erzählter Justizthriller mit einigen interessanten Wendungen und einigen bissigen Spitzen gegen das amerikanische Justizsystem.

 

Verweigerung | Erschienen am 21.12.2020 im Eichborn Verlag
ISBN 978-3-8479-0053-5
400 Seiten | 22,- €
Als Taschenbuch: ISBN 978-3-8479-0108-2 | 12,- €
Originaltitel: | Übersetzung aus dem Englischen von André Mumot
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Genre: Spannungsroman

 

Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

Johannes Groschupf | Die Stunde der Hyänen

Johannes Groschupf | Die Stunde der Hyänen

An der Brücke lief er hinüber nach Neukölln und bog in die Dunkelheit einer kopfsteingepflasterten Seitenstraße ab. Jetzt ging er aufrecht, ließ sich Zeit, war nichts weiter als ein Spaziergänger. Vor zwei Tagen war er in heller Panik davongerannt, als der Mann aus dem Bulli herausgekrochen kam und plötzlich vor ihm auftauchte. Das würde ihm nicht mehr passieren. (Auszug S.60)

Ein Feuerteufel geht um im Kreuzberg. Nacht für Nacht gehen Autos in Flammen auf, eines Nachts auch der Bulli, in dem Radek Malarczyk schläft, seitdem ihn seine Frau aus der Wohnung geworfen hat. Radek überlebt mit schweren Verbrennungen, doch die Bürger werden zunehmend unruhig. Die Polizistin Romina Winter, zum Branddezernat strafversetzt und dort im Innendienst versauernd, will den Brandstifter unbedingt alleine dingfest machen. Dazu tut sie sich mit der Journalistin Jette Geppert zusammen, die die Ereignisse für eine Berliner Tageszeitung begleitet. Dabei stoßen sie auch auf Maurice Jaenisch, den Postboten, Mitglied einer christlichen Sekte, schwer verliebt in Britta aus seiner Glaubensgemeinschaft, die ihn allerdings hinhält.

Radek, ein ehemaliger Fernfahrer, spätestens nachdem er eine Radfahrerin an der Oberbaumbrücke totgefahren hat, schwer dem Alkohol zugeneigt, gibt sich den seinem Krankenhausaufenthalt geläutert, hat zu Gott gefunden und zieht nun predigend durch die Straßen. Den Täter hat er erkannt, doch er liefert ihn nicht der Polizei aus. Und so brennt es Nacht für Nacht weiter und die Stimmung heizt sich immer weiter auf.

Die Sessel vor den Monitoren waren unbequem, nach einer halben Stunde hatte sie Rückenschmerzen. Kopfschmerzen auch, denn die Bänder der Überwachungskameras zeigten verschneite oder verzerrte Bilder wie einem Amateurfilmer der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts.
„Wir haben gestochen scharfe Bilder von der Rändern unserer Galaxie“, sagte Romina. „Aber aus Lichterfelde und Reinickendorf schicken sie uns Pixelmatsch.“ (Auszug S.182)

„Die Stunde der Hyänen“ ist der dritte Kriminalroman von Autor Johannes Groschupf, der mich im letzten Jahr mit „Berlin Heat“ sehr begeistert hatte. Der Roman ist keine Fortsetzung, greift mit der Polizistin Romina eine Figur prominent wieder auf. Anders als in „Berlin Heat“ steht aber kein einzelner Protagonist im Vordergrund, sondern es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Auch das Tempo ist hier reduzierter, gedämpfter, schließlich gibt es hier viele Szenen zu nachtschlafender Zeit. Johannes Groschupf greift hier verschiedene Themen auf, die er vorwiegend über seine Figuren transportiert. Gewalt gegen, Mißbrauch, Mißachtung von Frauen tauchen hier auf verschiedenen Ebenen auf, zentral auch der Umgang mit Schuld und Scham.

