Eric Ambler | Der Fall Deltschev

Eric Ambler | Der Fall Deltschev

Die Wahrheit über meine Rolle im Fall Deltschev ist nicht erfreulich. Ich bin nicht einmal in die Gefahr hineingestolpert, ich bin hineinspaziert. Ich bin dahingeschlendert, so wie man durch das faszinierende Gewirr von Straßen und Gassen der Altstadt schlendert. Man hatte mich gewarnt, mir gesagt, dass sie gefährlich seien, gewiss: aber ich hatte gedacht, sie seinen gefährlich für die Warner, nicht für mich. Und als ich sah, dass ich mich verirrt hatte, und herauszukommen versuchte, sah ich auch, dass ich verloren war. So ungefähr empfand ich es. (Auszug Seiten 217-218)

In einem sowjetisch beeinflussten Balkanstaat kurz nach dem zweiten Weltkrieg wird der ehemalige Regierungschef und Oppositionspolitiker Jordan Deltschev angeklagt, ein Verräter und Verschwörer zu sein, der in Attentatspläne gegen den amtierenden Staatschef Vukaschin der kommunistischen Volkspartei verwickelt ist. Der Schauprozess wird auch von der ausländischen Presse verfolgt. Der britische Dramatiker Foster soll für eine amerikanische Zeitung Beiträge zum Prozess liefern. Doch Foster ist mit der ihm zugedachten Beobachterrolle nicht einverstanden und begibt sich in gefährliche Hintergrundrecherchen.

Für Foster und die westlichen Beobachter ist schon von vornherein klar, dass Deltschevs Verurteilung längst beschlossene Sache ist und die Prozessführung dementsprechend manipuliert wird. Umso erstaunter ist er, als die Anklage merkwürdigerweise offenbar tatsächliche Beweise für eine Beteiligung Deltschevs an einer reaktionären, terroristischen „Bruderschaft“ vorlegen kann. Obwohl Foster von seinem Kontaktmann vor Ort, Paschik, und dem Propagandaministerium gebremst wird, geht er den Dingen (auch mit einer Portion Naivität) auf den Grund, kontaktiert die Familie Deltschevs und gerät schließlich in ein echtes Mordkomplott.

Mit Der Fall Deltschev beendete Eric Ambler eine elfjährige Schreibpause und gleichzeitig markiert es den Bruch des Autors mit Kommunismus und Stalinismus. War Ambler vor dem Krieg noch ein eindeutig linker Autor mit Sympathien für die kommunistische Seite, so hatte sich diese Sympathie mit den Auswüchsen des Stalinismus erledigt. Die sowjetisch-beeinflussten Schauprozesse in diversen osteuropäischen Staaten (als maßgebliches Vorbild für den Roman diente unter anderem  der Prozess gegen Nikola Petkow nach Kriegsende boten für Ambler Gelegenheit für eine Abrechnung in Thrillerform. Ambler verschreckte damit einige alte Fans, aber in seiner Biografie „Here lies Eric Ambler“ registrierte er mit Wohlwollen, dass Der Fall Deltschev „als antistalinistischer, sozialistischer Roman bezeichnet worden [ist], eine durchaus schmeichelhafte Beschreibung“. Im Roman beschreibt Ambler wie eine stalinistische Volkspartei in einem totalitären Führungsanspruch sich der Opposition entledigen will und dabei selbst in brutale Machtkämpfe zerfällt. Und wie bei ihm so üblich, installiert Ambler eine Person von außerhalb, in diesem Fall den Theaterautor Foster, bislang völlig unbeleckt auf dem Gebiet des politischen Journalismus, um die Zusammenhänge aufzudecken und sich darin zu verheddern.

Wer einen Ambler liest, muss sich darauf einlassen, dass die heute so gepflogene Thrillermaxime Show, don’t tell! außer Kraft gesetzt ist. Ambler erklärt durchaus einiges, dies aber durchaus clever verpackt in Dialogen, Selbstreflexionen, Briefen oder Dossiers. Er verzichtet dabei aber keineswegs auf einige Thriller-Spannungsmomente, dennoch sind diese Elemente in diesem Roman schon etwas spärlich gesät. Wenn man aber dem Stil gewogen ist, wird man auch bei Der Fall Deltschev mit intelligenter, aber auch durchaus komplexer Thrillerkost belohnt.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Der Fall Deltschev | Erstmals erschienen 1951
Die aktuelle gelesene Ausgabe erschien am 18. Juli 2017 bei Atlantik im Hoffmann & Campe Verlag
ISBN 978-3-455-65513-3
346 Seiten | 12.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu den Eric Ambler Romanen Die Maske des Dimitrios, Ungewöhnliche Gefahr, Bitte keine Rosen mehr, Doktor Frigo sowie ein von ihm verfasstes Porträt des Autors anhand der Lektüre Ambler by Ambler. Weitere Klicktipps gibt es am Ende des Porträts.

0 Replies to “Eric Ambler | Der Fall Deltschev”

  1. Ja, es ist schon interessant, wie sich Ambler dann später in seiner politischen Haltung gewandelt hat – und wie diese Wandlung in die Bücher eingeflossen ist. Für mich einer der besten Krimi-Autoren, die es je gegeben hat. Und von prophetischer Natur dazu. Er hat einiges vorhergesagt, was dann tatsächlich letztlich eingetreten ist. – Wie immer ne Top-Besprechung! Wollte mir die Ambler-Romane ja ebenfalls chronologisch vornehmen, aber die Zeit … Mal sehen, wann ich meinen den Marathon fortführe. Momentan hat mich das „Goldene Zeitalter“ des Kriminalromans wieder in den Fängen. Daher ist als nächstes ein John Dickson Carr dran.

    1. Ich habe mir vorgenommen, in jedem Halbjahr einen Ambler zu lesen. Er enttäuscht mich aber auch nicht, diesen hier fand ich nicht so überragend wie z.B. „Doktor Frigo“ oder „Dimitrios“, aber immer noch gut und thematisch ist ein Ambler einfach immer interessant.

      1. Bin ich vollkommen bei Dir. Der konnte anscheinend keine richtig schlechten Bücher schreiben. Umso verrückter, dass der sich in Deutschland so schlecht verkauft hat. Zumindest unter Diogenes-Zeiten. Von „Topkapi“ und „Dimitrios“ abgesehen, haben die anderen Titel quasi nur gelegen. Habs ja schon mal erzählt: Da gabs mal ne zeitlang sogar ne Diogenes-Liste mit den Worstsellern. War immer mindestens ein Ambler pro Jahr drauf. 😉

          1. Sieht danach aus. Allerdings habe ich das Gefühl in Punkto Papierqualität spart HoCa einiges ein. Da ist bzw. war man von Diogenes doch anderes gewohnt. Wenn aber dafür wieder endlich alle (!) Ambler neu aufgelegt werden, nehme ich das gerne in Kauf. – Wenn jetzt noch ne Rowohlt-Neuauflage von Dexter kommt, bin ich glücklich. 😉

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