Horst Eckert | Wolfsspinne

Horst Eckert | Wolfsspinne

Ronny fuhr nicht schneller als achtzig Sachen und hielt sich strikt auf der rechten Spur, um keinen Unfall zu riskieren. Er war noch immer aufgewühlt. Eine Art Schüttelfrost und Übelkeit. Auch das Pfeifen im Ohr wollte nicht vergehen.
Schluss damit, sagte sich Ronny. Nie mehr Undercover. Gebt mir einen Schreibtischjob: Eingangspost sortieren, Stempel auf Aktenstücke drücken, Vorgänge abheften, irgend so etwas.
Nur eine letzte Sache gab es noch zu tun. Eine weitere Person war auszuschalten, und Ronny war sich bewusst, was vom Gelingen der Aktion Wolfsspinne abhing. Nicht bloß die Karriere einiger Beamter. Nicht nur seine eigene Freiheit. Es ging um weitaus Grundsätzlicheres. (Auszug Seite 162)

Hauptkommissar Vincent Veih ermittelt im Mordfall an einer Düsseldorfer Promiwirtin. Die Tote konsumierte und dealte in kleinem Rahmen mit Crystal Meth. Somit verfolgt die Mordkommission eine Spur ins Drogenmilieu. Dort hält sich auch der LKA-Undercover-Beamte Ronny Vogt auf. Er ist erst seit kurzem in Düsseldorf und war vorher für den Thüringer Verfassungsschutz in der Neonaziszene tätig. Dabei war er bei den Geschehnissen rund um den NSU näher dran als ihm lieb sein konnte. Und nun scheint ihn diese Vergangenheit in Düsseldorf wieder einzuholen.

Ronny ist beim Imbissbudenbetreiber Bischoff eingeschleust worden, da dieser im Verdacht steht, nicht nur Pommes und Würste, sondern auch Crystal Meth in der Stadt zu verteilen. Doch Bischoff setzt Ronny bevorzugt im Imbisslokal des Pächters Dennis Molitor ein, einer stadtbekannten Neonazigröße. Da Ronnys V-Mann-Aktivitäten nie aufgedeckt wurden, ist er bei den Neonazis ein geachteter Mann, stand er damals doch in engem Kontakt zum Nationalsozialistischen Untergrund. Doch seine Tarnung droht aufzufliegen, als ausgerechnet sein Cousin Vincent Veih, den er seit Anfang der 90er nicht mehr gesehen hat, im Rahmen seiner Ermittlungen bei den Bischoffs auftaucht.

Nachdem ich erst vor kurzem den zweiten Teil der Reihe, Schattenboxer, gelesen habe, habe ich mir nun den nächsten Teil deutlich schneller vorgenommen. Mit Wolfsspinne greift Autor Horst Eckert eines der derzeit heißesten Themen in Deutschland auf: Der NSU und das zunehmende Wiedererstarken rechtsradikaler Gruppen. Aber anders als sein Kollege Wolfgang Schorlau in Die schützende Hand begnügt sich Eckert nicht mit der Enthüllung der Ungereimtheiten, sondern erzählt die Geschichte weiter. Dabei verwendet er allerdings nicht die Klarnamen des NSU-Trios, Beate Zschäpe heißt bei ihm Liese Schittko. Außerdem begnügt sich Horst Eckert nicht nur mit dem Thema NSU und „neue Rechte“, sondern zieht Verbindungen zwischen verschiedenen Milieus und schafft Raum für weitere Themenfelder wie Crystal Meth und schmutzige Immobiliendeals. So ergeben sich zwei Handlungsstränge, die sich freilich am Ende miteinander verbinden.

Eckerts Protagonist Vincent Che Veih ist eine authentische, durchweg positiv besetzte Figur. Leiter des Kommissariats, ein ehrlicher, loyaler, unbestechlicher Polizist. Das Besondere an ihm ist seine Familiengeschichte: Mutter Ex-RAF-Terroristin, Großvater Ex-Nazi, der später in der Düsseldorfer Polizei Karriere machte. Manch einer mag dies für zu konstruiert halten, aber Eckert versteht es geschickt, diese Konstellationen für seine Plots zu nutzen, so dass er entgegen seiner alten Überzeugung doch eine Krimireihe begonnen hat (siehe unten). In diesem Buch tritt dann noch ein Verwandter von Vincent auf den Plan. Ronny, sein Cousin aus dem Osten, vom ewigen Undercover-Job ausgebrannt, aber immer noch im Dienst. Seine Vergangenheit lastet auf ihm, war er doch so etwas wie der vierte Mann der NSU und weiß genau, was damals im November 2011 in Eisenach tatsächlich passierte, als zwei rechte Terroristen in einem Wohnmobil starben.

