Rezensions-Doppel: Ulf Torreck ‚Fest der Finsternis‘ & David Gray ‚Sarajevo Disco‘

Rezensions-Doppel: Ulf Torreck ‚Fest der Finsternis‘ & David Gray ‚Sarajevo Disco‘

Vor fast drei Jahren ist mir dieser David Gray zum ersten Mal begegnet. Vorher war er und ist immer noch im Selfpublisherbereich aktiv und da habe ich nicht so ein Auge drauf. Kanakenblues hieß das Buch, ein richtig guter, hartgesottener Polizeikrimi mit dem dunkelhäutigen Bullen Boyle als Protagonisten. Anschließend konnte ich den Autor als sehr kommunikativen Menschen in den sozialen Netzen erleben, wo er neben politischer Meinung seine Freunde, Bekannte und Leser auch am „glorreichen“ Autorenleben teilhaben lässt.

Dann tauchte dieser Ulf Torreck als Autor auf, den ich erst beim zweiten Hinsehen als Klarnamen von David Gray erkannte. Ulf Torreck als seriöser Ableger und David Gray für die harten Sachen? Mit Blick auf den Inhalt von Torrecks Fest der Finsternis musste das natürlich schnell revidiert werden, allerdings war mein Interesse doch geweckt.

Zeit für eine Doppelrezension von Fest der Finsternis und dem neuesten Boyle Sarajevo Disco!

Ulf Torreck | Fest der Finsternis

Im September 1805 wird der Kommissar Louis Marais aus der Verbannung in der Provinz nach Paris zurückgeholt und direkt mit einem schauerlichen Fall betraut. Ein Torso einer jungen Frau wurde am Seine-Ufer gefunden. Schnell findet Marais heraus, dass dieser Fall zu einer ganzen Serie gehört, die allerdings bislang wohl geheim gehalten wurde. Erschüttert über das Ausmaß und die Brutalität der Morde zieht Marais einen alten Bekannten zu Rate: Den Marquis de Sade.

„Ich bin kein Ungeheuer, Marais! Ich bin ein Monster. Das ist etwas völlig anderes. Ein Ungeheuer oder Scheusal ist schließlich jeder mal im Leben. Doch um ein Monster zu sein wie ich, dazu gehört mehr. Was ein Monster ausmacht, ist seine absolute Unabhängigkeit. Ich bin nichts und niemand anderem verpflichtet als mir selbst und meinem Willen.“ (Auszug Seite 321)

Der alternde de Sade lebt inzwischen in einer Irrenanstalt vor den Toren von Paris, ist aber immer noch ein Freigeist, ein unbeugsamer Exzentriker. Der Fund eines ungewöhnlichen Kreuzes im Körper der Leiche und der Bericht eines Priesters über einen alten Orden, der satanische Riten vollzieht, lassen Marais zum Ärger de Sades diese Spur verfolgen. Bald geraten die ungleichen Partner in gefährliche Machtkämpfe im Kaiserreich, denn sowohl Polizeiminister Fouché als auch Außenminister Talleyrand haben ihre Aktien im Spiel, genauso wie Isabelle de la Tour, die Herrin der Nacht und Königin der Huren.

Torreck hat mit Fest der Finsternis einen opulenten historischen Thriller vorgelegt, mit zahlreichen historischen Personen des napoleonischen Kaiserreichs, die er zu einer fiktiven mysteriösen Geschichte versammelt. Minister, Polizisten, Huren, Ausgestoßene, Zigeuner – ein üppiges Personal und doch ist das gelungenste an diesem Cast das Ermittler-Duo wider Willen, Marais und de Sade. Marais ist ein integerer, intelligenter Mann, ein exzellenter Polizist, vom Schicksal gebeutelt, trotzdem gottesfürchtig, dies wird allerdings arg auf die Probe gestellt. De Sade hingegen ein Provokateur und Gotteslästerer, mit allen Wassern gewaschen und mit allen menschlichen Obszönitäten und Abgründen vertraut. Aber man ahnt es: Die beiden ergänzen sich prima und werden sich zunehmend zusammenraufen.

Der ausschweifende Plot passt zum Setting und den Figuren, hätte für meinen Geschmack aber noch etwas gestrafft werden können. Es ist auch teilweise nicht so einfach, der durchaus komplexen Handlung zu folgen. Dennoch ist dieser unkonventionelle Thriller mit Schauerromanelementen alles in allem eine wirklich gute Lektüre. Vor allem die differenzierte Darstellung des „Monsters“ de Sade hat mir exzellent gefallen.

 

Fest der Finsternis | Erschienen am 13. Februar 2017 bei Heyne
ISBN 978-3-453-67713-5
672 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3.5 von 5.0
Kategorie: historischer Krimi

 

David Gray | Sarajevo Disco

Für alle, die sich nicht mehr erinnern: Der erste Teil der Boyle-Reihe endete damit, dass der gute Lewis Boyle sein ganzes Magazin in ein Werbeplakat der Hamburger Polizei mit seinem Konterfei leerte. Boyle war ganz schön fertig, aufgerieben zwischen den hohen Erwartungen an seine Person durch die Werbekampagne, seiner Freundschaft zur Kiezgröße Teddy Amin, dem Tod seines Kollegen Tommy Graf, seinem eigenen moralischen Anspruch und den schmutzigen Deals, die er mit Gangstern und seinem Boss bei der Polizei gedreht hatte, auch um selbst nicht unter die Räder zu geraten.

