Dennis Lehane | Shutter Island

Dennis Lehane | Shutter Island

Seit vielen Jahren habe ich die Insel nicht mehr gesehen. Das letzte Mal war es vom Boot eines Freundes aus, der sich auf das offene Meer hinauswagte. Da lag sie in der Ferne hinter dem inneren Ring von Inseln, verschleiert vom sommerlichen Dunst, ein achtlos hingeschmierter Farbfleck am Horizont. (Auszug Seite 11)

Während der Titelauswahl zu unserem Adventspezial stellte sich heraus, dass ich als einzige von uns noch nicht Dennis Lehanes Shutter Island gelesen (und gesehen) hatte, und das, obwohl ich seine Romane so schätze. Ich muss gestehen, dass mich der Filmtrailer unerklärlicherweise immer etwas geängstigt hat, so dass ich das Buch für zu gruselig hielt. Dabei ist Shutter Island einer der Titel, die geradezu exemplarisch für unser Themenspezial steht, denn er bietet das Setting und die Spannung, die wir bei der Planung im Sinn hatten.

Shutter Island ist eine Boston vorgelagerte Insel, dessen ehemaliger Militärkomplex inzwischen als Ashecliffe Hospital der Unterbringung psychisch kranken Gewaltverbrecher dient. Dabei handelt es sich um die gefährlichsten und verstörtesten Patienten, mit denen kein anderes Krankenhaus fertig wird. Im Sommer 1954 verschwindet die Patientin Rachel Solano spurlos aus einer verschlossenen Zelle. US-Marshall Edward „Teddy“ Daniels wird mit den Ermittlungen beauftragt, weshalb er sich in Begleitung seines Kollegen Chuck Aule auf die Insel begibt. Die beiden arbeiten das erste Mal als Team, so dass der Leser durch ihre Gespräche während des Kennenlernens einige interessante Hintergrundinformationen erhält. Doch Teddy hat auch private Motive für die Ausführung dieses Auftrages. Denn er vermutet, dass der Mörder seiner geliebten Frau Dolores, Andrew Laeddis, auf Shutter Island inhaftiert ist.

Das Areal ist riesig, die Gebäude zum Teil auf entlegenen Teilen der Insel angesiedelt. Die Unterbringung der Patienten erfolgt je nach Einstufung der Gefährdung in Block A, B oder C, wobei C den sadistischsten und skrupellosesten Straftätern vorbehalten ist, welche in einem separat abgeschirmten Gebäude leben. Die beiden beginnen unverzüglich mit der Sichtung der Station und der Zelle der verschwundenen Patientin, sie befragen Pfleger und Sicherheitsmitarbeiter, wobei sich herausstellt, dass Rachel Solanos behandelnder Arzt kurz vor Teddys und Chucks Ankunft urlaubsbedingt die Insel verlassen hat, was ihnen naturgemäß seltsam erscheint. Wie kann es sein, dass er in den Urlaub entlassen wird, obwohl eine seiner Patientinnen vermisst wird?

Einzig eine kryptische Notiz in Rachels Zelle scheint einen Ansatz zu bieten. Doch diese muss erst einmal entschlüsselt werden. Zudem stößt Teddy bei der Befragung der Patienten auf einen mysteriösen Aspekt: auf Patient 67. Offiziell gibt es 66 Patienten auf Shutter Island. Und nun angeblich einen mehr? Wer ist dieser unbekannte Mann? Hier kommt Teddys persönliches Schicksal ins Spiel, denn mit zunehmender Suche nach Patient 67 glaubt er an eine Verschwörung zu seinen Lasten, was ordentlich Zunder in den Plot bringt, angefeuert durch sich einstellende Wahnvorstellungen und Albträume.

Vordergründig werden die US-Marshalls seitens der Anstaltsleitung unterstützt, doch es häufen sich Ungereimtheiten und zudem wird Ihnen die Einsicht in die Personalakten verwehrt; so groß ist die Kooperation also nicht. Die Atmosphäre auf Shutter Island stellt sich zunehmend bedrohlich dar und Dennis Lehane verbindet vermeintlich dunkle Intensionen der leitenden Mitarbeiter mit aufkommenden Naturgewalten, welche eine Abreise der US-Marshals unmöglich machen. Die erwartete Fähre kann aufgrund einer Sturmflut nicht anlegen, sodass Teddy und sein Kollege auf der Insel bleiben müssen, wo sie in der Unterkunft der Pfleger einquartiert werden, ein Punkt, der noch an Bedeutung gewinnen wird.

Während der wütenden Urgewalt kristallisiert sich zudem ein Aufstand der Insassen in Block C, den Teddy und Chuck nutzen, um einen bisher verwehrten Blick in diesen Gebäudekomplex zu werfen. Dabei müssen sie sich nicht nur vor den Sicherheitsmitarbeitern hüten sondern insbesondere auch vor den entlaufenen Gefangenen. Die Ereignisse spitzen sich zu, als Chuck verschwindet und Teddy auf sich alleine gestellt ist. Ein auf der Insel befindlicher Leuchtturm erregte bereits zuvor Teddys Aufmerksamkeit. Angeblich sollen in diesem illegale Menschenversuche an den Patienten durchgeführt werden. Findet er dort Patient 67? Der Weg dort hin, ist für ihn ein Weg, der eine einfache Rückkehr ausschließt!

Dennis Lehane schrieb bereits mit Mystic River einen spannungsgeladenen Pageturner. Shutter Island hat diesen jedoch noch übertroffen. Die Geschichte um US-Marshall Teddy Daniels ist wie ein Sog! Lehane spielt mit den Spekulationen des Lesers wie ein Varietékünstler, so dass sich laufend neue Fragen ergeben, man geschlossene Theorien verwirft und neue kreiert. Dabei las sich Shutter Island wie ein Buch, nachdem ich mich lange gesehnt hatte. Es war die perfekte Mischung aus verschiedenen Subgenres, wodurch es mein Jahreshighlight 2017 ist!

Fazit: Egal, was man denkt über die Geschichte zu wissen: Lest das Buch! Ich bin sehr froh, dass mich das Themenspezial dazu gebracht hat. Danke für den Anstoß, Christina, Gunnar und Andy! Den Film habe ich im Nachhinein übrigens auch noch gesehen. Er wurde 2010 hervorragend von dem New Yorker Regisseur Martin Scorsese verfilmt, in den Hauptrollen Leonardo DiCaprio und Ben Kingsley. Doch lest das Buch (zuerst)!

 

 

Shutter Island | Erschienen erstmals 2004 bei Ullstein
Die aktuelle Taschenbuchausgabe ist eine Neuübersetzung und erschien am 25. November 2015 bei Diogenes
ISBN 978-3-257-24335-2
432 Seiten | 12.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unserer Blogkooperative Insel-Spezial.

Weiterlesen: Noras Rezensionen zu den Romanen Mystic River, The Drop und In der Nacht von Dennis Lehane.

2 Replies to “Dennis Lehane | Shutter Island”

  1. Hat dies auf Die dunklen Felle rebloggt und kommentierte:
    Auch geliebte Traditionen enden irgendwann – so wie das gemeinsame Spezial mit Kaliber.17, denn hier kommt schon die letzte Rezension.
    Hier hat Nora eine Lücke in ihrem Krimikanon geschlossen und ist begeistert. Und auch ich möchte mich der Empfehlung anschließen – Shutter Island lohnt sich!

  2. Ich liebe Dennis Lehane und ich liebes dieses Buch von ihm!
    Gebe auch jedem den Tipp: Lest dieses Buch!

    Die filmische Umsetzung find ich aber auch sehr super gemacht!

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