Kategorie: noir | hardboiled

William McIlvanney & Ian Rankin | Das Dunkle bleibt

William McIlvanney & Ian Rankin | Das Dunkle bleibt

In Städten wimmelt es von Verbrechen. In allen. Das ist einfach so. Kommen genügend böse Menschen an einen Ort zusammen, macht sich das Böse in irgendeiner Form bemerkbar. Liegt in der Natur der Sache. Und ist den Bürgern meist nur unterschwellig bewusst. (Auszug Anfang)

Anfang der Siebziger in Glasgow. Seit drei Tagen liegt Bobby Carter erstochen in einer Gasse hinter einem Pub. Der korrupte Anwalt war die rechte Hand von Cam Colvin, einer Glasgower Unterweltgröße, die einen Großteil der Arbeiterstadt managt. Sein Konkurrent ist John Rhodes, ein weiterer gefürchteter Gangsterboss und dass der Leichnam in seinem Revier liegt, gerät schnell zu einem Problem. Colvin, ein raubeiniger, ruppiger Schläger betrachtet den Mord als Anschlag seines größten Rivalen auf sein Herrschaftsgebiet. Ein dritter Gangsterboss, Matt Mason mischt auch noch mit, so dass das Glasgow Crime Squad einen erbitterten Bandenkrieg befürchtet. Detective Constable Jack Laidlaw wird mit den Ermittlungen betraut. Der schlaue Einzelgänger im Polizeidienst ist für sein besonderes Gespür für die Straße bekannt, wird aber auch trotz großer kriminalistischer Erfolge aufgrund seiner unangepassten Art gefürchtet. Der Enddreißiger ist ein unkonventioneller Charakter, der aus seiner Verachtung für Intimfeind DI Ernie Milligan, der seiner Meinung nach die falschen Fährten verfolgt, keinen Hehl macht. Sein neuer Partner DS Bob Lilley bekommt dies direkt zu spüren.

„Er ist ein Unikat in einer Welt der Massenproduktion. Kein Polizist, der zufällig auch Mensch ist. Er ist ein Mensch, der zufällig auch Polizist ist, und die Bürde schleppt er überall mit sich herum.“ Auszug Seite 279

Laidlaw nutzt seine Verbindungen zur Glasgower Unterwelt, dessen Machtverhältnisse und Geschäfte ihm vertraut sind, um den ausgesprochen verwickelten Fall zu lösen. Als Ermittler alter Schule löst man seiner Meinung nach Kriminalfälle nicht am Schreibtisch, sondern auf der Straße. Trotz der relativen Kürze der Geschichte tauchen viele Figuren auf, die einen beim Lesen fordern und schnell den Überblick verlieren lassen. Die Ermittlungen halten einige Überraschungen bereit, bis Laidlaw schlussendlich durch seine unorthodoxe Arbeitsweise eine völlig unerwartete, aber schlüssige Lösung für Bobby Carters Ermordung gefunden hat.
Zeitlich spielt die Handlung innerhalb weniger Tage, bietet solide Spannung à la Whodunit aber noch mehr stimmige Milieustudien und eine fesselnde Zeitreise. Es sind die 70er Jahre, Hochzeit des Glasgower Gangstermilieus mit mafiösen Strukturen. Frauen werden bei der Polizei höchstens als Hilfskräfte sprich Tippsen eingesetzt. Das düstere Grundszenario wird durch kurze Kapitel, viele knackige Dialoge mit Sprachwitz zu den Lesenden transportiert.

Laidlaw ist eine sehr widersprüchliche Figur. Aus einer Arbeiterfamilie stammend, beschäftigt er sich gerne mit den großen Philosophen, dessen Bücher in seinem Schreibtisch liegen und die er gerne zitiert. Er liebt es Bus zu fahren, um Menschen und Umgebung zu studieren. Den Tätern gegenüber häufig verständnisvoll und mitfühlend aber ohne große Illusionen, werden seine Ehefrau Ena und die drei kleinen Kinder dagegen sträflich vernachlässigt. Anstatt nach Hause zu seiner Familie zu gehen, trifft er sich nach Dienstschluss lieber mit seinem neuen Partner auf ein Guinness im Pub und sinniert über Recht und Gerechtigkeit. Wenn er über den Verfall der Stadt spricht, blitzt auch immer eine leise Sozialkritik durch. Sobald er an einem großen Fall arbeitet, übernachtet er oft im Burleigh Hotel in der Innenstadt, um mit dem Kopf bei der Sache zu bleiben. Und bei seiner Geliebten, der Empfangsdame Jen vom Burleigh. Die Ehe scheint zerrüttet, aber Ena versucht zumindest verzweifelt, noch irgendwas zu retten und eine Verbindung zum neuen Kollegen Lilley und dessen Ehefrau aufzubauen.