Im einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur stellt Johannes Groschupf heraus, dass er in seinen Romanen seine Menschenbegegnungen in seiner Stadt Berlin verarbeitet, ohne große didaktische Hintergedanken zu haben, was gesellschaftlich relevante Themen betrifft. Das merkt man dem Roman auch an, er streift durch die Milieus, lässt verschiedene Persönlichkeiten aufeinanderprallen, nimmt uns mit durchs nächtliche Berlin. Das wirkt ganz natürlich, organisch – von den Dialogen bis zu den beschriebenen Milieus. Groschupf erschafft wieder mal einen modernen Berlinroman und gleichzeitig einen spannenden Thriller, ganz ohne Leiche. Der Autor hat sich direkt mit seinen ersten Romanen in der ersten Riege deutscher Krimiautoren etabiert und offenbar hat er vor, dort zu verweilen.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Die Stunde der Hyänen | Erschienen am 21.11.2022 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47300-9
265 Seiten | 16,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu „Berlin Heat

Tade Thompson | Fern vom Licht des Himmels

Tade Thompson | Fern vom Licht des Himmels

Das Raumschiff „Ragtime“ soll knapp 1000 Menschen zur Kolonie auf dem Planeten Bloodroot bringen. Michelle „Shell“ Campion die frisch ausgebildete erste Maat auf dem Schiff und für die Passagiere verantwortlich. Doch eigentlich übernimmt eine KI das Schiff vollständig auf der knapp zehnjährigen Reise durchs All. Somit werden alle Passagiere, auch Shell, in einen künstlichen Schlaf versetzt. Als Shell schließlich im Orbit von Bloodroot wach wird und alles kontrolliert, stellt sie entsetzt fest, dass 31 Passagierkapseln leer sind. Sie findet schließlich einen großen Haufen zerstückelter Leichen. Auch die KI des Schiffs verhält sich merkwürdig, führt nicht alle Befehle aus. Auf Shells Notruf hin begibt sich der Ermittler Rasheed Fin mit seinem künstlichen Ermittler Salvo von Bloodroot aus zur „Ragtime“.

Fin ermittelt offen, verdächtigt auch Shell. Oder ist noch jemand an Bord? Während der Ermittlungen geschehen weitere seltsame Dinge, sie werden sabotiert, von Bots angegriffen. Von der Raumstation „Lagos“ gelangen schließlich noch Shells Patenonkel Larry, ein erfahrener Raumfahrer, und seine Tochter Joké, halb Mensch, halb Alien, zur „Ragtime“. Die Unfälle und Attacken an Bord häufen sich, die „Ragtime“ wird zunehmend instabil. Irgendjemand will die Aufklärung der Ereignisse um jeden Preis verhindern. Bald kämpfen die fünf ums nackte Überleben.

Fin fürchtet, dass er im Tumult des Überlebens etwas übersehen wird. Noch dazu sind sie im All. Am Abgrund. Möglich, dass er tatsächlich sterben wird. Der üble Scheiß, dass weiß Fin auf einer instinktiven, molekularen Ebene, kommt auf ihn zu wie ein Drecksasteroid oder ein Herzinfarkt oder so. Auf diese Art wird er sterben. Im All. Er wird inmitten von Fremden und Robotern ersticken. (Auszug S.112)

Zu Beginn des Jahres hatte ich bereits mit „Athos 2643“ von Nils Westerboer einen spannenden Science Fiction-Roman gelesen. Nun habe mit Tade Thompson einen äußerst erfolgreichen Autor des Genres ausprobiert. Thompson ist in London geboren, in Nigeria aufgewachsen, Arzt und Psychiater, und hat schon mehrere renommierte Science Fiction-Preise gewonnen, vor allem für seine „Wormwood Trilogy“. Diese Romanreihe ist allerdings auf der Erde in der Zukunft angesiedelt, mit „Fern vom Licht des Himmels“ begibt er sich in fiktive Weiten des Weltraums und hat dabei einen interessanten Genre-Mix aus klassischer Science Fiction, Thriller, Afrofuturismus und Krimi geschaffen. In Sachen Krimi wagt sich Thompson an die hohe Kunst des Locked-Room Mystery. Ausgehend von der vermeintlich ersten und berühmtesten dieser Geschichten, „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ von Edgar Allen Poe, haben sich viele AutorInnen dem Mysterium eines Mordes im verschlossenen Raum gewidmet. Thompson übernimmt diesen Ansatz nun in den Weltraum, in ein jahrelang reisendes Raumschiff ohne Zugang von außen.

