Top 5 des Jahres 2016 | Gunnar

Top 5 des Jahres 2016 | Gunnar

Schon wieder ein Jahr rum, allerdings kann man in vielen Bereichen froh sein, dass dieses verfluchte 2016 endlich vorbei ist. Das lag aber eher an anderen Dingen, nicht so sehr an den diesjährig erschienenen Kriminalromanen. Wie im letzten Jahr habe ich mich bei meinen Top 5 nur auf Bücher beschränkt, die in diesem Jahr erstmals neu erschienen sind. Da ich zwar etwa 35 Neuerscheinungen gelesen habe, kann ich angesichts der Unmengen weiterer Veröffentlichungen natürlich nur einen sehr kleinen Ausschnitt abbilden. Ich habe mich dieses Jahr außerdem extrem schwer getan und hätte auch noch mehr Bücher nennen können (das tue ich am Ende dann auch). Zudem habe ich auf genaue Platzierungen innerhalb der Top 5 verzichtet. Hier sind meine fünf besten Kriminalromane des Jahres:

 

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Blau ist die Nacht von Eoin McNamee

Belfast 1949: Der Prozess gegen den Frauenmörder Taylor beginnt. Und hier ist jeder Prozess auch eine Religionsfrage. Doch das will der Chefankläger Lancelot Curran nicht so recht einsehen, allerdings arbeitet sein Adlatus Harry Ferguson schon am passenden Urteil. Wenn er sich nicht gerade von Currans koketter Tochter Patricia den Kopf verdrehen lässt. Drei Jahre später wird Patricia ermordet und Ferguson sucht noch Jahre später nach dem Mörder.

Nordirland und Noir – das passt nicht nur phonetisch hervorragend. McNamee verbindet zwei reale Kriminalfälle in seinem Roman zu einer fiktiven, intensiven Geschichte. Es ist oberflächlich ein Whodunnit (die Suche nach dem Mörder von Patricia Curran), aber gleichzeitig ein hintergründiger Noir über eine korrupte Justiz, gesellschaftliche und familiäre Abgründe und verschiedene Facetten der Psychose. Müsste ich einen Gesamtfavoriten für dieses Jahr küren, meine Wahl fiele auf das faszinierende Blau ist die Nacht.

 

Bitter Wash Road von Garry Disher

Constable Paul Hirschhausen, genannt Hirsch, ein Polizist, der gegen seine korrupten Kollegen ausgesagt hat, ein Verstoßener, tritt seinen neuen Dienst an, irgendwo in der Einöde South Australias. Dann kommt ein junges Mädchen vermeintlich bei einem Unfall mit Fahrerflucht ums Leben, doch Hirsch ahnt, das da mehr dahinter steckt und deckt gegen alle Widerstände wahre Abgründe auf.

Wenn jemand sich dem perfekten Kriminalroman annähert, dann vielleicht Garry Disher. Es stimmen absolut alle Zutaten: Das Setting im rauen australischen Hinterland, die authentische Hauptfigur, die interessanten Nebenfiguren, starke Dialoge, die gesellschaftlichen Hintergründe, der hervorragende Stil Dishers. Australien ist momentan extrem angesagt in Sachen Krimi, ein gewichtiger Grund hierfür ist Bitter Wash Road.

 

Schwarzes Gold von Dominique Manotti

Marseille/Nizza im Frühjahr 1973: Der Reeder Pieri und sein Stellvertreter werden kurz nacheinander ermordet. Pieri war früher in Diensten der French Connection tätig und so vermuten viele eine Abrechnung im alten Milieu. Doch Commissaire Duquin, ein Frischling in Marseille, verfolgt andere Spuren, unter anderem zum ominösen Rohstofftrader Michael Frickx, aber er hat nur 14 Tage Zeit, um eine Anklage vorzubereiten.

Es gibt wohl kaum jemanden unter den aktuellen Krimiautoren und -autorinnen, der sich wie Dominique Manotti darauf versteht, die unheilvolle Allianz von Politik, Wirtschaft und Verbrechen in ihren tiefschwarzen Krimis zu beschreiben. Hier lehrt die Wirtschaftshistorikerin die Geschichte vom Beginn des freien Erdölhandels, außerhalb des Kartells der sieben Schwestern, der großen Ölkonzerne. Große Geschäfte bedeuten eine Menge Geld, bedeuten einige Leute, die dafür über Leichen gehen. Davon erzählt Manotti gewohnt schnörkellos in Schwarzes Gold.

