Kategorie: Klassiker

In Erinnerung: Peter Zeindler (1934-2023) | Die Ringe des Saturns

In Erinnerung: Peter Zeindler (1934-2023) | Die Ringe des Saturns

Am 07.05.2023 verstarb Peter Zeindler in seiner Heimat Zürich. Es war in letzter Zeit still geworden um den Autor, dessen Name vielen Krimifans, die erst in den letzten 20 Jahren zum Genre gestoßen sind, vermutlich nicht mehr viel sagte. Dabei ist Zeindler bis heute Rekordsieger beim Deutschen Krimipreis „National“. Gleich viermal war er auf Platz 1 des prestigeträchtigen Preises: 1986, 1988, 1990 und 1992 für seine Romane „Der Zirkel“, „Widerspiel“, „Der Schattenagent“ und „Feuerprobe“, zudem erhielt er 1996 den Ehrenglauser für sein Lebenswerk.

Peter Zeindler wurde 1934 in Zürich geboren, wuchs in Schaffhausen auf, studierte später Germanistik und Kunstgeschichte. Er arbeitete als Dozent und Deutschlehrer, ehe er schließlich eine journalistische Laufbahn einschlug, unter anderem als Redaktuer und Moderator beim Schweizer Radio und Fernsehen. Zeindler schrieb ab Ende der 1960er fürs Theater und Hörspiele, 1992 schließlich seinen ersten Roman „Tarock“.

Große Bekanntheit erlangte Zeindler dann mit seiner Romanreihe um Konrad Sembritzki. In insgesamt zwölf Romanen ist Sembritzki Hauptfigur, der letzte Roman „Die weiße Madonna“ erschien 2014. Zeindler verstand sich dabei ausdrücklich nicht als Krimiautor, sondern als „Autor von Spionageromanen“ und betonte die literarische Seite seines Schreibens. Dem Deutschlandfunk sagte er mal: „Ich bin nicht bereit, alle Zugeständnisse an das Genre zu machen, nur damit es mehr Thrill hat. Ich weiß, dass ich manchmal zwischen Stuhl und Bank sitze mit meinen Büchern, weil ich nicht das spezifische Publikum so bediene, wie es erwartet wird.“

Das erste Mal taucht Konrad Sembritzki in Zeindlers zweitem Roman „Die Ringe des Saturns“ auf. Er ist Antiquar in Bern und war ehemals Agent des deutschen Bundesnachrichtendienstes und wird aber, obwohl offiziell außer Dienst, immer wieder in Geheimdienstaktivitäten involviert. Sembritzki ist ein Netzwerker, ein Strippenzieher, kein Mann fürs Grobe. Dabei erweist er sich als Melancholiker und einsamer Mann, der sich zwar mit nur begrenzter Unterstützung in einer komplizierten Welt von Täuschung, Tarnung und sich ändernden Machtbereichen zurechtfindet, aber den inneren Hafen, ein vertrautes Alltagsleben, nicht herzustellen vermag.

Die Ringe des Saturns

Konrad Sembritzki wird von seinem ehemaligen Führungsoffizier im BND, Stachow, kontaktiert. Er soll die Teilnahme an einer Fachkonferenz in Prag als Tarnung nutzen, um sein altes Spionagenetzwerk in der CSSR wiederzubeleben. Stachow steht wegen angeblicher Truppenbewegungen des Ostblocks intern unter Druck. Schon auf dem Weg zum Geheimtreffen am Bodensee bemerkt Sembritzki, dass er beschattet wird. Kurz nach dem Treffen wird Stachow tot aufgefunden. Sembritzki wird nach Pullach zitiert und erhält von seinem neuen Chef Römmel den gleichen Auftakt, allerdings mit anderer Ausrichtung: Der BND erwartet Beweise für die Truppenbewegungen und Stationierung neuer Mittelstreckenraketen der Sowjets.

Sembritzki sucht Kontakt zu alten Verbündeten im BND und ihm wird klar, dass der Regierungswechsel in Bonn nun die Falken in den BND gebracht hat. Statt Abrüstung wird nun über neue Waffen diskutiert, um der Bedrohung aus dem Osten zu begegnen. Sembritzki wird vom BND und mächtigen Lobbyisten unter Druck gesetzt. Doch so leicht will sich Sembritzki nicht instrumentalisieren lassen. Er reist nach Prag in die Höhle des Löwen. Dort wartet auch seine alte Liebe Eva, mit deren Hilfe er sich echte Informationen erhofft.

