Rosa Ribas & Sabine Hofmann | Das Flüstern der Stadt

Rosa Ribas & Sabine Hofmann | Das Flüstern der Stadt

Barcelona in den frühen 1950er Jahren. Ganz Spanien leidet unter dem Joch des General Franco und seiner Einheitspartei Falange Española. Der „letzte faschistische Diktator“ wird gefürchtet, hat er doch das Land mit seiner Geheimpolizei fest im Griff. Politische Gegner werden in brutalen Säuberungsaktionen verhaftet, gefoltert und umgebracht. In diesen Zeiten des Misstrauens spielt die Wahrheitsfindung keine große Rolle, schon gar nicht auf einem Polizeirevier.

Zeitungsbericht über die Rede des Zivilgouverneurs (Seite 194):
Die Zahl der Verbrechen im Neuen Spanien ist gering. Gerade weil unsere Regierung tolerant und menschlich ist, gerade weil die Rechte aller Bürger respektiert werden, gerade weil wir keineswegs einen Polizeistaat haben, schätzen wir die Arbeit unserer unermüdlichen Polizei so hoch ein. Es sind diese ebenso patriotischen wie fähigen Männer, die Tag und Nacht über das Wohl der Bürger wachen.

Im zweiten Teil seiner Rede fing der Zivilgouverneur allerdings an, der Presse zu drohen. Gegen offene Kritik habe er nichts, eine solche sei heilsam und angemessen. Wen der Zivilgouverneur tatsächlich im Visier hatte, war klar: die Journalisten, die scheinbar formal korrekt schrieben, aber unter der glatten Oberfläche auf arrogante, wenn nicht gar perfide Weise die wohlgemeinten Aktivitäten der Regierung verurteilten.

Das erfährt auch Ana Marti, eine junge Journalistin, die bisher für die Gesellschaftsnachrichten der Tageszeitung La Vanguardia zuständig ist. Sie soll als Vertretung über den Mord an Mariona Sobrerroca schreiben. Diese gehörte als Witwe eines stadtbekannten Arztes zur Prominenz von Barcelona. Die ehrgeizige Ana nimmt die Chance gerne wahr, darf aber ihre Artikel nur in Abstimmung mit der Polizei schreiben. Berichte über Mordfälle werden nur zensiert veröffentlicht, da sie nicht in das idyllische Bild passen, dass Spanien der Weltöffentlichkeit preis geben will. Der leitende Kommissar Isidro Castro steht unter Druck, soll der Fall doch innerhalb vier Wochen gelöst sein, bevor ein wichtiger kirchlicher Kongress alle Augen auf Barcelona lenkt. Ana, die den Kommissar bei Zeugenaussagen begleitet, stellt ambitioniert eigene Nachforschungen an und entdeckt geheimnisvolle Liebesbriefe. Als sie ihre Cousine Beatriz Noguer, eine vom Regime kaltgestellte Sprachwissenschaftlerin um Hilfe bittet, geraten die beiden Frauen in große Gefahr.

Ich gebe zu, dass ich mich oft von einem schönen Cover verleiten lasse und das vorliegende, das an alte Schwarzweiß-Filme erinnert, hat mir besonders gut gefallen. Der Titel hört sich sehr poetisch an, und der Vergleich mit Carlos Ruiz Zafón ließ mich auf einen fesselnden, packenden Krimi hoffen.

Zu Beginn musste ich mich erst mal an die vielen spanischen Namen gewöhnen. Aber die Vielzahl an Charakteren und die Beschreibung der einzelnen Schicksale machen den Krimi auch sehr lebendig. Leider plätschert die Geschichte so ein bisschen dahin, erst im letzten Drittel kommt so was wie Spannung auf. Zum Schluss, wenn noch die eine oder andere überraschende Wendung auftaucht, wird es auch leider etwas hektisch und die Lösung wirkt überstürzt und ziemlich abrupt. Auch die Andeutung einer Liebesgeschichte hätte man sich meiner Meinung nach sparen können.

Mit einem angenehmen Sprachstil lassen Rosa Ribas und Sabine Hofmann, eine Spanierin und eine Deutsche, die 50er Jahre in Das Flüstern der Stadt wieder aufleben. Sie spielen mit der Macht der Worte und geben die bedrückende Stimmung mit ihren Berufsverboten, Verhaftungen und Denunziationen dieser Zeit authentisch wieder. Fast jeder hat ein Familienmitglied oder kennt jemand, der unter dem Franco-Regime zu leiden hat. Beatriz zum Beispiel kämpft seit ihrem Berufsverbot ums Überleben, auch in Anas Familie herrscht seit dem sozialen Abstieg eine bedrückte Stimmung. Vater und Sohn saßen im Gefängnis, Anas Bruder wurde hingerichtet, der Vater durfte danach seinen Job als Journalist nicht mehr ausüben. Was dem Autorenduo gut gelingt, ist die Beschreibung der 50er Jahre und dabei die Rolle der Frau. Als Leser fiebert man mit den beiden sympathischen Hauptprotagonisten, Ana und Beatriz mit, die sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft versuchen durchzusetzen. Interessant wie eine Frau angesehen wird, die zu der Zeit Auto fährt oder Männerbesuch empfängt. Mit Kommissar Castro wurde eine ambivalente Figur erschaffen, er ein liebevoller Familienvater, ist als Polizist nicht grade zimperlich, schlägt bei Verhören auch schon mal zu. Andere Figuren bleiben leider blass.

Trotz umfangreicher Beschreibungen, zum Beispiel von der Biblioteca de Cataluñya, in der Ana und Beatriz Recherchen betreiben, entstand von der Stadt Barcelona kein konkretes Bild in meinem Kopf. Ich wurde von dem Debüt des Autorinnenduos, der Teil einer Barcelona-Trilogie werden soll, gut unterhalten. Aber mit den phantastischen Geschichten eines Ruiz Zafón, der mit seinem erzählerischem Talent ein magisches, düsteres Barcelona beschreibt, hat dieser Krimi leider gar nichts zu tun.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

 

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Das Flüstern der Stadt | Erschienen am 27. November 2015 bei Rowohlt
ISBN 978-3-49923-462-0
512 Seiten | 9,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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