Oliver Bottini | Im weißen Kreis

Oliver Bottini | Im weißen Kreis

Behr neigte den Kopf zur Seite, blinzelte konzentriert. „So tragisch, wie klassisch. Zwei junge Männer aus der ehemaligen DDR verlieren im Mahlwerk der Wiedervereinigung Orientierung und Status, radikalisieren sich. Irgendwann planen sie die Rache für alles, was sie nicht erreicht haben und erdulden mussten.“
„Und die anderen? Die geholfen haben?“
„Hier ein Sympathisant, dort ein Kamerad. Können wir ihnen Unterstützung nachweisen, kommen sie vor Gericht.“ […]
Louise nickte, sah Behr wieder an. „Und der Auftraggeber?“
„Welcher Auftraggeber?“
„Der Ludwig Kabangu töten lassen wollte.“
„Bei der Ausführung des Mordanschlags zu Tode gekommen.“ In Behrs Blick kroch Fatalismus. „Einen anderen Auftraggeber als die beiden gibt es nicht. Das müssen Sie doch verstehen, Frau Bonì.“ (Auszug Seite .214)

Von einem Undercover-Kollegen wird die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì über den Kauf zweier Pistolen informiert. Die Spur führt in deutsche Neonazi-Kreise. Doch es gibt wasserdichte Alibis, schweigsame Zeugen, wenig Greifbares. Gleichzeitig befindet sich der Ruander Ludwig Kabangu in der Stadt und fordert die Gebeine eines Ahnen von der Universität zurück, einst von deutschen Rasseforschern geraubt. Ist er das perfekte Opfer? Bonì gräbt immer tiefer und stößt auf ein undurchsichtiges rechtes Netzwerk.

Louise Bonì ist zurück! Fünf Jahre lang mussten die Leser auf einen weiteren Roman um die Freiburger Hauptkommissarin warten. In der Zwischenzeit veröffentlichte Oliver Bottini zwei Stand Alones – Der kalte Traum, Ein paar Tage Licht -, um nun den sechsten Roman der Bonì-Reihe herauszubringen. Der Roman Im weißen Kreis spielt im Jahr 2006 und behandelt ein sehr aktuelles, politisches Thema in Deutschland: Die Gefahr von Rechts. Der Fokus des Buches liegt ganz klar auf Louise Bonì, sie ist die zentrale Figur des Romans. Ich kenne bislang nur ein weiteres Buch der Reihe (Im Sommer der Mörder) und da Ereignisse aus vorangegangenen Bänden auch hier eine Rolle spielen, ist es natürlich immer etwas schwierig reinzukommen. Louise Bonì macht es einem auch nicht leicht. Sie ist kantig, knurrig, eigensinnig, sucht ständig nach Reibung. Louise ist einsam, ohne einen echten Vertrauten: Ihr Freund Ben will vor der Freiburger Beschaulichkeit nach Bosnien fliehen, ihren verstorbenen Vorgesetzten Rolf Bermann wünscht sie sich während des Falles mehr als einmal herbei. Sie findet nicht zur Ruhe, ist körperlich, aber auch seelisch am Ende

„Die Müdigkeit kehrte zurück, die Erschöpfung. Keine Erschöpfung, die man loswurde, wenn man mal ein paar Wochen Urlaub machte. „(Auszug Seite 149)

Dennoch pusht sie sich hoch, zwingt sich zum Weitermachen, ermittelt wie besessen ohne Kompromisse. Denn sie hat das Gefühl, dass sie es machen muss, sonst kümmert sich niemand darum. Aber sie hat mehr Rückhalt im Kollegium als sie denkt. Man muss sie übrigens gar nicht ins Herz schließen. Sie ist auch so eine bemerkenswerte Hauptfigur.

Das mögliche Opfer, Ludwig Kabangu, ist ein älterer Mann aus Ruanda. Er hat eine dunkle Vergangenheit, war in den grausamen Bürgerkrieg in seiner Heimat involviert. Kabangu wird von der Vergangenheit verfolgt und sucht vergeblich nach innerer Ruhe, insofern ist er ein Seelenverwandter Louises. Ich fand seine Geschichte schon fast zu viel angesichts der übrigen, komplexen Story.

Die Ereignisse rund um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)  standen Pate für den Plot. Es beginnt im Prolog mit einem Polizistenmord in Karlsruhe und der Leser wird direkt an den Polizistenmord in Heilbronn erinnert. Die Story ist sehr komplex und man muss befürchten, ziemlich nahe an der Wahrheit. Louise Bonì ermittelt in einer undurchsichtigen Gemengelage von Neonazis, Blood and Honour, einer deutschen Sektion des Ku-Klux-Klans und rechten Männerbünden. Und immer in Reichweite: V-Männer, der Verfassungsschutz, der Staatsschutz. „Unsere Leute“, wiederholt Louise ein Stück weit fassungslos wie ein Mantra im Roman. Da wird fehlinformiert, vertuscht, kleingeredet und man fragt sich, wie viel wird unter staatlicher Beobachtung (oder Beteiligung?) angestellt. Ein Staat, der immer wieder behauptet, es handelt sich bei den Neonazis um Einzeltäter oder isolierte Zellen („Ein durch und durch demokratischer Staat mit ein paar einzelnen Radikalen.“). Dass dem nicht so sein könnte, dass hat uns erst der NSU-Komplex gezeigt.

Oliver Bottini greift dies auf und spinnt es weiter. Harter Tobak und eine echt gute, realitätsnahe Story. Hierzu kommt ein wirklich eleganter, filigraner Schreibstil. Alles in allem ein überzeugender Kriminalroman.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Der weiße Kreis
Im weißen Kreis | Erschienen am 22. September 2015 im DuMont Buchverlag
ISBN 978-3-8321-9699-8
304 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

3 Replies to “Oliver Bottini | Im weißen Kreis”

  1. Bottini hab ich auch schon seit Ewigkeiten auf dem Radar. Hab bisher immer gezögert, aber vielleicht sollte ich mir „Im weißen Kreis“ doch mal zulegen. Schöne Rezension, Gunnar!

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