Er war kein Partisan der Friedensbewegung. Er war nur ein Gegner der Gewalt. Und das war für ihn nicht dasselbe. Er war ein Partisan des kalten Krieges, dieses Zwischenspiels, das Kriege voneinander trennte. Er war ein Traumtänzer zwischen den Fronten, der sich immer wieder einredete, daß er mit seiner Tätigkeit zwar den Krieg verhinderte, daß sie aber allein, in unmittelbarer Nachbarschaft der Zerstörung, jene kreativen Kräfte in ihm zu mobilisieren vermochte, die ihm das Alltagsleben nie entlocken konnte. (Auszug S.98)

Ein komplexer Spionageroman, der vor dem inzwischen historischen, damals aber hochaktuellen Szenario des NATO-Doppelbeschlusses, der atomaren Aufrüstung und eines wieder heiß werdenden kalten Kriegs spielt. Die Hauptfigur Sembritzki muss sich durch ein Feld sehr unterschiedlicher Interessensgruppen hindurchlavieren. So gibt es die neue Führung des BND, die wie weitere Akteure des militärisch-industriellen Komplexes auf die atomare Aufrüstung setzt. Auf der anderen Seite Oppositionelle im BND und eine Friedensbewegung, auch in der CSSR, die auf Abrüstung hoffen. Zuletzt auch der tschechoslowakische Geheimdient, der Sembritzki Netz enttarnen will.

„Die Ringe des Saturns“ ist zwar vom Thema her oberflächlich etwas in die Jahre gekommen, durch den neuen Konflikt zwischen Russland und der NATO aber dennoch wieder interessant zu lesen, auch vor dem Hintergrund, wie defensiv die NATO tatsächlich agiert. Ansonsten ist es ein klassischer Spionagethriller, der sich im Genre deutlich eher im Spielfeld eines Le Carrés als eines Flemings bewegt. Das bedeutet, dass Peter Zeindler deutlich mehr Augenmerk auf die Figuren und ihre Rolle im Spiel der Kräfte legt, als auf Action und Spannung (die jedoch durchaus auch vorhanden ist). Die Welt der Spionage ist und bleibt komplex und so auch die melancholische Hauptfigur Konrad Sembritzki.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Die Ringe des Saturns | Erstmals erschienen 1984
Die gelesene Ausgabe erschien 1992 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-05200-9
304 Seiten | 12,80 DM
Bibliografische Angaben & Leseprobe (aktuell nur antiquarisch erhältlich)

Quellen:

H.P. Karr: „Zeindler, Peter“ im „Lexikon der deutschen Krimi-Autoren“ unter www.krimilexikon.de;
Katja Schönherr & Felix Münger: „Nachruf auf Peter Zeindler – Der Schweizer Meister des Spionageromans ist tot“ auf srf.ch

David Osborn | Jagdzeit

David Osborn | Jagdzeit

In Jagdzeit geht es nicht […], sondern um die dunkle Seite des Menschen allgemein, die immer und überall zutage tritt. Seit Erscheinen meines Buches hat sich die Menschheit diesbezüglich bedauerlicherweise nicht verändert. (Auszug Vorwort)

Mit diesen Worten aus der Neuauflage des Buches von 2010 stimmt uns Autor David Osborn auf seine dem Werk zugrundeliegende Stimmung ein: Der Mensch ist des Menschen Wolf. In der Originalausgabe von 1974 widmet Osborn das Buch dem noch sehr präsenten Watergate-Skandal. Die pessimistische Grundhaltung des Autors lässt sich auch aus dessen Vita erklären. Hochdekorierter Pilot im Zweiten Weltkrieg, anschließend Autor und PR-Mann am Broadway und in der Werbeindustrie. 1955 gerät er aber in die Kommunistenhatz unter Senator McCarthy. Osborn emigriert nach Frankreich, wird Besitzer eines Steinbruchs und Drehbuchautor für europäische Produktionen (z.B. „16 Uhr 50 ab Paddington“). Anfang der 1970er wird er schließlich Romanautor mit einer Vorliebe für Plots, in denen der Mensch seinen niederen Instinkten wie Machtgier auf persönlicher oder politischer Ebene frönt.