Boyle hat es einige Jahre später (das Buch spielt 2004/05) inzwischen zum Leiter der Mordkommission geschafft und gerät nun wieder in wahrlich aufreibende knapp 24 Stunden. In einem Etablissement wird der wichtigste Helfer von Teddy Amin erschossen aufgefunden, kurze Zeit später die Leiche eines Mitglieds der Hells Angels. Auch auf den Boss der dritten großen Gang auf dem Kiez wird ein Anschlag verübt. Nun versuchen Boyle und die gesamte Hamburger Polizei einen Kiezkrieg zu verhindern. Gleichzeitig zu den Morden kommt es plötzlich zu Meldungen über mehrere Fälle von Überdosen bei Drogenabhängigen. Irgendjemand pusht eine neue tödliche Droge in den Markt. Es folgen aufreibende Stunden, in denen Boyle mehrfach va banque spielt.

Um Teddys absolut ungebremstes Zutrauen darin, dass die Zukunft gut sein werde, hatte Boyle ihn schon immer beneidet. Was jeden Ansatz von Vertrauen in die Zukunft in ihm immer wieder erschütterte und vernichtete, waren Orte und Augenblicke wie diese. Er stand zu oft vor den Trümmern andere Leute Leben, um noch glauben zu können, dass sich Vertrauen und Zuversicht wirklich lohnten. Eine beschissene déformation professionnelle. (Seite 267)

Zusätzlich zum üblichen Personal, das man teilweise schon aus dem ersten Teil kennt, etabliert der Autor eine Boyle ebenbürtige Figur in diesem zweiten Teil. Die Kommissarin Jale Arslan wird direkt zu Beginn mit einem Paukenschlag eingeführt: Sie erschießt in Notwehr ein ehemaliges RAF-Mitglied. Boyle ist beeindruckt von der Kaltblütigkeit und erkennt schnell, dass Jale ein Geheimnis verbirgt: Sie hat eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Doch Boyle erinnert sich an Jale und glaubt, dass sie mit ihrer gestörten Emotionalität, die sie aber mit einer umso größeren Auffassungsgabe kompensiert, in diesem Fall noch sehr nützlich sein kann. So beginnt sie zunächst mit Ermittlungsarbeiten in seinem Auftrag zu Beginn dieses Tages, wird aber im Laufe des Tages und der Nacht zu seiner engsten Partnerin und Verbündeten im Kampf an mehreren Fronten.

Wie schon Kanakenblues ist Sarajevo Disco ein Polizeithriller in rauem, schnoddrigen Ton mit ungewöhnlichen, aber in diesem Plot überzeugenden Figuren. Mit großem Tempo und Intensität hetzt der Autor seine Protagonisten durch die knallharte Story, in der es nicht nur um Machtkämpfe zwischen Gangstern, sondern vor allem auch im Polizeipräsidium geht. Und auch wenn Gray ab und zu ein wenig die Gäule in seiner bildhaften Sprache durchgehen („Denn alles, worum es dem Präsidenten mit seinem Razziabefehl wirklich ging, war Bürgermeister Mahlmann so tief in den Arsch zu kriechen, dass all die Blechsterne auf seinen Uniformschultern hart über dessen Speiseröhre kratzen mussten.“, Seite 132), überwiegt der Spaß an diesem lässig-coolen, unkonventionellen, hartgesottenen Stück Krimi.

Sarajevo Disco | Erschienen am 18. August 2017 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-585-3
496 Seiten | 15.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4.0 von 5.0
Kategorie: noir | hardboiled

 

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu David Grays Roman Kanakenblues.

Tipp: Wer mehr vom Autor und seinen Werken erfahren will, dem kann ich wärmstens das Doppelinterview von Alexander vom Blog Der Schneemann ans Herz legen, zum einem mit Ulf Torreck, zum anderen mit David Gray.

2 Replies to “Rezensions-Doppel: Ulf Torreck ‚Fest der Finsternis‘ & David Gray ‚Sarajevo Disco‘”

  1. „Fest der Finsternis“ hat mir sehr gut gefallen.Im Gegensatz zu Dir bin ich nicht der Ansicht, dass der Plot hätte gestrafft werden können. M.E. wird so die Zeit/ der Zeitgeist so beschrieben wie er sich darstellte – oder wie wir ihn heute sehen,
    „Kanakenblues“ war für mich dagegen ein Sammelsurium knackiger Sprüche und aufgemotzter Szenen. David Gray sagte in einem Interview: „Ich wollte einen Krimi schreiben, den nicht nur SZ-Stammleser mögen, der eher an die jüngeren Leute geht. Und auch ein wenig in deren Sprache“.Na gut, wenn das das Anliegen des Autors war, hat er in diesem, seinem Sinn einen guten Krimi geschrieben. Mir hat er nicht gefallen – gehöre allerdings zur Großvatergeneration Grays Haupt-Zielgruppe, obwohl kein SZ-Stammleser. Übrigens: Die ersten Kapitel von Sarajevo Disco finde ich gut.

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