William McIlvanney wurde mit seiner Laidlaw-Trilogie über die schottischen Grenzen hinweg bekannt. Er hat mit der Figur des Jack Laidlaw 1977 den modernen schottischen Kriminalroman begründet und Laidlaw wurde als erster Roman dem schottischen Noir oder besser dem Tartan Noir zugerechnet. Die allgemeine Hochachtung seiner Werke gründet dabei auf der literarischen Sprache und dass immer große moralische und soziale Fragen angegangen sowie ein realistisches Bild einer von sozialen Umbrüchen gekennzeichneten Großstadt der 70er gezeigt wurde. „Das Dunkle bleibt“ ist ein Manuskript aus dem Nachlass des 2015 Verstorbenen, welches von Ian Rankin vollendet wurde. Der schottische Starautor, ein großer Bewunderer seines Landmanns und Autorenkollegen bekennt, ohne das Vorbild Laidlaw hätte es seinen Inspektor Rebus nie gegeben. So entstand ein Prequel, dem man nicht anmerkt, dass hier zwei unterschiedliche Autoren-Ikonen am Werk waren.

Ich kannte die Kult-Trilogie nicht, habe aber im Anschluss den ersten Band gelesen und auch wenn mir „Das Dunkle bleibt“ gut gefallen hat, war „Laidlaw“ sprachlich noch mehr auf den Punkt, strukturierter und die Gangsterbosse und die Figur des Inspektors Jack Laidlaw noch griffiger.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Das Dunkle bleibt | Erschienen am 24. August 2022 im Antje Kunstmann Verlag
ISBN 978-3-956-14508-7
288 Seiten | 25,00 Euro
Originaltitel: The Dark Remains | Übersetzung aus dem Englischen von Conny Lösch
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu „Laidlaw

James Lee Burke | Eine Zelle für Clete (Band 18)

James Lee Burke | Eine Zelle für Clete (Band 18)

Bald ist die Mammutaufgabe vollbracht. Verleger Günther Butkus war schon immer großer Fan von James Lee Burke und seiner Reihe um Detective Dave Robicheaux aus Louisiana. Diese Reihe wird vom Autor seit Band 1 „Neonregen“ regelmäßig fortgeführt. Auch in Deutschland mit einigem Erfolg (u.a. ein Deutscher Krimipreis für „Weißes Leuchten“), doch irgendwann nach Erscheinen der Übersetzung von Band 12 gab es keine weiteren Erscheinungen. Doch Butkus blieb Autor und Reihe treu und bemühte sich konkret um Band 15 als Neustart der Reihe. Und bewies den richtigen Riecher und das richtige Timing: Kurz zuvor begann in Deutschland die Wiederentdeckung des Autors mit dem preisgekrönten „Regengötter“ (erschienen bei Heyne Hardcore) und „Sturm über New Orleans“, erschienen 2015, in dem sich Burke den Zorn über das Versagen der US-Regierung bei Hurrikan Katrina von der Seele schreibt, erwies sich als perfekter Wiedereinstieg in den düsteren Kosmos von Dave Robicheaux im schwülen, korrupten, gewalttätigen, aber wunderschönen Louisiana. Doch damit sollte nur ein Anfang gemacht sein: Alle Romane der Reihe sollten nach und nach im Pendragon Verlag erschienen – und nun ist man nicht weit vom Ziel entfernt. „Eine Zelle für Clete“ ist Band 18, in Kürze erscheint „Die Tote im Eisblock als Band 19. Dann harren nur noch das 2013 als 20. Band erschienene „Light of the World“ und das als bislang letzter Band vor zwei Jahren veröffentlichte „A Private Cathedral“ der deutschen Übersetzung. Für einen kleinen Verlag eine große Aufgabe, aber eine große Bereicherung für den deutschen Krimileser.