Der Roman ist zugleich Whodunnit und Politthriller. Und was man bei Horst Eckert auf jeden Fall mit dazubekommt: Ein waschechter Polizeiroman. Der Leser bekommt also nicht nur die Ermittlungsarbeit und den üblichen Privatkram der Hauptfigur mit, sondern einen Einblick in eine Mordkommission und Polizeibehörde, mit Intrigen, Verfehlungen, Machtspielen, aber auch Loyalität und Freundschaft. Sehr selten in deutschen Landen.

Der Autor erzählt die Geschichte mit wachsender Spannung, wechselnden Perspektiven und einer gelungenen Mischung aus Fakten und Fiktion. Insgesamt ist Wolfsspinne ein absolut stimmiger Kriminalroman mit politisch-brisantem Thema.

 

Rezension, Foto und Interview von Gunnar Wolters.

 

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Wolfsspinne | Erschienen am 26. August 2016 im Wunderlich Verlag bei Rowohlt
ISBN 978-3-80525-099-3
496 Seiten; 19,95 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

 

Fünf Fragen an Horst Eckert:

In einer Leserunde bei Lovelybooks hatte ich schon mal Kontakt zu Horst Eckert. Nachdem ich vor kurzem den 2. Band der Vincent-Veih-Reihe gelesen und rezensiert hatte, meldete sich Horst Eckert und bedankte sich für die Rezension. Da ich mir Wolfsspinne schon fest vorgenommen hatte, fragte ich ihn, ob er mir einige Fragen zu seinem Buch beantworten würde, was er sofort zusagte. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken (falls sich jemand wundert . das „Du“ haben wir aus der Lovelybooks-Leserunde weitergeführt).

Dein Autorenkollege Wolfgang Schorlau hat in einem Interview gesagt: „Es gibt so viele irrwitzige Dinge in diesem NSU-Komplex, die man entweder nur sich erklären kann, wenn man sagt, die Sicherheitsbehörden sind völlig unfähig oder sie verfolgen einen gewissen Zweck. Ich glaube, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und ich habe mich entschlossen zu sagen, sie verfolgen einen bestimmten Zweck.“ Ich nehme an, du stimmst der Aussage zu?

Unbedingt! Es ist doch völlig klar: Wenn die Verfassungsschutzbehörden vom Bundeskriminalamt im Rahmen der NSU-Ermittlungen aufgefordert werden, Akten zu V-Leuten in der Neonaziszene herauszugeben, und daraufhin genau diese Akten schreddern, dann verbietet es die Lebenserfahrung, von einer bloßen Panne oder von Unfähigkeit zu sprechen. Natürlich war das Absicht.
Wir müssen feststellen: Mehrere Verfassungsschutzämter hatten bei den NSU-Verbrechen ihre Finger im Spiel. Besonders auffällig ist das im Fall des Mordes an Halit Yozgat in Kassel 2006. Hier hatte die Polizei einen Beamten des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz unter Tatverdacht, wurde bei ihrer Arbeit allerdings vom damaligen Innenminister, dem heutigen Ministerpräsidenten von Hessen, ausgebremst. Der Beamte hätte vermutlich entscheidend zu einer Klärung des Mordfalls beitragen können. Stattdessen blieb der NSU weitere fünf Jahre unangetastet.
Bis heute haben wir im NSU-Komplex mehr offene Fragen als schlüssige Erklärungen. Auf einige dieser Fragen gebe ich in „Wolfsspinne“ Antworten. Sie sind fiktiv, aber ich halte sie immerhin für wahrscheinlicher als die offizielle Version von der „Pannenserie“ und vom Selbstmord der beiden Uwes im Wohnmobil in Eisenach 2011.