„Jagdzeit“ beginnt mit einem kurzen Prolog etwa zwanzig Jahre vor der Haupthandlung. Im Büro eines Bezirksstaatsanwalts sitzt eine junge Frau mit ihren Eltern, die vom Staatsanwalt die Aufnahme eines Verfahrens verlangen. Die junge Frau wurde nach einem fröhlichen Abend von drei Kommilitonen ihres Colleges brutal vergewaltigt. Doch schnell wird klar, dass der Staatsanwalt ein solches Verfahren nicht anstrebt. Die drei Studenten sind angesehen, gut vernetzt, es steht Aussage gegen Aussage, es gibt angeblich sogar Zeugen für die Vergewaltiger. In einem sehr zynischen Gespräch sehen schließlich auch die Eltern die Aussichtslosigkeit eines Urteils ein und zwingen schließlich ihre Tochter, das entstehende Kind aus der Vergewaltigung einem anderen anzudrehen. Die Namen der Vergewaltiger übrigens sind Ken, Greg und Art.

In der Haupthandlung sind Ken, Greg und Art inzwischen etablierte Stützen der Gesellschaft, gut situiert, Frau und Kinder. Normale obere Mittelklasse. Einmal im Jahr gönnen sich die drei einen längeren Jagdausflug ins ländliche Wisconsin, in eine Waldhütte an einem abgeschiedenen See, mitten in der Wildnis. Ohne Familie, ohne Freunde, da sind sie sehr eigen. Und dafür gibt es auch einen guten Grund.

Das Buch beginnt mit dem Aufbruch der drei. Er herrscht eine unverhohlene Vorfreude, testosterongesättigt. Schnell wird auch dem Leser deutlich gemacht, dass dies nicht nur ein typischer Jagdausflug wird. Die Jagd auf Tiere genügt den dreien nicht mehr. In einem Motel nehmen sie ihre Opfer ins Visier: Nancy und Martin, ein verheiratetes Pärchen – allerdings nicht miteinander, die ihren Seitensprung ein paar Tage länger auskosten wollen. Ken, Greg und Art kidnappen die beiden und nehmen sie mit zu ihrer Jagdhütte. Ihre perversen Spiele können beginnen. Doch diesmal ist etwas anders. Noch ahnen es die drei nicht, aber diesmal hat sich noch jemand zu ihrem Jagdurlaub unangemeldet eingeladen.

Einmal im Jahr durfte er ein wirklicher Mann sein, genetisch, instinktiv und, genötigt durch die trostlosen Ketten der Gesellschaft im Verein mit dem hysterischen Gekeife emanzipierter Weiber, auch psychisch. Er durfte ein wildes, reißendes Tier sein, ein rohes sexuelles Tier und gleichzeitig ein verschwiegener, verdrehter, komplexer, moderner Mann, der sich schamlos jeder noch so krankhaften Perversion hingeben kann, die ihm in den Sinn kommen mag. (Auszug S.55)

Topos und Setting ließen mich direkt die Verbindung zu einem anderen Roman ziehen: „Deliverance“ (dt. Flussfahrt) von James Dickey (als Verfilmung in Deutschland unter dem hübschen Namen „Beim Sterben ist jeder der Erste“ vertrieben). Der Roman erschien einige Jahre zuvor und erzählt die Geschichte von vier Freunden in der Midlife Crisis, die einen Abenteuerurlaub auf Kanus in der Wildnis verbringen und auf die dort plötzlich und ohne ersichtlichen Grund Jagd gemacht wird. In „Deliverance“ erfährt man wenig bis nichts davon, warum auf sie Jagd gemacht wird. In „Jagdzeit“ wiederum verschiebt sich die Perspektive von den Opfern zu den Tätern (obwohl durchaus aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird).