„Wissen Sie, warum seit vier Monaten nicht mehr über diese Mädchen berichtet wird? Weil´s keinen juckt. Wir sin` hier in Louisiana, Robo man. Schwarz oder weiß, das spielt keine Rolle. Wenn du Geld hast, kriechen dir die Leute in den Arsch. Wenn du keins hast, treten sie dir in denselben.“ (Auszug S. 16)

Ein typischer Auftakt in einen Robicheaux-Roman. In den letzten Jahren wurden sieben junge Mädchen tot in den Sümpfen Louisianas gefunden, die meisten davon Prostituierte. Wahrscheinlich alle ermordet, obwohl der Zustand der Leichen eine eindeutige Aussage nicht immer zuließ. Die Polizei ermittelt halbherzig, es gibt zu wenig Spuren, ein Zusammenhang zwischen den Toten wird zwar vermutet, aber kann nicht erhärtet werden. Auftritt Detective Dave Robicheaux und sein Kumpel Clete Purcel, Privatermittler und Kautionsagent: Die beiden gehen privat einigen Hinweisen nach und diese führen zum Zuhälter Herman Stenga. Stenga wiederum unterhält Verbindungen zu den Abelards, einer Südstaatenfamilie, deren Reichtum noch auf Sklavenhaltung fusst und die angeblich in Verbindung zu Mafiaclans steht, nach außen hin aber gesellschaftlich renommiert ist. Für Dave besonders heikel: Seine Adoptivtochter Alafair ist seit kurzem mit dem jüngsten Sohn der Familie, Kermit Abelard, befreundet. In Kermits Dunstkreis bewegt sich zudem der Ex-Häftling Robert Weingart, der nun als Buchautor seiner Biografie Erfolge feiert, den aber weiterhin eine dunkle Aura umgibt.

Dave und Clete können zwar einige lose Verbindungen vom letzten Mordopfer zu Kermit Abelard aufdecken, doch sie haben weiterhin zu wenig in der Hand. Dennoch lassen sie sich nicht abschütteln. Als Clete sich von Stenga zu Gewalttätigkeiten provozieren lässt und Stenga schwer verletzt, geraten Dave und Clete aber zunehmend unter Druck. Schließlich wird Stenga in seinem Haus umgebracht und die Indizien deuten eindeutig auf Clete.

Doch er war in seiner Naivität nicht allein. Ich selbst ermittelte in Angelegenheiten, für die ich nicht zuständig war, meine Einschätzungen waren oft von Vorurteilen beeinflusst, meine Hartnäckigkeit grenzte wahrscheinlich an Besessenheit. In den Augen war vieles, was ich tat, genauso verrückt wie Cletes Eskapaden. Und da waren wir nun, die zwei Hofnarren von Louisiana, die es mit Angehörigen der gesellschaftlichen Elite aufnahmen, ohne den kleinsten Beweis in der Hand zu haben. (Auszug S. 419)

Der Auszug beschreibt den Grundtenor des Buches, eigentlich der ganzen Reihe, sehr treffend. Dave Robicheaux und Clete Purcel als Hofnarren, als Kämpfer gegen Windmühlen, allein gegen die gesellschaftliche und kriminelle Elite Louisianas, was oft genug dasselbe ist. Die beiden sind dabei selbst nicht zimperlich, überschreiten mehr als einmal die Grenze – immer, fast schon verweifelt, auf der Suche nach Gerechtigkeit. Immer wieder wird auch die Vergangenheit der beiden zitiert, alte Traumata wieder aufgewühlt, die Clete in Alkohol und Dave in Dr.Pepper ertränken. In diesem Roman bekommt Dave zudem Todesahnungen, die sich in einem Schaufelraddampfer auf dem Bayou manifestieren.

Im Band 18 erfindet James Lee Burke sich natürlich nicht neu, vieles ist wohlbekannt. Die Tiefe der Figuren, die Beschreibungen der Südstaaten-Landschaft, der kraftvolle Schreibstil goutiert der Fan der Reihe aber durchaus. „Eine Zelle für Clete“ führt den Kosmos souverän fort, weiß an der einen oder anderen Stelle aber noch zu überraschen, etwa bei den starken Szenen, als Dave in der Marschlandschaft auf ein Killerkommando trifft. So freue ich mich als bekennender Fan auf die letzte Bände mit Dave und Clete und die einzelnen Bände dazwischen, die ich noch nachholen muss.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Eine Zelle für Clete | Erschienen am 26.01.2022 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-752-9
544 Seiten | 24,- €
Originaltitel: The Glass Rainbow (Übersetzung aus dem Amerikanischen von Norbert Jakober)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von James Lee Burke auf Kaliber.17

James Lee Burke | Keine Ruhe in Montana (Band 17)

James Lee Burke | Keine Ruhe in Montana (Band 17)

„Sie sind von Kopf bis Fuß mit Blut besudelt“, sagte er. „Natürlich werden Sie behaupten, dass Sie es in Ausführung Ihres Amtes taten. Was aber nichts daran ändert, dass Sie ein gewalttätiger Mensch sind. Ich mache Ihnen deshalb nicht einmal Vorwürfe, aber ich werde nicht zulassen, dass Sie uns mit ihrem privaten Elend noch weiter behelligen.“ (Auszug S.53)

