Rezensions-Doppel: Malla Nunn | Ein schöner Ort zu sterben & James McClure | Steam Pig

Rezensions-Doppel: Malla Nunn | Ein schöner Ort zu sterben & James McClure | Steam Pig

Südafrika ist zweifelsohne ein landschaftlich und kulturell reizvolles Land. Allerdings schlummern dort auch so manche Konflikte. Dadurch ist Südafrika als Krimischauplatz aktuell sehr angesagt. Die Regenbogennation bietet ja auch einen großen Fundus an Themen: Extrem heterogene Gesellschaft, unaufgearbeitete Vergangenheit, Korruption, Gewalt, Aids. Der deutsche Krimileser kann inzwischen aus einer Menge interessanter und unterschiedlicher Autoren auswählen. Größen wie Roger Smith, Deon Meyer, Mike Nicol oder auch der frisch gebackene Träger des Deutschen Krimi Preises, Max Annas, beschäftigen sich mit dem aktuellen Geschehen im Land in der Postapartheid-Ära. Interessant wäre sicherlich auch der Blick zurück in die Geschichte Südafrikas während der Zeit der Rassentrennung. Doch auch hier gibt es Krimiautoren, die einen solchen Blick zurück bieten. Zeit für eine Doppelrezension mit Malla Nunn und James McClure!


Malla Nunn | Ein schöner Ort zu sterben

Die aktuell in Deutschland bekannteste Autorin von Apartheid-Krimis ist sicherlich Malla Nunn. Ihre Krimireihe um Detective Emmanuel Cooper und Constable Shabalala umfasst inzwischen vier Bände. Ein schöner Ort zu sterben ist der Auftakt der Reihe und gleichzeitig Nunns Debütroman.

„Wissen Sie, Captain Pretorius kannte jede Pflanze und jeden Baum, den es im Busch gibt“, fuhr King fort. „Er sprach sämtliche Eingeborenendialekte und kannte alle ihre Gebräuche. Anders als die anderen Holländer hier brauchte er keinen Bürohengst in Pretoria, um seinen Führungsanspruch zu rechtfertigen.“„Kannten Sie ihn gut?“, fragte Emmanuel. Es war nicht zu übersehen, dass der Engländer Captain Pretorius in dieselbe Kategorie des ‚geborenen Herrschers‘ einordnete wie sich selbst. Der Rest der Menschheit, Polizisten eingeschlossen, war nur zum Dienen da. (Seite 109)

Die kleine Stadt Jacob’s Rest im Osten Südafrikas im Jahre 1952: An einem Flussufer direkt an der Grenze zum Nachbarland Mosambik wird die Leiche des örtlichen Polizeichefs Willem Pretorius gefunden. Pretorius, ein stämmiger Bure, war die absolute Autorität im Ort, durchaus von allen Bevölkerungsgruppen respektiert. Zur Untersuchung des Falls wird Detective Emmanuel Cooper allein nach Jacob’s Rest geschickt. Doch viel Zeit unabhängig zu ermitteln, bleibt ihm nicht, denn schon bald kommt die Security Branch, die Geheimpolizei, in die Stadt – und die hat schon eine vorgefertigte Meinung, wer für den Tod von Pretorius verantwortlich ist.

Cooper ahnt schnell, dass der geachtete Pretorius auch so seine Geheimnisse hatte, die der Schlüssel zu seiner Ermordung sein könnten. Und er merkt, dass ihm vor allem ein Mann bei der Lösung des Falles behilflich sein kann – der stoische, schweigsame, aber wachsame Constable Shabalala, ein hünenhafter Zulu und dennoch Vertrauter des Toten. Cooper selbst ist Veteran des Zweiten Weltkriegs und wird regelmäßig von seinen Dämonen heimgesucht. Doch er ist nicht gewillt, gegen die Security Branch die Segel zu streichen, sondern will die Wahrheit ans Licht bringen.

Der Plot spielt im Frühjahr des Jahres 1952. 1948 hatte die Nasionale Party die Parlamentswahl mit dem politischen Thema Apartheid gewonnen und begann diese dann auch konsequent umzusetzen. Gleichzeitig begann der erbitterte Kampf der Regierung gegen tatsächliche oder vermeintliche kommunistische Umtriebe. In dieser politischen Lage bietet die Autorin in diesem Roman einen faszinierenden Ausschnitt eines Mikrokosmos einer Kleinstadt: Buren, Engländer, Mischlinge, Schwarze – und einen deutschen Juden. Nunn zeigt dabei die fragilen Verhältnisse zwischen den Rassen (übrigens auch zwischen den Weißen) sehr nuanciert auf.

Ein schöner Ort zu sterben ist einerseits knallhart und schonungslos, andererseits birgt er aber auch hoffnungsvolle Momente. Vor allem zeigt er die brutale Absurdität der Apartheid, exemplarisch am trotteligen Jungpolizisten Hansie, der doch tatsächlich den gleichen Rang als Constable hat wie der intelligente und lebenserfahrene Shabalala. Ein sehr überzeugender Debütroman.

 

James McClure | Steam Pig

Auch Steam Pig ist ein Debütroman, allerdings schon aus dem Jahr 1971. Autor McClure war gebürtiger Johannesburger und wuchs in Pietermaritzburg auf. Mit Mitte 20 verließ der systemkritische Journalist Südafrika Richtung England. Andernfalls wäre es auch schwierig geworden, seinen Erstling sechs Jahre später zu veröffentlichen, denn er kritisiert zwar subtil, aber eindeutig das damalige System der Apartheid.