Ken, Greg und Art sind Prachtexemplare der amerikanischen Gesellschaft, die in ihrem Inneren ständig Macht- und Sexfantasien hegen und nur auf die passende Gelegenheit warten, diese auszuleben. Der uramerikanische Jagdtrieb auf die Spitze getrieben. Dabei wahren sie die schöne Fassade, hinter der das Haus nur allzu oft verrottet ist. Natürlich können sie es nicht öffentlich ausleben, aber sie kommen damit durch, weil niemand allzu genau hinguckt. Das ist toxische Männlichkeit bis zum Äußersten. Aber auch die anderen Figuren bieten keinen wirklichen positiven Gegenpart. Der geheimnisvolle Mann im Wald – ihm geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern bloß um Rache, wie sich bald herausstellt. Martin, ein Ehebrecher, der Nancy offensichtlich hinhält, weil er nie vorhat, seine Ehe zu beenden. Schließlich Nancy, bei der Osborn eine eher merkwürdige Frauenfigur kreiert, die sich frei entfalten will, auch in der Sexualität, die aber dennoch dem Modell der männlichen Dominanz nichts wirklich entgegensetzt.

Die Figuren erhalten trotz der Kürze des Romans und der sich zuspitzenden Handlung ausreichend Tiefe, sind etwas einseitig angelegt und bei Nancy für meinen Geschmack nicht so ganz gelungen. Letztlich dienen sie aber dem Zweck Osborns, der desillusioniert und schonungslos eine Geschichte über die menschlichen Abgründe erzählt. Dabei erweist er sich als versierter Plotter, der Thriller ist ein echter Pageturner, der bis zum Schluss die Spannung hochhält. Am Ende steht, so viel steht natürlich fest, keine Katharsis, keine Erlösung, sondern eine Beobachtung der menschlichen Niedertracht, die wie oben erwähnt, aus Sicht des Autors weiterhin andauert. Dass mag nicht jedem Leser als Erkenntnis schmecken, aber es wird selten so mitreißend und dramatisch inszeniert wie hier von David Osborn.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters

Jagdzeit | Erstmals erschienen 1974
Die gelesene Ausgabe erschien am 2014 als Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg
Die zugrundeliegende Ausgabe erschien 2010 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-209-8
280 Seiten | 13,- €
Originaltitel: Open Season | Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Marcel Keller
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension von Jochen König bei krimi-couch.de

Ross Thomas | Fette Ernte

Ross Thomas | Fette Ernte

Seit nunmehr 15 Jahren bemüht sich der Alexander Verlag aus Berlin um eine Reputation eines Autors, der international als einer der wichtigsten Autoren des Politthrillers gilt. Ross Thomas war vor seiner Karriere als Schriftsteller, die er Mitte der 1960er im Alter von 40 Jahren begann, als Journalist, Gewerkschaftssprecher, PR- und Wahlkampfberater tätig. Ein reicher Fundus an Erfahrungen, die er in 25 Romane umsetzte. Zweimal gewann er den Edgar Award, gar viermal den Deutschen Krimipreis. 1995 verstarb Ross Thomas. Seine Leser im deutschsprachigen Raum musste allerdings leider zumeist mit mehr oder weniger stark gekürzten Übersetzungen vorlieb nehmen. Seit 2007 erscheint allerdings nun sein gesamtes Werk auf Deutsch vollständig nach und nach in überarbeiteten oder neuübersetzten Fassungen.

Der vorliegenden Stand-Alone „Fette Ernte“ beginnt mit dem 93 Jahre alten, aber noch recht rüstigen ehemaligen Politikberater William „Crawdad“ Gilmore. Gilmore ist mit allen Wassern gewaschen, hat so manche Schweinerei mitgemacht oder wurde als Mitwisser über Konspirationen zum Schweigen verdonnert. Auf der Toilette des Cosmos Club wurde er aber nun unfreiwillig zum Mithörer einer Verschwörung, über die er nicht zu Schweigen braucht. Er will die Sache seinem Anwalt Ancel Easter erzählen und bittet, ihn morgens abholen zu lassen. Dummerweise wird Gilmore im Morgengrauen vor seiner Haustür von zwei Räubern erschossen. Gibt es solche dummen Zufälle? Ancel Easter weiß keinerlei Details, aber die Tatsache, dass Gilmore ihm ein Geheimnis anvertrauen wollte, lässt ihm keine Ruhe. Er beauftragt Jake Pope, privater Ermittler mit millionenschwerem Erbe, sich die Sache mal näher anzusehen. Die einzige Spur führt zu einem Datum: Der 11.Juli. Aber am 11.Juli passiert nichts Wichtiges in Washington. „Highlight“ des Tages ist die jährliche Prognose der Weizenernte durch das Landwirtschaftsministerium. Haha, von wegen Highlight. Hmm, Moment – könnte das vielleicht doch das Ziel der Verschwörung sein?