Der 17. Band der Dave-Robicheaux-Reihe spielt nicht in New Iberia, sondern führt in die nördlichen Rockies. Nach den verheerenden Verwüstungen im Süden Louisianas durch Hurrikan Katrina (Band 16 „Sturm über New Orleans“), braucht Detective Dave Robicheaux eine Auszeit von den erschütternden Ereignissen. Zusammen mit seinem Partner und besten Freund Clete, seinem „eineiigen Zwilling aus dem Mordkommissariat“ und Ehefrau Molly macht er Urlaub auf der Ranch eines Freundes in Montana. Doch die Hoffnung, dass der Trip weit weg von ihrer Heimat nach Montana, für viele Zeitgenossen „the last good place“ zu einem simpleren, unschuldigeren Amerika führt, stellt sich als Fehlinterpretation ein.

Montana ist ein brodelndes Pulverfass!
Gleich zu Beginn gerät Clete beim harmlosen Fischen ins Visier der Familie Wellstone, exzentrische Ölmillionäre, die Land und Leute gleichermaßen ausbeuten und gleich eine Kriegserklärung aussprechen. Die Bedrohung ist praktisch spürbar und man ahnt, dass Ärger in der Luft liegt. Kurz darauf werden in der Nähe der Ranch zwei Studenten brutal ermordet aufgefunden und Dave und Clete vom High Sheriff von Missoula County um Mithilfe bei der Aufklärung gebeten. Robicheaux hat darauf eigentlich keine Lust und zögert, als es jedoch zu weiteren Morden kommt und Clete fast Opfer des Täters wird, kann er sich nicht mehr heraushalten. Ungewohnt hält sich Robicheaux in dieser Story eher im Hintergrund und fungiert als Erzähler, während Clete in den Fokus rückt.

Die Erzählperspektiven wechseln ständig und in einem weiteren Handlungsstrang begegnen wir dem Häftling Jimmy Dale Greenwood, der in einem privat geführten Gefängnis von dem sadistischen Gefängniswärter Troyce Nix misshandelt wird. Ein bunkerähnliches Gebäudekomplex, in dem die Insassen mit Ketten und Lederschienen an den Beinen zu Arbeiten auf der Straße verdonnert werden, fernab von jeglichen pädagogischen oder rehabilitierenden Aspekten. Als er sich wehrt und Nix lebensgefährlich verletzt, kann er aus dem Albtraum Richtung Montana fliehen. Greenwood, ein ehemaliger Country-Sänger ist auf der Suche nach seiner einstmaligen Gesangs- und Lebenspartnerin. Die bildschöne Jamie Sue ist inzwischen mit einem Wellstone verheiratet und hat einen Sohn. Nix überlebt den schweren Angriff und macht sich rachelüstern auf die Suche nach Greenwood. Auf dem Weg nach Montana lernt er die gutmütige Candace Sweeney kennen. Und das FBI spielt auch noch mit.

Clete und die Frauen
Offensichtlich ist Montana ein noch schlimmeres Pflaster als Louisiana, eine raue Gegend oder wie Burke es an einer Stelle im Buch nennt, „den Abenteuerspielplatz einer Irrenanstalt“, denn es kommt zu ständigen Gewaltexzessen. Die ganze sinnlose Gewalt und die ständigen Eskalationen sowie die unzähligen Psychopathen und Sadisten, die sich in dieser Geschichte tummeln, ermüdeten mich auf Dauer und stumpften ab. Besonders Clete kam mir noch nie so durchgeknallt vor. Dabei ist er sich immer selbst das größte Problem. Ich fand seine Ausraster ein wenig überzogen, auch seine Unwiderstehlichkeit auf Frauen konnte ich nicht nachvollziehen.

Jamie Sue Wellstone mochte die diabolische Versuchung gewesen sein, doch sein größter Widersacher war eigentlich immer er selbst. Er würde eher sein eigenes Leben opfern, bevor er einem Tier, einem Freund oder überhaupt einem unschuldigen Lebewesen ein Leid zufügen würde. (Auszug S.125)

Montana scheint landschaftlich wunderschön zu sein und Burkes Fähigkeit, diese meisterlich zu beschreiben, kommt hier wieder gut zur Geltung. Durch seine bildreiche Sprache fühlte ich mich oft in die Szenerie versetzt. Dabei stehen seine eindrucksvollen Naturbeschreibungen im ausgeprägten Gegensatz zu der gewaltvollen Handlung. Präzise beschriebene Figuren, harte Gewalt, ein vielschichtiger Plot und das sprachlich auf hohem Niveau, man bekommt das, was man bei Burke erwartet. Ein typisch amerikanischer Thriller mit viel Gewalt, Waffen und noch mehr Testosteron. Teilweise fühlte es sich wie ein Western an und dass nicht nur, weil Nix‘ Optik mit blankpolierten Cowboystiefel und spöttischem Grinsen mit John Wayne verglichen wird.

