Garry Disher | Drachenmann

Garry Disher | Drachenmann

Challis ließ den Blick über das Reservoir streifen. Was für ein gotterbärmlicher Ort zum Sterben. Brombeerdickichte, Farnkraut, steifes, drahtartiges Gras, kleine, düstere, knotige Bäume, heruntergekommen aussehender Eukalyptus, der Gestank urzeitlicher Gase. Die wenigen Wasservögel blieben stumm, und anstatt kühl und lebendig zu wirken, lag das Wasser schwer und still unter einer dicken Schicht Algen. Die feuchte Luft ließ ihn kaum atmen. Stechmücken schwärmten aus. Eine landete auf seinem Handgelenk. Er erwischte sie und sah einen Schmierer Blut. (Auszug Seite 74)

Weihnachtszeit auf der Mornington Peninsula: Neben dem üblichen Betrieb im Hochsommer haben die Polizisten der Polizeistation in Waterloo einen besonders heiklen Fall zu lösen: Eine junge Frau wurde nachts auf dem Highway entführt und ermordet, eine zweite Frau wird vermisst. Da taucht in der örtlichen Zeitungsredaktion ein Brief des Mörders auf, in dem weitere Morde ankündigt werden.

Nun könnte man annehmen, dass es sich hier um einen Serienkiller-Psychothriller handelt, aber weit gefehlt, denn „Drachenmann“ ist eine waschechte „cop novel“. Der Fokus von Autor Garry Disher liegt ganz klar nicht auf der Figur des Serienkillers, dessen Perspektive er zwar ganz sporadisch einnimmt, aber dessen Motive und Beweggründe er nicht weiter beleuchtet, sondern auf zahlreichen weiteren Figuren, vorwiegend den Polizisten. Dabei erweist sich Disher als unglaublich präziser Beobachter und Beschreiber der Atmosphäre, der Schauplätze, der Personen und ihrer Lebenssituationen.

Drachenmann ist der Auftaktroman einer Reihe von bislang sieben Romanen um Inspector Hal Challis. Die ersten fünf davon sind ins Deutsche übersetzt. Der Roman spielt in der fiktiven Stadt Waterloo (in echt: Hastings) auf der Mornington-Halbinsel südlich von Melbourne. Die Idee zu der Reihe hatte Garry Disher nach eigener Aussage, als gerade für ihn bei seiner anderen Reihe um den Gangster Wyatt etwas die Luft raus war und er mit Begeisterung die Romane um den Nottinghamer Inspektor Resnick von John Harvey las.

Challis wollte erwidern, dass manche Leute ihr Glück nicht zu schätzen wussten, ließ es dann aber bleiben. Die Leute unterschätzten ihn, das wusste er, und es war ihm egal. Sie dachten, dass ein Polizist der gerne alte Flugzeuge restaurierte und mit einer Frau verheiratet war, die ihn hatte erschießen lassen wollen, dass das ein Mann war, der die Dinge schleifen ließ. Ein Mann, dem es nicht bestimmt war, es bei der Truppe noch weiter zu bringen, als er schon war, ein Inspector, nicht mehr. (Seite 140)

Protagonist ist Inspector Hal Challis, der „Drachenmann“. Ein gelassener, empfindsamer Mann, aber gleichzeitig ein äußerst professioneller Polizist. Sein Spitzname bezieht sich auf sein Hobby: die Restauration einer Dragon Rapide, eines Doppeldeckers aus den 1930er Jahren. Challis lebt allein in einem Haus im Hinterland der Halbinsel, lässt sich im Laufe des Buches auf ein Liaison mit der örtlichen Zeitungsredakteurin ein. Seine Frau sitzt nach dem Mordversuch an ihm ein, doch ruft sie ihn regelmäßig an und er schafft es nicht, sich vollständig von ihr zu lösen, trifft sich sogar noch mit seinen Schwiegereltern. Die Morde setzen ihn als örtlichen Leiter der Kripo schon unter Druck, dennoch behält er einen kühlen Kopf.

Drachenmann ist äußerst filigran komponiert. Wo andere aufs Tempo drücken würden, überpacet Disher nicht. Er verfolgt konsequent seine Figuren und spinnt seine Stränge, bis diese am Ende ganz von allein zusammenfinden und dann doch im einem spannenden Showdown enden. Das alles macht diesen Roman zu einem starken Kriminalroman.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Drachenmann | Erstmals erschienen 1999 | Die aktuelle Auflage erschien im April 2016 im Unionsverlag
ISBN 978-3-29320-560-4
288 Seiten | 12,95 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Crimemag: Alf Meyer zu Besuch bei Garry Disher

Diese Rezension erscheint im Rahmen der Blogkooperative Australien & Neuseeland-Spezial.

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