Er wußte, daß man in dieser Stadt ganz früh am Morgen mit dem Konspirieren begann, damit man es zum Mittagessen erledigt hatte. Man konspirierte, um sich persönlich zu bereichern, um gesetzliche Vorteile zu erlangen, nationale oder internationale Macht und manchmal nur zum Spaß. (Auszug S.8)

Diese desillusionierte Sicht auf den poltischen Betrieb Washingtons ist ein typisches Merkmal der Werke von Ross Thomas. Er beschreibt das Spiel der Macht fast lakonisch, gönnt sich aber dennoch die eine oder andere Spitze. Etwa bei der Beerdigung von Crawdad Gilmore, als er den Besuch des Präsidenten, „kein übermäßig intelligenter Mann“, als plumpe politische Geste entlarvt und der Präsident eine erschreckend belanglose Konversation mit dem „klügsten Mann Washingtons“, Ancel Easter, führt. Thomas stellt heraus, dass sich im „Dschungel Washingtons“ allerhand Personen tummeln, die einen ausgeprägten Willen besitzen, die eigene Macht und das eigene Konto zu vergrößern. Die Verbindungen zum organisierten Verbrechen sind nicht weit, oft nur einen Strohmann entfernt.

In diesem Roman ist tatsächlich die Verkündung der Ernteschätzungen der Fokus der kriminelle Energie. Etwas unbemerkt von sonstigen Börsengeschäfte lässt sich am Rohstoffmarkt tatsächlich im großen Stil spekulieren. Mit Warentermingeschäften lassen sich mit dem richtigen Hintergrundwissen und etwas illegalen Insidertricks enorme Gewinne machen (Ganz aktuell ist der Weizenmarkt aufgrund des Krieges in der Ukraine auch ein Tummelplatz für Spekulanten). Und für diese geht man auch gerne über ein paar Leichen.

Was diese Ausgabe insbesondere spannend macht, ist die Geschichte der deutschen Übersetzung, die im Nachwort des Neuübersetzers Jochen Stremmel erläutert wird. Ross Thomas wurde in den 1970ern bei Ullmann in der „gelben Reihe“ verlegt. Die Vorgabe des Verlags damals: Kein Krimi durfte länger als acht Druckbögen (8×16=128 Seiten) sein. Um diese Vorgaben einzuhalten, wurden Originalausgaben teilweise radikal gekürzt. Mit einigen Beispielen beschreibt Stremmel die Auswirkungen auf den vorliegenden Roman, der an zahlreichen Stellen arg beschnitten und damit ein großes Stück Atmosphäre geraubt wurde. Immerhin bedauert Stremmel die damalige Übersetzerin Ute Tanner, die eine wahrlich undankbare Aufgabe hatte.

Durch die Neuübersetzung wird auch nochmal deutlich, wie präzise Ross Thomas auch die Szenerie und die Hintergründe beschreibt. Für die Figurenbeschreibungen nimmt er sich ausgiebig Zeit. Die Dialoge sind zudem herausstechend. Für mich war der Plot diesmal nicht ganz so herausragend, dennoch ist das Jammern auf hohem Niveau. „Fette Ernte“ ist zwar inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alt, doch die Mechanismen sind doch immer dieselben. Sehr akribisch analysiert Thomas das Machtgeflecht und die schmutzigen Geschäfte im Politbetrieb. Und man spürt als Leser, dass sich hier niemand etwas aus den Fingern saugt, sondern aus dem Nähkästchen plaudert. Das Ganze ziemlich trocken, aber mit einem Schuss Verachtung serviert. Ein Klassiker, der immer eine Lektüre wert ist.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Fette Ernte | Erstmals erschienen 1975
Die vollständige deutsche Ausgabe erschien am 12.08.2014 im Alexander Verlag Berlin
ISBN 978-3-89581-317-7
384 Seiten | 12,- €
Original: The Money Harvest (Übersetzung aus dem Englischen von Jochen Stremmel)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension von Ross Thomas‘ „Porkchoppers“