Fazit
Trotz gewohnt komplex gestalteter Handlung werden schlussendlich alle Erzählfäden gekonnt zusammengeführt. Bei einem spannenden Showdown kommt es zu überraschenden Wendungen, einer der Figuren macht eine große Wandlung durch, allerdings hätte ich das hinhaltende Erklär-Palaver nicht gebraucht. Zwischendurch blitzt auch immer Gesellschaftskritik durch, wenn der amerikanische Autor den wirtschaftlichen Niedergang oder die Zerstörung der Natur durch die Reichen darlegt.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Keine Ruhe in Montana | Erschienen am 21. Juli 2021 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-747-5
576 Seiten | 24,- Euro
Originaltitel: Swan Peak (Übersetzung aus dem Englischen von Bernd Gockel)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu James Lee Burke auf Kaliber.17

Abgehakt | Kurzrezensionen September 2021

Abgehakt | Kurzrezensionen September 2021

Unsere Kurzrezensionen zum Ende September 2021

 

 

Liam McIlvanney | Ein frommer Mörder

Glasgow 1968/69: Ein Serienmörder hat bereits drei junge Frauen ermordet, alle offenbar im selben Tanzlokal abgeschleppt und auf dem Nachhauseweg erdrosselt. Aufgrund einiger religiöser Zitate, die eine Zeugin von ihm gehört hat, wird er der „Quäker“ genannt. Trotz Phantombilder und einiger Zeugenaussagen tappt die Sondereinheit der Polizei Monate nach dem dritten Mord immer noch im Dunkeln. Detective Inspector Duncan McCormack wird der Sondereinheit als eine Art Revisor zugeteilt. Die Polizeispitze ist nach so vielen Monaten der Meinung, dass die Ermittlungen zu viele Ressourcen binden, McCormack soll einen Bericht liefern, der diese Ansicht bestätigt. Dementsprechend willkommen ist er in der Sondereinheit, er gilt als Nestbeschmutzer. Doch McCormack will nicht nur belehren, er macht nach und nach deutlich, dass auch er das Ziel verfolgt, den Täter zu ermitteln. Und McCormack ist bereit, ausgetretene Ermittlungspfade zu verlassen.

Zeitgleich kommt Alex Paton wieder in die Stadt. In Glasgow aufgewachsen, hat er es in den letzten Jahren in London zu einem gefragten Spezialisten in Sachen Safeknacken gebracht. In der alten Heimat wird ihm ein lukrativer Job, der Einbruch in ein Auktionshaus, angeboten. Die Suche nach dem Quäker lässt ihn kalt. Noch ahnt Paton nicht, dass er in die Quäker-Sache unmittelbar verwickelt wird.

Der Name McIlvanney hat einen großen Klang in der schottischen Kriminalliteratur. Und tatsächlich ist Liam McIlvanneys Vater der große William, Schöpfer des legendären Inspektor Laidlaw. Liam lebt inzwischen in Neuseeland, doch für den Schauplatz seines dritten Romans bleibt er der alten Heimat treu. Wie einst auch Ian Rankin in „Black and Blue“ bedient sich McIlvanney eines alten großen, bis heute ungelösten Kriminalfalls: Der „Bible John“ getaufte Täter brachte damals drei junge Frauen um. Aber der hier „Quäker“ getaufte Mörder ist in diesem Roman im Grunde nur eine Randfigur, denn McIlvanney bleibt der Tradition des schottischen Krimis treu und stellt neben der zwar starken, aber auch angreifbaren Ermittlerfigur gesellschaftliche Aspekte in den Mittelpunkt. Das Ende der 1960er als Aufbruch in der Moderne ist nämlich auch durch tiefe Brüche (beispielsweise in der Glasgower Stadtentwicklung) und düstere Auswüchse (Kriminalität, Polizeigewalt und Korruption) gekennzeichnet. Das macht den Roman zu einem echten Leseerlebnis und verdienten Sieger des schottischen Krimipreises 2018.

