Larry Brown | Fay

Larry Brown | Fay

„Du musst nicht mitkommen“, sagte er.
Sie musterte sein Gesicht, den muskulösen Arm und die Hand, die das Bier hielt, wohlwissend, wie gern sie diese Hände auf sich spürte und wie sicher sie sich manchmal in diesen Armen fühlte.
„Ich kann dich hierlassen und wegfahren“, sagte er. „Ich meinte, du warst ja auch unterwegs, als wir uns begegnet sind. Du bist nicht schlechter dran, Fay. Verdammt“, sagte er, halb zu sich selbst. „Vielleicht geht’s dir dann sogar besser.“
Er wandte ihr das Gesicht zu und wartete auf ihre Antwort. Doch sie dachte nur ganz kurz nach, denn allein unterwegs sein war das Letzte, was sie wollte. Lieber das kleinere Übel. Sie zog den Kopf ein, stieg in den Wagen und schloss die Tür. (Auszug Seiten Seiten 511-512)

Die 17-Jährige Fay Jones lebt mit ihrer Familie in einer Hütte im Wald in der Nähe von Oxford, Mississippi. Der Vater gewalttätig, alle zusammen bitterarm. Sie beschließt eines Tages, abzuhauen und alles hinter sich zu lassen. Ihr vages Ziel: Biloxi an der Küste des Golfs von Mexiko.

Fay ist eine armes, ungebildetes junges Mädchen aus ärmlichsten Verhältnissen. Nachdem ihr Vater sie zuletzt auch sexuell bedrängt hat, nimmt sie Reißaus. Fay hat nicht viel mehr dabei als die Klamotten, die sie trägt, eine Handtasche und ganze zwei Dollars. Sie kommt nur wenige Kilometer weit, als ein paar Hillbillies sie aufgabeln. Fay trinkt und kifft mit und entkommt einer Vergewaltigung nur durch eine plötzlich einsetzende Übelkeit. Dies ist aber nur eine erste kurze Episode.

Fay ist eine absolute Hinterwäldlerin, ohne Bücher und Fernsehen aufgewachsen. Daher ist sie natürlich unerfahren und naiv, andererseits hat sie die Härten des Lebens schon kennengelernt. Außerdem ist sie nicht dumm und lernt schnell. Sie hat keinen extremen unrealistischen Traum, sie möchte einfach ihrem bisherigen Leben entfliehen, vor allem möchte sie aber nicht allein sein. Aber natürlich ist dem Leser klar, dass es alles nicht so einfach ist, als „White Trash“ im ruppigen Süden der USA. Sie wird noch weiteren Männern begegnen, darunter der Highway-Polizist Sam und der Türsteher und Dealer Aaron. Und bei aller Naivität wird es letztlich Fay sein, die – ohne es zu wissen – die Fäden in der Hand hält.

Nachdem er gefahren war, weinte sie ein Weilchen, dann trocknete sie ihre Tränen, spülte das Geschirr, fegte und wischte den Küchenfußboden. Sie wusste nichts übers Schwangersein, wusste nicht, ob man unverzüglich zum Arzt gehen oder im Bett bleiben sollte oder was. Wie man Kinder großzog, sein Haar frisierte oder seinen Mann beglückte, konnte sie vermutlich in Amys Zeitschriften lesen. Wie man seinen Mann beglückte, wusste sie offenbar schon. Man musste ihn bloß immer richtig vögeln. Dass er gar nicht zu sich kam. Als er ging, hatte er ziemlich glücklich gewirkt. (Seite 172)

Zu Beginn des Buches wird man förmlich von den anerkennenden Zitaten von Schriftstellerkollegen von Larry Brown erschlagen. Größen wie James Lee Burke, John Grisham, James Sallis und andere hielten offenbar große Stücke auf Larry Brown. Umso erstaunlicher, dass Fay der erste Roman in deutscher Übersetzung ist. Larry Brown kam wie einige seiner Südstaatenautoren-Kollegen erst verspätet zur Literatur. Nach seiner Militärzeit war er in einigen Jobs tätig, zuletzt langjährig als Feuerwehrmann. 1988 erschien eine Kurzgeschichtensammlung als sein Debüt. Er veröffentlichte neben vielen Short Stories fünf Romane, 2000 erschien Fay als sein vierter. 2004 starb Brown im Alter von 53 Jahren an einem Herzinfarkt.

Diese Geschichte ist von Melancholie, Sehnsucht, Ängsten, zarten Hoffnungen, aber letztlich auch von Gewalt geprägt. Larry Brown schreibt in einer präzisen, unprätentiösen Sprache. Er lässt sich für diese Geschichte viel Zeit, beschreibt die Atmosphäre und die Gefühle der Hauptfiguren sehr intensiv. Dadurch werden die Personen sehr glaubhaft in ihrer Widersprüchlichkeit. Insgesamt ist Fay ein toller Südstaatenroman, dem man aufgrund seiner Intensität auch einige langatmige Passagen verzeiht.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Fay | Erschienen am 9. Mai 2017 bei Heyne Hardcore
ISBN 978-3-45327-096-1
656 Seiten | 24.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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