Thomas Nommensen | Wintertod

Thomas Nommensen | Wintertod

Langsam ging ich zu der Stelle. Mein Speer hatte den Vogel tatsächlich genau in der Mitte des kleinen Körpers getroffen und war so weit eingedrungen, dass die Schneide bis zum Anschlag in dem schwarz glänzenden Gefieder steckte. […]
Eine Weile standen wir so und betrachteten schweigend den toten Körper. Als wir uns schließlich umdrehten und gehen wollten, ertönte über uns ein Krächzen. Es war die andere, die vorsichtige Krähe. Sie hockte auf einem Zweig und starrte uns aus ihren Kohleaugen an.
Ob sie jetzt traurig ist?, überlegte ich. Oder wütend?
Adam sah mich an, als ob er meine Gedanken gehört hätte. „Respekt“, sagte er. „Sie hat jetzt Respekt vor dir.“
Ich nickte und nahm mir vor, beim nächsten Wurf nicht wieder die Augen zu schließen. Das war ich dem Tod einfach schuldig. (Auszug Seite 303)

Auf einem aufgegebenen Friedhof im Berliner Stadtteil Buch wird von einer Schatzsucherin die notdürftig begrabene Leiche einer Frau gefunden. Laut Obduktion gibt es keine Hinweise auf eine Fremdeinwirkung. Hauptkommissar Arne Larsen will den Fall jedoch nicht so schnell abhaken und folgt spätabends seinem Bauchgefühl wieder zum Friedhof. Dort entdeckt er tatsächlich unmittelbar neben dem Fundort einen weiteren Leichnam: Diesmal ist es die Leiche eines kleinen Mädchens und diesmal gab es eine äußere Gewalteinwirkung.

Wintertod ist der zweite Band einer Serie um den Hauptkommissar Arne Larsen. In Ein dunkler Sommer ermittelte Larsen noch in Schleswig-Holstein, ist aber nun in die Hauptstadt gezogen. Damit folgt Larsen seinem Autor Thomas Nommensen, der ebenfalls aus dem hohen Norden (schon in den 1980ern) nach Berlin gezogen ist. Die Lektüre von Band 1 ist übrigens nicht zwingend notwendig, denn Larsen sucht in Berlin den Neuanfang und kommt zwar nicht ohne Ballast, aber alleine. Er fremdelt allerdings noch mit seiner neuen Heimat: Er kennt niemanden, hat sich in einer ziemlich quirligen WG einquartiert und auch beruflich ist er etwas erstaunt, dass er zur Eingewöhnung trotz höheren Dienstgrades sich erst einmal hinter seiner Kollegin Mayla Aslan einreihen muss. Trotz der widrigen Verhältnisse kann er aber (mit einigen Alleingängen) seine beruflichen Fähigkeiten unter Beweis stellen und findet im Laufe des Buches auch privat Anschluss.

Nommensen baut die Geschichte sehr versiert auf. In kurzen Kapiteln wechselt nicht nur die Perspektive, sondern auch der Erzähler und die Zeitebene. Seinen Protagonisten begleitet er im Präsens. Daneben erzählt er einen Strang mit der Lehrerin Lea Zeisberg, die gerade erst von einem traumatischen Erlebnis wieder in den Schuldienst zurückgekehrt ist und nun einige Merkwürdigkeiten in ihrer Schule feststellt. Besonders mit den beiden Geschwistern Kolja und Merle scheint etwas nicht zu stimmen. Vor etwa einem halben Jahr ist ihr Vater verstorben, ihre Mutter hat nun einen neuen Partner, dennoch fehlen beide regelmäßig beim Unterricht, aber seltsamerweise immer abwechselnd. Lea Zeisberg forscht nach und stößt damit nicht nur beim restlichen Kollegium auf wenig Gegenliebe. Der dritte Strang spielt deutlich in der Vergangenheit, 1979 in einer abgegrenzten Waldsiedlung für hohe Funktionäre der DDR. Hier verwendet der Autor den Ich-Erzähler Martin, der davon erzählt, wie der neue Partner seiner Mutter, Adam, ihn und seine Mutter kontrolliert und mehr oder weniger abschottet. Adam übt totale Macht aus, weniger physisch als vielmehr psychisch. Martin wird dadurch immer mehr sozialisiert und begehrt im Gegensatz zu seiner Mutter nicht länger auf, sondern orientiert sich an Adam. Damit ist das Thema dieses Kriminalromans auch klar, es geht um Machtmissbrauch und Gewalt in der Familie.

Ein wenig kritisieren möchte ich, dass die entscheidende Person, Adam, bis zum Ende eher schwammig bleibt. Außerdem suggerieren die DDR-Rückblenden und zahlreiche Schauplätze eine politische Komponente, die jedoch nicht bedient wird. Insgesamt ist Wintertod jedoch ein gelungener und gut aufgebauter Kriminalroman. Thomas Nommensen erzählt mit gutem Gespür für realistische Figuren und interessante Schauplätze eine erschütternde Geschichte.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Wintertod | Erschienen am 23. September 2016 bei Rowohlt
ISBN 978-3-49927-198-4
432 Seiten | 9,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Monikas Rezension zu Ein dunkler Sommer von Thomas Nommensen.

 

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Viel Glück!

8 Replies to “Thomas Nommensen | Wintertod”

  1. Vielen Dank für diese interessante Rezension. Ich erfahre hier wieder einmal das was mich interessiert, um verlässlich neugierig zurückzubleiben. Sollte ich erst den ersten Kriminalroman von ihm lesen?

    Dankeschön für eine kurze Antwort.

    Viele liebe Grüße
    Nisnis

  2. Ich kenne beide Bücher. Nein, man muss den ersten nicht vorher gelesen haben. Durch den Umzug nach Berlin hat sowieso sich vieles für Larsen verändert: Team, Wohnsituation etc.

  3. Da es nur einer geschafft hat, sowohl eine E-Mail als auch einen Blog-Kommentar zu schreiben, darf ich mir eine Auslosung sparen und JackMcKinley darf sich über einen neuen Krimi freuen. Herzlichen Glückwunsch! Du bekommst das Taschenbuch in den kommenden Tagen. Nora

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