 

Ein frommer Mörder | Erschienen am 12.07.2021 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-44093-7
344 Seiten | 14,99 €
Originaltitel: The Quaker (Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Lohmann)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,5 von 5,0
Genre: Noir/Hardboiled

 

Chris Offutt | Unbarmherziges Land

Militärpolizist Mick ist wegen Eheproblemen in der Heimat in den Bergen Kentuckys. Seine Schwester Linda ist Sheriff und bittet ihn um Mithilfe in einem vermeintlichen Mordfall. Ein alter Mann hat beim Pflanzenpflücken die Leiche einer Frau entdeckt. Mick hängt sich ohne eigene Zuständigkeiten rein, aber alte Familienbande, überkommene Traditionen sowie eine angeborene Zurückhaltung gegenüber den Ermittlungsbehörden erschweren die Aufklärung. Hinzu kommen andere kriminelle Aktivitäten, die unentdeckt bleiben sollen.

Chris Offutt war mir bis dato noch nicht bekannt, obwohl „Unbarmherziges Land“ nicht das erste übersetzte Werk von ihm ist. In seiner Heimat ist Offutt vor allem durch seine Short Stories bekannt, ist aber auch erfolgreich im Non-Fiction-Bereich. Aber dieser Roman ist ein waschechter Country Noir aus den ländlichen Bergen des Bundesstaats Kentucky. Leider hebt sich das Werk nicht so recht von anderen Büchern des Genres ab – man hat so hin und wieder das Gefühl, die Typen oder Teile des Plots schon so ähnlich mal gelesen zu haben. So ist das Ganze ein solider, aber relativ unspektakulärer Country Noir. Für zwischendurch ganz ok.

 

Unbarmherziges Land | Erschienen am 24.07.2021 im Tropen Verlag
ISBN 978-3-608-50512-2
250 Seiten | 15,- €
als E-Book: ISBN 978-3-608-11714-1 | 11,99 €
Originaltitel: The Killing Hills (Übersetzung aus dem Englischen von Anke Caroline Burger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5;
Genre: Noir/Hardboiled

 

Garry Disher | Moder

Wyatt hält sich in Sydney auf und erhält für seine Raubzüge und Einbrüche Information durch Sam Kramer, der ein umfassendes Informantennetz auch aus dem Gefängnis betreibt. Im Gegenzug verwaltet Wyatt Kramers Provisionen und kümmert sich um dessen Familie. Doch das macht Wyatt angreifbar. Denn sowohl die Polizei als auch Nick Lazar, zwielichtiger Chef einer Sicherheitsfirma, werden auf Wyatt aufmerksam. Dieser hingegen hat einen neuen Job im Visier: Nick Tramayne hat mit Finanztransaktionen nach dem Ponzi-Schema (eine Art Schneeballsystem) Anleger um Millionen betrogen. Er kann sich bislang noch vor einer Verhaftung bewahren, aber die Schlinge zieht sich zu. Man vermutet, dass er sich bald absetzen will – mit einem großen Batzen veruntreuten Geldes. Hierauf hat es Wyatt abgesehen – aber nicht nur er.

Garry Disher setzt mit „Moder“ seine Reihe um den vornamenlosen australischen Gangster fort. Dabei bleibt sich Disher bei den Zutaten treu: Ein höchstprofessioneller Outlaw als Hauptfigur, skrupellose Gangster (auch in Nadelstreifen), die ihm in die Quere kommen, eine schnörkellose Story, ein lakonischer Stil. So bleibt auch bei diesem Roman kaum Leerlauf, sondern das Tempo und die Spannung bleiben hoch. Nebenbei karikiert Disher die hohle Welt (betrügerischer) Investoren, Anlageberater und Anwälte, die sich hier gegenseitig um ihren Reichtum bringen wollen. Wie immer eine vergnügliche Lektüre.

 

Moder | Erschienen am 01.09.2021 bei Pulp Master
ISBN 978-3-946582-06-9
300 Seiten | 14,80 €
Originaltitel: Kill Shot (Übersetzung aus dem Englischen von Ango Laina und Angelika Müller)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5;
Genre: Noir/Hardboiled

 

Garry Disher | Barrier Highway

Constable Hirschhausen ist inzwischen ein wenig heimisch geworden im beschaulichen Tiverton im dünnbesiedelten Norden des Bundesstaats South Australia. Er macht wie üblich seine Routinefahrten, seine kleinen Ermittlungen, doch dieses Mal braut sich wieder etwas zusammen. Ein wohlhabender Unternehmer bezahlt seine Rechnungen bzw. versprochene Renditen nicht mehr, was bei einem seiner Gläubiger zu einer Kurzschlussreaktion führt. Gleichzeitig vermisst eine alte Dame einen beträchtlichen Teil ihres Ersparten und kommt kurz darauf bei einem Brand ums Leben. Ein Unfall oder hat da jemand nachgeholfen?

