Heinz Strunk | Der goldene Handschuh

Heinz Strunk | Der goldene Handschuh

Als ich im vergangenen Herbst die Vorankündigung für Der goldene Handschuh las, wusste ich sofort, dass dies ein Buch ist, an dem ich nicht vorbei komme. Fritz Honka, dessen Konterfei das Cover ziert, hat mich seit je her interessiert. Dabei kann ich das Warum im Fall Honka gar nicht so genau auf den Punkt bringen. Ich denke, es ist die gelungene Mischung der Wirklichkeiten des Falls, die eine Faszination ausmacht. Das Hamburger Milieu der 70er-Jahre und dazu eine verkrachte Existenz, von der Heinz Strunk zitierend sagte, „dass er auch noch das Pech hatte zum Mörder zu werden“.

Strunks schrecklicher Held heißt Fritz Honka – für in den siebziger Jahren aufgewachsene Deutsche der schwarze Mann ihrer Kindheit, ein Frauenmörder aus der untersten Unterschicht, der 1976 in einem spektakulären Prozess schaurige Berühmtheit erlangte. Honka, ein Würstchen, wie es im Buche steht, geistig und körperlich gezeichnet durch eine grausame Jugend voller Missbrauch und Gewalt, nahm seine Opfer aus der Hamburger Absturzkneipe „Zum Goldenen Handschuh“ mit.

Autor Heinz Strunk war bisher eher für seine humoristischen Bücher mit autobiografischen Zügen bekannt. Der goldene Handschuh ist nun sein erster Roman, welcher ausdrücklich ohne eigene Lebenseinflüsse geschrieben wurde. Als Fritz Honka im Dezember 1970 seinen ersten Mord beging, war Heinz Stunk gerade mal 8 Jahre alt. Als das ganze Ausmaß Honkas Mordens am 17. Juli 1975 ans Licht der Öffentlichkeit kam, war er 13 und der Fall seit je her unvergessen, denn das war natürlich eine wahre Sensation in Hamburg.

Der goldene Handschuh, das war und ist übrigens die Kneipe am Hamburger Berg (genau: Zum Goldenen Handschuh), auf St. Pauli, in welcher Honka bevorzugt verkehrte und wo er alle seine Opfer kennenlernte. So zwiegespalten das Cover zwischen einerseits dem Konterfei Honkas und andererseits dem Namen der Kneipe als Titel des True Crime Romans ist, so zwiegespalten ist auch die ganze Geschichte, die Mathias Halfpape alias Strunk uns erzählt. Denn es ist kein ausschließlicher und gar nicht gewollter Tatsachenbericht über den Serienmörder Fritz Honka, wenn dies auch den meisten Raum der gerade einmal 254 Seiten einnimmt. Vielmehr war Heinz Strunk darum bemüht, eine Art Milieustudie um die Kneipe und den Hamburger Berg anzulegen, weshalb er zwei weitere Nebenhandlungen verflochten hat, die uns zeigen sollen, dass es mitnichten bloß die verkrachten Honkas Hamburgs waren, die sich in den Kaschemmen am Hamburger Berg herumdrückten, um dort mit viel Alkohol ihren Weltschmerz zu ersaufen, jeder für sich und doch gemeinsam.

Mir hätte Honka genügt. Das war mir direkt klar, denn mein Antrieb fürs Lesen war ja „Fiete“, wie er im Goldenen Handschuh genannt wurde. Dass nun auch andere Motive zum Alkoholismus und in Kaschemmen führen, nun, das kann man sich denken. Doch Heinz Strunk war es wohl ein besonderes Anliegen, dies durch die Nebenhandlungen zu verdeutlichen. Was Honka betrifft, wurden meine Erwartungen übertroffen. Strunk schreibt wirklich herausragend detailliert; das Elend und der Gestank siffen regelrecht aus den Seiten. Gestank und menschliche Abgründe waren für mich selten so nachvollziehbar, wie bei dieser Geschichte. Dafür hat der Autor auch ordentlich und viele Jahre recherchiert. Er selbst spricht von 150 Ortsterminen im Goldenen Handschuh. Aus den vielen Eindrücken und Gesprächen formte er später die Dialoge im Buch.

Zu Beginn der 70er ist Honka 35 und lebt in einer kleinen Dachgeschossbude in der Zeißstraße 74 in Hamburg. Da er aufgrund eines Unfalls und schweren Misshandlungen in seiner Kindheit sehr zerschlagen aussieht und zudem schmächtig und klein ist, hat er bei den Frauen seines Alters keinerlei Chance, noch nicht einmal im Goldenen Handschuh, wo sich der Bodensatz der Gesellschaft zum Saufen trifft. (Wenn man bevorzugt FaKo, Fanta und Korn im Verhältnis 50:50, trinkt, nennt man es wohl Saufen.) So sind die Frauen, die er aufgabelt nicht nur erheblich älter sondern ebenso zerschunden und zudem Prostituierte. Im Grunde ideale Opfer, doch Honkas Intention war nicht das Töten. Honka träumte von einem ganz normalen Leben. Er wollte eine Frau und er wollte selbst ein anderer sein, jemand, der sich selbst im Spiegel ertragen kann und der nicht aus dem Mund stinkt, dazu mit einer schönen Frau mit rosiger Haut. Doch da ihm das Leben dies verwehrte, kam es anders. Und man sollte es erlesen!

Die Fakten sind öffentlich, Heinz Strunk hat weitere ergänzt, denn es war ihm gelungen, Einsicht in die Prozessakten Honkas zu bekommen, welche er ausgiebig studierte. Für mich hätte das Buch auch noch umfänglicher sein dürfen. Immerhin hat Strunk sein Werk von etwa 750 Seiten auf ein Drittel reduziert, um nur die Essenz zu veröffentlichen, wenn ich ihn richtig verstanden habe. Doch Strunk hat gesagt, was er sagen wollte und wir müssen uns damit begnügen.

 

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Der goldene Handschuh | Erschienen am 26. Februar 2016 bei Rowohlt
ISBN 978-3-498-06436-5
254 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Hinweis: Morgen gibt es meinen Bericht zur Lesung in Köln

2 Replies to “Heinz Strunk | Der goldene Handschuh”

  1. Stimmt, unsere Rezensionen sind sehr unterschiedlich 😉 Hut ab, super geschrieben. Und das Buch hat so viele Facetten, dass man ihm in einem einzigen Text sowieso nicht gerecht werden kann.

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