 

In den Straßen die Wut von Ryan Gettis

29. April 1992: Einige Stunden nach dem Gerichtsurteil gegen die Polizisten im Fall Rodney King kommt Ernesto Vera von der Arbeit nach Hause nach Lynchwood, South Central L.A. Obwohl er im Gegensatz zu seinen Geschwistern nicht Teil der Gangszene ist, wird er brutal ermordet. Auftakt zu sechs Tagen voller Gewalt, denn sein Tod setzt eine tödliche Kettenreaktion frei.

Die Los Angeles Riots sind immer noch ein markanter Punkt der jüngeren US-amerikanischen Geschichte und stehen als Mahnmal der immer noch ungelösten Rassenprobleme in den Staaten. Autor Ryan Gettis schreibt fragmentarisch, mit wechselnden Perspektiven einen harten, ungeschönten Thriller, der sich aber dadurch auszeichnet, dass er seine Figuren sehr realistisch beschreibt und nicht schwarz-weiß malt. Allein für die Courage, siebzehn Ich-Erzähler in einem Roman zu vereinen (und es klappt!), gebührt In den Straßen die Wut ein Platz in den Jahres-Top 5.

 

Ein einziger Schuss von Matthew F. Jones

John Moon, ein Loser, verarmt und von Frau und Kind verlassen, wildert regelmäßig in den Wäldern. Diesmal verfolgt er einen verwundeten Hirsch in einen alten Steinbruch. Dort wird er von einem Geräusch überrascht und schießt – aber er tötet nicht den Hirsch, sondern versehentlich eine junge Ausreißerin.

Country noir ist vielleicht das Genre, das uns den aktuellen Zustand Amerikas am ehesten nahe bringt. Eine Spirale der Gewalt ausgelöst aus Verantwortungslosigkeit, Naivität und extremer Stumpfheit. Vor allem die intensiven Erfahrungen von Schuld, Reue, Hoffnung und Verzweiflung der Hauptfigur und das brutale Ende lohnen die Lektüre von Ein einziger Schuss.

 

Ebenfalls erwähnen sollte man folgende Bücher: Die starke deutsche Politthriller Wolfsspinne von Horst Eckert, die erschütternde Fiktionalisierung des Massakers von Lidice „Die Toten schauen zu“ von Gerald Kersh, die Mafia-Saga Schwarze Seelen von Gioacchino Criaco, das True-Crime-Buch Der große Mann von Chloe Hooper und der Einblick in die Abgründe des Fritz Honka Der goldene Handschuh von Heinz Strunk.

Ich bemühe mich aber auch weiterhin, nicht nur Neues, sondern auch Klassiker des Genres und großartige Bücher aus Vorjahren zu lesen. Auch ein wenig mehr Belletristik wäre nicht schlecht (hier wäre „Hool“ von Philipp Winkler mein Highlight für 2016). Ansonsten habe ich diverse Vorschauen gewälzt und bin guter Dinge für ein gutes Krimijahr 2017!

0 Replies to “Top 5 des Jahres 2016 | Gunnar”

  1. Ich weiß echt nicht, warum ich „Schwarzes Gold“ nicht gelesen habe, irgendwie kam immer ein Buch dazwischen. Wird auf jeden Fall nachgeholt. Generell haben mich dieses Jahr vor allem die neuen AutorInnen mehr gereizt, da blieben einige sichere Kandidaten für eine Top 10 auf der Strecke (Manotti, Disher, etc.). Den Jones fand ich auch super, nur dass mir zwei andere Country Noir Titel vom Polar Verlag besser gefallen haben, nämlich die Bücher von Whitmer und Bassoff. Dazu bald mehr in einem kleinen Special 😉

    1. Man muss einfach Prioritäten setzen bei der Menge an Büchern. Ich hätte von deinen Top 10 auch gern noch das eine oder andere Buch gelesen…
      Auf dein Country Noir-Special bin ich gespannt, habe auch sowas in der Planung.

  2. Und schon wieder „Blau ist die Nacht“ auf einer Bestenliste 😉 Grrr, ich bin da einfach nicht dazu gekommen. Aber wie du schreibst, man muss einfach Prioritäten setzen…

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