Nochmal Garry Disher? Na ja, ich habe so oft Lobeshymnen an den Australier verteilt, da dachte ich mir, diesmal reicht das auch im Kurzformat. Erstaunlich auch, wie Disher beim dritten Band der Reihe um Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, im Vergleich zu wahrlich guten Wyatt-Band nochmal eine Schippe drauf legt. Bei aller Raffinesse wirkt der Wyatt wie eine lässige Fingerübung für Zwischendurch, aber hier lässt Disher wieder seine ganzen Fähigkeiten aufblitzen. Wie immer in Tiverton fängt es betulich an, ein Schlüpferdieb wird gesucht, dann folgt eine Kindesvernächlässigung, Hirsch wird gestalkt, weitere Straftaten folgen – aber alles zu seiner Zeit: Die erste Leiche kommt erst nach der Hälfte des Buches. Vielmehr spinnt der Autor hier ein feines Netz und erzählt von den Menschen und ihren Beziehungen in dieser australischen Kleinstadt und wie eines zum anderen und schließlich zu Todesfällen führt. Hauptfigur in diesem Soziogramm ist dieser Constable Hirschhausen, nicht mehr fremd, aber auch noch nicht heimisch, der mit einer feinen Sensibilität möglichst alles zum Guten wenden will, aber längst auch nicht alles richtig macht. Disher ist und bleibt die Champions League der Krimiszene.

Barrier Highway | Erschienen am 12.07.2021 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-00572-3
345 Seiten | 22,- €
Originaltitel: Consolation (Übersetzung aus dem Englischen von Peter Torberg)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,5 von 5;
Genre: Krimi

 

Fotos und Rezensionen von Gunnar Wolters.

Dominique Manotti | Hartes Pflaster

Dominique Manotti | Hartes Pflaster

Im Spätsommer 1993 hat die 50jährige französische Historikerin Marie-Noëlle Thibault einen Auftrag für eine Artikel in einer Fachzeitschrift. Thibault ist promovierte Historikerin, hat als Lehrerin gearbeitet und war in den 1970ern bis Anfang der 1980er als Gewerkschaftsfunktionärin aktiv. Sie ist ausgesprochen politisch, hat sich in den Algerienkriegen politisiert. Thibault ist politisch ausgesprochen links, doch sie ist schon zu Beginn der Präsidentschaft des Sozialisten François Mitterrand von den Machenschaften in der Sozialistischen Partei und der Gewerkschaft desillusioniert und wendet sich vom politischen Aktivismus ab. Sie arbeitet wieder als Historikerin, doch nach eigenen Angaben eher unmotiviert. Im August 1993 hat sie schließlich so etwa wie ein einschneidendes Erlebnis: Sie zieht als nächste Lektüre „L.A. Confidential“ von James Ellroy aus dem Regal und ist sofort begeistert. Thibault besorgt sich weitere Romane von Ellroy und fast irgendwann den Entschluss, selbst schreiben zu wollen. Als Thema für ihren Debütroman „Sombre Sentier“ wählt sie ein Ereignis aus, bei dem sie als Gewerkschafterin selbst involviert war: Den politischen Kampf der (meist türkischen) Textilarbeiter im Pariser Quartier Sentier 1980 um ihre Rechte und vor allem um Aufenthaltsgenehmigungen.

Die Lage für die türkischen Arbeiter im Viertel Sentier im zweiten Arrondissement ist im Jahre 1980 ziemlich prekär. Zum einen die Arbeitsbedingungen in den engen Wohnungen und Ateliers, zum anderen aber vor allem ihr Aufenthaltsstatus. Die allermeisten von ihnen sind Sans-Papiers, müssen ständig vor einer Ausweisung auf der Hut sein. Von den illegalen Arbeitern profitiert ein Großteil der Pariser Textilbranche, bis hin zu den hochrangigen Labels. Doch die Arbeiter beginnen sich zu solidarisieren, erste Versammlungen und Kundgebungen finden statt, was weder den französischen noch den türkischen Offiziellen gefällt. Führender Aktivist ist der Türke Soleiman. In der Türkei wird er wegen zweifachen Mordes gesucht, die der linke Aktivist auf der Flucht in einer Mischung aus Notwehr und Affekt begangen hat. Kommissar Théo Daquin weiß davon und hält sich Soleiman als Informanten und Affäre, die aber zunehmend ernst wird. Daquin ist Chef einer kleinen Einheit, die eigentlich das Ziel hat, Heroinschmuggelwege aus der Türkei nach Frankreich aufzudecken, und dazu umfangreiche Observierungen im Viertel durchführt. Doch dann wird in einem Atelier im Sentier die Leiche einer jungen Thailänderin, eine minderjährige Prostitiuerte, gefunden. Daquin soll hier ebenfalls ermitteln. Seine Einheit findet schnell heraus, dass die Tote aus einem privaten Video-Club mit hochrangigen Mitgliedern kommt. Daquin und seiner Männer geraten in eine heikle Gemengelage mit politisch-diplomatischem Sprengstoff.

