Tag: 14. April 2019

Martin von Arndt | Sojus

Martin von Arndt | Sojus

Würde ihm ein Gespräch mit Sarkis dabei helfen, seine Fragen zu klären? Oder waren diese Fragen im Grunde nichtig? Ging es ihm nicht vielmehr um seine quälend werdende Sinnfrage… um das Verlangen, seine Ruhe, die er in Würzburg gefunden hatte, zu tauschen gegen – ja, wogegen denn? Vielleicht gegen etwas Vertrautes, etwas Ähnliches wie – Heimat.
Oder bürdete er diesem Unbekannten, den er biologisch seinen Sohn nennen durfte, damit eine Last auf, die der unmöglich tragen konnte? (Auszug Seite 95)

Ex-Kommissar Andreas Eckart hat sich im Jahr 1956 eigentlich zur Ruhe gesetzt, als er von Dan Vanuzzi, seinem ehemaligen Partner beim amerikanischen Militärgeheimdienst CIC, kontaktiert wird. Vanuzzi, wie Eckart bei den Amerikanern in Ungnade gefallen, arbeitet neuerdings für den britischen MI6. Er hat Kontakt zu einer Quelle beim ungarischen Geheimdienst, die ihm ein brisantes Dossier über sowjetische Agenten anbietet. Vanuzzi muss nach Budapest, um an das Dossier zu kommen. Doch dort spitzt sich die Lage gerade zu, der Volksaufstand ist im Gange und alles wartet auf die Reaktion der Sowjets. Um Eckart zum Mitkommen zu überreden, verrät Vanuzzi ihm den Namen eines in Ungarn operierenden Sowjetagenten: Sarkis, Eckarts Sohn mit der armenischen Rebellin und Terroristin Aghawni, den er nie kennengelernt hat. So begeben sich die beiden über Umwege nach Ungarn und bewegen sich dort im Untergrund.

Sojus ist der dritte Teil der Reihe um den Psychoanalytiker und Kommissar Andreas Eckart. Interessant an dieser Reihe sind die großen Zeitsprünge zwischen den Bänden. Band 1, Tage der Nemesis, spielt Anfang der 1920er vor dem Hintergrund des Völkermords der Türken an den Armeniern und der instabilen Weimarer Republik. In Band 2, Rattenlinien, ist Eckart nach dem zweiten Weltkrieg auf der Suche nach sich absetzenden Ex-Nazis. Der vorliegende dritte Band greift zunächst einen Strang aus dem zweiten Band wieder auf und beginnt 1948.

Eckart wurde von den Amerikanern in einer Psychiatrie interniert, da sie befürchten, diese könnte schmutzige Deals mit Ex-Nazis an die Öffentlichkeit bringen. Seine ehemaligen Partner Rosenberg und Vanuzzi, inzwischen in Diensten des neu gegründeten israelischen Geheimdienstes, wollen ihn dort herausholen. Die nun folgende Befreiungsaktion ist zwar durchaus spannend, aber wirkt auf mich wie ein Fremdkörper im Rest des Buches, das acht Jahre später spielt. Außer Vanuzzi taucht keine Figur im weiteren Verlauf mehr auf und der Aufenthalt in der Psychiatrie scheint Eckart acht Jahre später kaum noch zu beeinträchtigen.

Ansonsten greift Autor von Arndt allerdings wieder den ersten Teil der Reihe auf: Eckart hatte damals eine Liebesbeziehung zu einer Armenierin. Dieser Liebe war keine gemeinsame Zukunft vergönnt, doch es entstand ein Sohn aus dieser Beziehung. Mehr als dreißig Jahre später ist Sarkis in Diensten des KGB. In Ungarn agiert er als Agent provocateur. Er versucht den Volksaufstand zu radikalisieren, um einen Vorwand für ein sowjetisches Eingreifen zu liefern. Sarkis ist ein kommunistischer Kader geworden. Kann die Begegnung mit seinem Vater ihn ideologisch erschüttern?

Sojus hat seine besten Szenen, wenn Eckart und Vanuzzi das Geheimversteck verlassen und durch die umkämpften Straßen der ungarischen Hauptstadt streifen. Diese Abschnitte sind sehr intensiv und das Setting authentisch. Was ich ein wenig schade finde: Die beiden Hauptfiguren (die ansonsten gut „harmonieren“) kommen von außerhalb, so dass sie irgendwie nur dabei, statt mittendrin sind. Ein detaillierter ungarischer Blick fehlt. Die Ereignisse werden von Dritten wiedergegeben. Trotzdem wird gut deutlich, wie die Ungarn von den Westmächten im Stich gelassen wurden. Einen Konflikt mit den Sowjets wollte niemand riskieren, allerdings sagte man dies den Ungarn nicht so deutlich. Stattdessen sorgten sich Großbritannien und Frankreich um den Zugang zum Suezkanal und intervenierten lieber in Ägypten militärisch. Was der Autor im Nachwort nochmal als durchaus traumatisch beschreibt und nach seiner Ansicht das schwierige Verhältnis der Ungarn zum Westen bis heute teilweise beeinflusst.

Insgesamt ist Sojus ein solider, durchaus spannender Spionage-/Politthriller mit unverbrauchtem Setting. Ein wenig Luft nach oben ist aber vorhanden, zumal auch der Vater-Sohn-Konflikt noch schärfer hätte beleuchtet werden können, die Figur Sarkis bleibt zudem insgesamt zu unscharf. Dennoch gehört die Reihe zu den interessanteren historischen Krimis/Thrillern aus deutscher Feder.

Sojus | Erschienen am 26. Februar .2019 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 978-3-86913-974-6
296 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension von Gunnar zu Tage der Nemesis bei Lovelybooks, Rezension von Anne Kuhlmeyer zu Rattenlinien im Crimemag