Der Autor bleibt dabei nicht nur auf der „Ragtime“, sondern wechselt ab und an den Schauplatz nach Bloodroot und vor allem nach Lagos, um die politischen Hintergründe um das Drama aufzuzeigen. Daneben beleuchtet er vor allem die beiden Protagonisten Shell und Fin intensiver. Dennoch bleibt einiges gewollt mysteriös, vor allem das Verhältnis zwischen Menschen und Aliens sowie künstlichen Personen oder Hybriden. Vermutlich hat Tade Thompson seine Aufgaben gut gemacht und zahlreiche Referenzen auch des Science Fiction-Genres eingebaut, da bin ich allerdings zu wenig bewandert, um das alles zu identifizieren.

Der Plot ist über weite Strecken abwechslungsreich und spannend, allerdings muss ich gestehen, dass für mich ab der Auflösung ein kleiner Bruch drin war. Die Geschichte kann nur noch kurz die Spannung halten, wechselt auch in die Perspektive des Täters und kann die Intensität nicht mehr halten. Auch die Auflösung selbst war für mich nicht der große Wurf, geradezu irdisch und für den Weltraum etwas banal, wie es mir schien. In der Hinsicht hatte das philosophisch geprägte „Athos 2643“ mir mehr zu bieten. Interessant ist die Konstellation, dass die Transitstation Lagos überwiegend von nigerianischen Kolonisten bewohnt wird. So bleibt es aber ein weitgehend gelungener Weltraumkrimi mit verschiedenen interessanten, auch gesellschaftskritischen Versatzstücken, bei dem mich der Plot aber zum Schluss nicht vollständig überzeugt hat.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Fern vom Licht des Himmels | Erschienen am 27.10.2022 im Golkonda Verlag
ISBN 978-3-96509-059-0
381 Seiten | 20,- €
Original: Far from the light of heaven | Übersetzung aus dem Englischen von Jakob Schmidt
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Greg Buchanan | Sechzehn Pferde

Greg Buchanan | Sechzehn Pferde

Sechzehn Pferde, hatte Alec berichtet. Und die Schweife – alle abgetrennt. Sie liegen auf einem Haufen. Die Art, wie die Schweife, nun regennass, ineinander verstrickt waren. Die Art, wie die Augen immer noch vom Boden aufsahen. Und ihre Anordnung … diese groben Kreise … Er hatte nicht den Eindruck, dass dies der Ort eines Verbrechens war. Es wirkte eher wie der Ausdruck eines Wunsches. (Auszug Seite 35)

In dem englischen Küstenstädtchen Ilmarch werden 16 Tierkadaver gefunden. Die Pferde wurden nachts auf einer Farm unbemerkt abgeschlachtet und ihre abgetrennten Köpfe in eigenartiger Weise arrangiert. Dem ermittelnden Polizisten Alec Nichols bietet sich ein bizarrer Anblick: Nur die Köpfe der grausam getöteten Pferde wurden kreisförmig in den Ackerboden eingegraben, während ein Auge in den Himmel blickt. Von den Körpern der Tierleichen keine Spur, lediglich die Schweife werden in der Nähe gefunden. Die schockierte örtliche Polizeidienststelle ist überfordert und die Veterinärforensikerin Dr. Cooper Allen wird hinzugezogen. Durch ihre Erfahrung als ehemalige Tierärztin versucht sie zusammen mit Detective Sergeant Nichols die Botschaft zu entschlüsseln, versucht rauszufinden, was mit den Pferden geschehen sein könnte.

Dr. Cooper Allen, eine verschlossen und unterkühlt wirkende Person, geht bei den Befragungen behutsam und zurückhaltend vor. Trotzdem halten sich die Bauern bedeckt, wollen nichts gesehen oder gehört haben. Auch DS Nichols wirkt oft abwesend und in sich gekehrt. Er kämpft nach dem Tod seiner Frau als alleinerziehender Vater eines Sohnes gegen Depressionen und wirkt teilweise überfordert.