Das Thema NSU ist ein gefundenes Fressen für Krimiautoren. Ich habe die Bücher von Oliver Bottini (Im weißen Kreis) und Wolfgang Schorlau (Die schützende Hand) gelesen. Lässt man sich als Autor in irgendeiner Form davon beeinflussen, wenn Kollegen das gleiche Thema verwenden, oder blendet man das aus?

Wolfgangs Buch habe ich mit großem Interesse gelesen, es ist ja schon vor fast einem Jahr erschienen. Ich war natürlich sehr beruhigt, als ich merkte, dass sein Ansatz ein ganz anderer ist als meiner. In „Wolfsspinne“ setze ich einfach voraus, was „Die schützende Hand“ zu beweisen versucht. Ich erzähle, wie die beiden Männer des Terrortrios in Eisenach ermordet werden, und widme mich der Frage, wer es warum getan hat. Und vor allem schreibe ich die Geschichte in die Gegenwart weiter. Das war mir sehr wichtig, denn in Zeiten von Pegida und einer neuen erschreckenden Welle rechter Gewalt bekommt das NSU-Thema eine neue Relevanz. Ein NSU 2.0 ist in Ansätzen bereits zu erkennen. Die Täter sind auch heute oft vernetzt.

In „Wolfsspinne“ geht es nicht nur um die NSU, sondern unter anderem auch um miese Immobiliendeals, Crystal Meth. In „Schattenboxer“ kam zum RAF-Thema ein Psychopath. Was reizt dich daran, mehrere Themenfelder, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, in einem Buch zu verbinden?

Darin spiegelt sich die Komplexität unserer Gegenwart. Meine Hauptfigur Vincent Veih ermittelt zunächst in einem Mordfall, der über eine Drogenspur ins Nazimilieu führt. Parallel nutzt der verdeckte Drogenermittler seine alten Nazi-Kontakte, um die Quelle des Crystal Meth auszuschalten – ohne zu ahnen, dass die lokale Nazikameradschaft das Drogengeschäft übernehmen möchte. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, denn vom NSU wissen wir, dass er Kontakte zur Organisierten Kriminalität besaß. Und wie Vincent Veih kann sich der Leser nie sicher sein, in welche Richtung sich die Geschichte im nächsten Kapitel entwickeln wird. Gefahren und Verunsicherung von verschiedenen Seiten verdichten den Plot und heben die Spannung auf ein höreres Niveau.

Bis zur aktuellen Reihe hast du verschiedene Figuren wiederverwendet, aber du wolltest nie eine Serie mit einer festen Hauptfigur machen. Was ist anders an der Figur Vincent Che Veih?

Vincent ist sperrig, nicht frei von Irrtümern, aber durch und durch positiv. Sein Trauma besteht darin, dass seine Mutter ihn weggegeben hat, als er sieben Jahre alt war, um sich der RAF anzuschließen. Damals dachte er: Was ist an mir falsch, dass Mama mich nicht liebhat? Heute sucht er die Versöhnung. Nach kurzer Zeit als Terroristin und langer Haft kann sie es wiederum nicht verstehen, dass ausgerechnet ihr Sohn Kriminalbeamter geworden ist. Ursprünglich wollte ich „Schwarzlicht“ damit beenden, dass Vincent es zum ersten Mal schafft, seine Mutter in den Arm zu nehmen. Doch der Konflikt zwischen den beiden ist zu tief und dauert an. So entschloss ich mich dazu, es in „Schattenboxer“ und „Wolfsspinne“ wieder mit den beiden zu versuchen, zumal auf der Hand liegt, dass ich politische Themen wunderbar mit dieser Figurenkonstellation erzählen kann.

Was hast du noch mit ihm vor? Er ahnt jetzt, wer sein Vater ist, aber das scheint mir noch nicht auserzählt…

Das stimmt. Und so wird in Vincents viertem Fall der Vater eine besondere Rolle spielen. Es geht also weiter mit Vincent.

 

Weiterlesen: Rezensionen zu Oliver Bottini | Im weißen Kreis und Wolfgang Schorlau | Die schützende Hand

2 Replies to “Horst Eckert | Wolfsspinne”

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