Durch einen Fehler des Bestatters landet die Leiche von Therese Le Roux nicht im Krematorium, sondern in der Rechtsmedizin. Dort wird festgestellt, dass die weiße Musiklehrerin keinesfalls eines natürlichen Todes starb, sondern ermordet wurde. In ihren Nachforschungen stoßen Lieutenant Kramer und Sergeant Zondi auf eine Familientragödie, Korruption und Machtmissbrauch.

„Mrs Johnson wandte ihm langsam den Kopf zu. Er sah, dass sie zitterte. Wie viel älter sie auf einmal wirkte.
[…] Das Gesicht war breit, aber nicht ungewöhnlich breit. Auffallend war dagegen die stumme Qual, die in den braunen Augen – deren Weiß nicht den üblichen gelben Schimmer hatte – und in den tiefen Kerben um den kindlichen Mund zu erkennen war. Im Gegensatz dazu war der Hals schwanenglatt. Die Hände, sehr fest im Schoß gefaltet, waren kräftig, aber feingliederig, mit einer schwachen Cornflake-Sprenkelung auf dem Rücken. Auch die Füße waren klein.
Es war klar, dass sich ihr Farbigenblut auf das Arteriensystem beschränkte.“ (Seiten 168-169)

Auch James McClure bedient sich eines schwarz-weißen Ermittlerduos. Der Zulu Mickey Zondi ist dabei selbstverständlich dem machohaften, ruppigen weißen Buren Trompie Kramer unterstellt und in der Öffentlichkeit bedient Kramer auch die rassistischen Vorurteile, indem er Zondi herablassend als „Boy“ und „Kaffer“ betitelt. Doch eigentlich ist das Verhältnis der beiden von großem gegenseitigen Respekt geprägt und der intelligente und gerissene Zondi hat großen Einfluss auf die Ermittlungen. Beide kennen jedoch ihre Rolle im System und greifen es nicht direkt an, sondern desavouieren das Regime durch ihr (im Geheimen gepflegtes) kameradschaftliches Verhältnis und ihren Sinn für Gerechtigkeit in einem ungerechten System.

Steam Pig war der Auftakt zu einer achtbändigen Reihe um die beiden Ermittler (McClure gewann damit auf Anhieb 1971 den Dagger Award), die nun sukzessive vom Zürcher Unionsverlag wiederveröffentlicht wird. McClure hält sich nicht groß mit Erklärungen auf, sondern bringt über den Kriminalfall direkt, hart und ironisch die Verhältnisse des Apartheidstaates auf den Punkt: Eine weiße Minderheit, die korrupt und machtgierig ihre Privilegien bewahren will und dafür andere Ethnien marginalisiert. Mehr als vierzig Jahre nach Erscheinen und zwanzig Jahre nach Ende der Apartheid ist dieser Roman immer noch kein bisschen angestaubt.

 

Text und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Ein schöner Ort zu sterben | Erschienen 2011 im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-7466-2683-3
416 Seiten | 9,95 Euro
Wertung: 4,5 von 5
Kategorie: historischer Krimi
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Steam Pig | Erstmals erschienen 1971, die aktuelle Ausgabe erschien am 25. September 2016 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-20743-1
352 Seiten | 9,99 Euro
Wertung: 4 von 5
Kategorie: gesellschaftskritischer Krimi, Klassiker
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Doppelbesprechung von „Steam Pig“ und „Song Dog“ bei Sätze & Schätze

0 Replies to “Rezensions-Doppel: Malla Nunn | Ein schöner Ort zu sterben & James McClure | Steam Pig”

  1. Zwei Empfehlungen für James McClure an einem Tag habe ich heute bekommen. Ach Gunnar, da muss ich tatsächlich schon wieder meinen Wunschzettel bemühen.(Wenigsten habe ich die Mala Nunn schon gelesen ;)) Liebe Grüße, Petra

  2. Immer wieder eine Freude zu lesen, dass Malla Nunn weiterhin Leser findet. „Ein schöner Ort zu sterben“ ist einer der wenigen Kriminalromane, die mir auch nach Jahren noch eindringlich in Erinnerung geblieben sind. – McClure wartet noch im Regal darauf, gelesen zu werden. Deine Rezi hat jedenfalls Lust gemacht!

  3. Kein bißchen angestaubt: Genau so empfand ich Steam Pig auch, ebenso dann die Fortsetzung Song Dog. Hat mir ausnehmend gut gefallen und Deine Besprechung trifft`s. Danke auch für den Link!
    Malla Nunn habe ich dann glaube ich auch von Dir das erste Mal gehört – ich bin mit „Zeit der Finsternis“ eingestiegen. Auch beeindruckend, was die Milieuschilderung, die Schilderung der gesellschaftlichen Lage in den 1950ern in Südafrika angeht.

    1. Ja, durch den Roman ist mir auch erst wieder bewusst geworden, dass die Ressentiments nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch zwischen den „gleichfarbigen“ Bevölkerungsgruppen bestanden. Ich bleibe bei Malla Nunn auf jeden Fall dran. LG, Gunnar!

  4. Mann, mann, Du haust da ganz schön raus: desavouieren. Noch nie gehört, aber man lernt ja nie aus. 🙂
    James McClure muss ich jetzt dann auch mal anfangen, immerhin kommen im April weitere Teile auf den Markt und man muss nicht den letzten Teil gar vor dem zweiten lesen. Aber bei dieser Reihe lohnen sich allein schon die Cover – die sind ja genial!

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