Paul Colize | Back up

Paul Colize | Back up

Am Ende packte Pete Townshend seine Gitarre am Hals und hieb sie wie eine Axt auf den Boden. Dann nahmen sie sich die Verstärker vor. Das Ende war dermaßen brutal, dass ein Teil der Zuschauer in Panik geriet. Einige Zuschauer drängten zum Ausgang.
Ich verließ den Club wie narkotisiert, taub und groggy. Birkin sah aus, als würde er Geister sehen. Eine Textzeile, so unmenschlich sie auch war, ließ mich nicht mehr los.
Später habe ich die immer wieder halblaut vor mich hin gesummt, bis sie schließlich zu einem meiner Credos wurde.
I hope I die before I get old.
Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich alt werde. (Auszug Seite 152)

Vor dem Brüsseler Gare du Midi wird ein Mann von einem Auto erfasst. Im Krankenhaus wird das Locked-In-Syndrom diagnostiziert. Der Mann hat keine Papiere bei sich, wird von niemandem vermisst. In einem Pflegeheim nimmt sich ein Physiotherapeut seiner an und versucht, dem Geheimnis von Patient „X Midi“ auf die Spur zu kommen. Dessen Geschichte führt zurück in die „Swinging Sixties“ und zum mysteriösen Tod der vier Mitglieder der Band „Pearl Harbor“ im März 1967.

Der Roman ist in drei Erzählebenen konzipiert: Zum einen spielt er in der Gegenwart, wo sich der Physiotherapeut Dominique mit großem Einsatz sich dem Patienten „X Midi“ annähert und versucht, mit ihm zu kommunizieren. Diese Passagen erinnerten mich sehr an Jean-Dominique Baubys Schmetterling und Taucherglocke und tatsächlich hat der Autor dieses Buch am Ende in einer Bibliografie aufgeführt. Die weitere und sicherlich eindrucksvollste Ebene sind „X Midis“ alias Jacques Berniers Erinnerungen an sein Leben, die er als Patient im Krankenbett rekapituliert. Zuletzt gibt es die Recherchen, die ein nordirischer Journalist im Jahr 1967 führt. Dieser wird von den Hinterbliebenen auf die ungewöhnlichen Tode aufmerksam gemacht und vergräbt sich immer weiter in die merkwürdigen Begleitumstände.

Das Buch ist mehr als alles andere eine faszinierende Zeitreise in die „Swinging Sixties“ und die Geschichte des Rock ’n‘ Roll. Jacques wächst in typisch beengten kleinbürgerlichen Verhältnissen in Brüssel auf. Mit „Maybelline“ von Chuck Berry beginnt seine Liebe zum Rock ’n‘ Roll. Er selbst beginnt Schlagzeug zu spielen. Als er im Januar 1964 zum Wehrdienst eingezogen werden soll, flieht er nach Paris, nach einem Zwischenfall dort wenig später weiter nach London. Paul Colize gönnt seinem Protagonisten eine wilde, berauschende Zeit. Sex & Drugs & Rock ’n‘ Roll. Beatniks, Rocker, Mods, Hippies. Beatles, Stones, The Who, Cream. Jacques erlebt eine intensive Zeit in London, einmal darf er Eric Clapton bei einem privaten, spontanen Gig am Schlagzeug begleiten. Er lernt die Sängerin Mary kennen und begleitet sie und ihre Band zu einem Engagement im Frühjahr 1967 nach Berlin. Dort hinterlässt er in zahlreichen Clubs seine Kontaktdaten, falls jemand mal einen Schlagzeuger braucht. Und tatsächlich wird er eines Abends kontaktiert: Die Band „Pearl Harbor“ braucht einen Back Up, für die Aufnahme des programmatischen Titel „Girls Just Wanna Get Fucked All Night“.

Bis hierhin ist es ein wirklich guter Roman über die wilden Sechziger, aber nun kommt auch der Krimileser auf seine Kosten, denn es entwickelt sich ein Thriller basierend auf einer zugegeben abwegigen, aber spannend und gekonnt vorgetragenen Verschwörungstheorie. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es geht um eine der bekanntesten Mythen der Rockmusik.

Autor Paul Colize beweist ein feines Händchen für eine ungewöhnliche, aber mitreißende Story. Er hat sogar das Team seines Lieblingsradiosenders „Classic 21“ erfolgreich um Unterstützung geben, um bekannte und weniger bekannte Anekdoten aus der Geschichte der Rockmusik mit in die Geschichte einzubauen. Für alle Fans von Verschwörungstheorien und Rockmusik eine kurzweilige Lektüre.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

backup

Back up | Erschienen am 26. August 2015 bei Edition Nautilus
ISBN 978-3-89401-822-1
352 Seiten | 19,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterhören: Der YouTube-Soundtrack zu Back up

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