Der düstere Kriminalroman ist in einem ehemaligen Urlaubsort an der Ostküste Englands angesiedelt, der mittlerweile durch Globalisierung und Rezession wirtschaftlich abgehängt wurde. Die Hotels werden inzwischen entweder als Sozialwohnungen genutzt oder Obdachlosen überlassen. Die jungen Leute wandern ab, denn es gibt keine Arbeit mehr, Betriebe und Geschäfte schließen, Straßen und Gebäude verfallen. Ilmarch ist am Ende, das wirklich Bedrückende ist aber, dass die verbliebenen Menschen einfach weiter machen, in unheimlicher Stille dahin vegetieren und in Verbitterung und Hass versinken.

Der Klappentext hatte mich enorm angefixt und der Ansatz, eine Ermittlung von Tierleichen aus aufzuziehen, neugierig gemacht. Ohne Vorwarnung wird man sofort in die Geschichte hineingezogen, und es geht gleich spannend los. Durch die kurzen Kapitel und die damit einhergehenden Sprünge muss man allerdings dranbleiben und aufpassen, nicht den Faden zu verlieren. Aufgrund der Kadaver in der Erde entwickelt sich ein hochansteckender Krankheitserreger. Als der Ort unter Quarantäne gestellt wird, damit sich die Infektion nicht weiter ausbreitet, überschlagen sich die Ereignisse. Es kommt zu weiteren Todesfällen und Nichols Sohn Simon verschwindet urplötzlich.

Und hier wird die ohnehin schon krude Handlung richtig verworren. Den Erzählstil empfand ich sehr anstrengend und nicht leicht konsumierbar. Ständig wird irgendwohin gesprungen, auch auf der Zeitebene, hier eine Traumsequenz, dort ein Gespräch. Es ist schwierig, der Story zu folgen, man verliert den Überblick, dazu die schrägen Figuren, die teilweise sehr übertrieben agieren und sich in ihrem Weltschmerz verlieren. Es gibt auch keine zielgerichtete Ermittlung, die zu einer schlüssigen Lösung führt. Die beiden Protagonisten Nichols und Allen werden wie zwei verlorene Seelen, die einen bizarren Fall aufklären wollen, mehr durch das Geschehen getrieben als es zu bestimmen. Obwohl man ihre innere Zerrissenheit und Verzweiflung jederzeit spürt, baute ich keine Bindung zu ihnen auf. Dazu ist die Geschichte voller Gewalt, besonders gegen Tiere und die detaillierten Beschreibungen von Tierquälereien muss man aushalten. Trotzdem ist es bis zum Schluss fesselnd und ich wollte wissen, wie es zu Ende geht. Leider war die Auflösung dann für mich eher unbefriedigend.

Greg Buchanan, ein Drehbuchautor für Videospiele hat mit seinem Debütroman einen Krimi von hoher literarischer Qualität über den Untergang eines fiktiven, entlegenen Kaffs an der Ostküste Englands vorgelegt, für die er eindringliche Bilder findet. Ein Roman, der grade wegen seiner Gewalt gegen Tiere nichts für schwache Nerven ist und eine bedrohliche und verstörende Atmosphäre kreiert. Einen roten Handlungsfaden sucht man vergebens, der Autor ist nicht vordergründig an dem Krimiplot interessiert, setzt mehr auf Melodramatik und Schwermut. „Sechzehn Pferde“ ist ein Roman mit Tiefgang über den Niedergang eines englischen Dorfes, der Einblicke in die Abgründe menschlicher Seelen bietet.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Sechzehn Pferde | Erschienen am 23. Februar 2022 im S. Fischer Verlag
ISBN 978-3-103-97488-1
448 Seiten | 22,00 Euro
Originaltitel: Sixteen Horses | Übersetzung aus dem Englischen von Henning Ahrens
Bibliografische Angaben & Leseprobe