Unter dem Pseudonym Dominique Manotti veröffentlichte Thibault den Roman „Sombre Sentier“ 1995 und hat sich damit von Beginn an in der vordere Riege der Autorinnen und Autoren des politischen französischen Kriminalromans, des Polar, katapultiert. Die Anklänge an James Ellroy sind nicht zu übersehen. Manotti schreibt in einem verknappten, nüchernen Stil, zudem im Präsens. Kein Wort ist zu viel. Sie schreibt nüchtern, fast dokumentarisch, wechselt die Perspektiven. In „Hartes Pflaster“ kommt noch eine strenge Chronologie hinzu. Politisch stehen Manotti und Ellroy allerdings auf unterschiedlichen Planeten. Manotti verwebt hier in ihrem Debütroman wie auch in ihren weiteren Werken Fakten und Fiktion zu einem extrem realistischen Stil. „Sätze wie Maschinengewehrfeuer“, meint Thomas Kürten, Krimi-Couch-Redakteur. Arbeitskämpfe der Sans-Papiers, Schwarzarbeit, Aktivitäten türkischer Rechtsradikaler, Drogen- und Waffenschmuggel unter Beteiligung europäischer Finanzinstitute, illegale Prostitution, Korruption und diplomatische Verwicklungen. Selbst der spätere Papstattentäter Ali Ağca hat einen Auftritt. Manotti rast den Leser atemlos durch den Plot. Der ist ziemlich komplex, dass selbst ich dieses Mal kurz davor stand, mir Notizen zu machen.

„Das Paket, das Sener ihr gestern mitgebracht hat, befindet sich im Schreibtisch der Werkstatt von Berican. Wenn sie es mir gestatten, würde ich heute Nacht nicht länger als eine Viertelstunde benötigen, um herauszufinden, was es enthält.
„Das werde ich Ihnen natürlich nicht erlauben. Machen Sie es, ohne dass ich etwas davon weiß. Und lassen Sie sich nicht erwischen. (Romero und Lavorel grinsen sich an)“ (Auszug S.190-191)

In „Hartes Pflaster“ hat auch Théo Daquin seinen ersten Auftritt. Der schwule / bisexuelle Kommissar mit Stil, Ehrgeiz und Durchsetzungsvermögen wird in zahlreichen weiteren Romanen Manottis auftauchen. Manotti setzt auch bei den Polizisten ihren Stil durch und bringt Dinge wie Korruption, Gewalttätigkeit, Sexismus und Übergriffigkeit in die Schilderungen ein. Selbst Daquin bewegt sich hin und wieder deutlich über den Bereich der Grauzone hinaus, wenn der Zweck die Mittel heiligt.

Wer sich gerne in Krimis mit politischen Dingen auseinandersetzt, wird meines Erachtens irgendwann an Dominique Manotti nicht vorbeikommen. Sie steht für einen sehr realistischen Roman noir, der historische Ereignisse fiktionalisiert und dabei konkrete Gegenwartsbezüge herstellt. Der Debütroman „Hartes Pflaster“ zeigt dabei eine Autorin, die ihren weiteren Weg schon deutlich gefunden hat. Mit einer dokumentarischen Kühle bringt Manotti gesellschaftliche und politische Missstände auf den Seziertisch. In „Hartes Pflaster“ mag es dabei hier und da vielleicht noch etwas zu hektisch zugehen, allerdings ist auch die Realität komplex, wie soll der politische Roman das anders abbilden können. Jedenfalls ist dieser Roman immer noch eine empfehlenswerte Lektüre und durch die Bedeutung der Autorin im Genre bis heute schon eigentlich ein Klassiker.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Hartes Pflaster | Erstmals erschienen 1995
Die deutsche Übersetzung erschien 2004 bei Assoziation A (gerade in neuer 6. Auflage erschienen)
ISBN 978-3-86241-411-6
312 Seiten | 14,- €
Originaltitel: Sombre Sentier (Übersetzung aus dem Französischen von Ana Rhukiz)
Bibliografische Angaben

Weiterlesen I: Double-Feature zu Dominique Manotti auf Crimemag (2011)

Weiterlesen II: Weitere Rezensionen zu Romanen von Dominique Manotti