Walter Mosley | Der weiße Schmetterling (Band 3)

Walter Mosley | Der weiße Schmetterling (Band 3)

Sie trugen die Leiche auf einer Bahre weg, als die Fotografen fertig waren – Polizeifotografen, keine Reporter, 1956 war eine Schwarze, die umgebracht worden war, kein Fotomaterial für die Zeitungen. (Auszug Seite 12)

Watts ist ein überwiegend von Afroamerikanern bewohnter Distrikt im südlichen Los Angeles mit einer hohen Kriminalrate. Der amerikanische Schriftsteller Walter Mosley wuchs in dem Stadtteil auf und führt uns in seinem Thriller ins Jahr 1956. Als ein Serienmörder drei Frauen, alles Schwarze und leichte Mädchen tötet, zeigen Polizei und Presse wenig Interesse. Erst als das vierte Opfer eine Weiße und noch dazu die Tochter eines Staatsanwalts ist, beginnen sie ernsthaft zu ermitteln. Der schwarze Privatdetektiv Ezekiel „Easy“ Rawlins wird vom Los Angeles Police Departement um Hilfe gebeten, weil der Täter im schwarzen Milieu vermutet wird und Easy sich in Watts bestens auskennt. Widerwillig beginnt Easy zu ermitteln und findet auch gegen den Willen des Staatsanwalts heraus, dass seine ermorderte Tochter  ein Kind von einem Schwarzen bekommen hatte. Ihm zur Seite steht sein loyaler Freund Mouse, der sich perfekt auf der Straße auskennt, ansonsten aber sehr unberechenbar wie eine tickende Zeitbombe agiert.

Der Thriller fand mein Interesse, da hier mal ein schwarzer Hardboiled Detective in den Fokus gesetzt wurde. Es geht Walter Mosley auch weniger um den Krimiplot, der eher beiläufig erzählt wird und vielleicht einen größeren Spannungsbogen vertragen hätte. Vielmehr geht es ihm um eine Schilderung des Milieus aus der Sicht des schwarzen Ich-Erzählers und die Auseinandersetzung mit dem täglichen Rassismus. Easy Rawlins ist selbstbewusst und clever, hat aber gar keine Lizenz und ist mehr Ganove als Private Eye. Er ist mit Regina verheiratet und lebt mit ihr, der kleinen Tochter und ihrem Adoptivsohn Jesus zusammen. Leider bin ich weder mit ihm noch seinem durchgeknallten Freund Mouse richtig warm geworden. Das lag auch an einer Szene zu Beginn, in der Easy seine Ehefrau zum Sex zwingt.

„Vergewaltigt?“ Ich lachte. „Ein Mann kann doch seine eigene Frau nich vergewaltigen.“ Mein Lachen erstarb, als ich die zornigen Tränen in Reginas Augen sah. (Auszug Seite 46)

Dabei hat mir die schnörkellose Erzählweise des afro-amerikanischen Autors ganz gut gefallen. Es zieht sich so ein spezieller Sprachrhythmus, manchmal ironisch, lakonisch, aber auch melancholisch durch das ganze Buch und er findet immer den richtigen Ton. Wie sein Protagonist kennt Mosley die Bewohner von Watts und hat sie genau beobachtet. Auch die Atmosphäre der 50er/60er Jahre kommt gut rüber. Sehr gestört hat mich aber der Versuch, den gebräuchlichen Straßenjargon eine passende deutsche Entsprechung zu geben. Das hat mir den Thriller echt vermiest und ich habe mich bis zum Schluss durchgequält.

Walter Mosley gelang mit seinen 11 Thrillern um den schwarzen Privatdetektiv Easy Rawlins in einem Zeitraum von 17 Jahren der Durchbruch in den USA. Gleich sein erster Thriller „Teufel in Blau“ sorgte durch die erfolgreiche Verfilmung mit Denzel Washington für Furore und seitdem zählt er zu den bekanntesten Schriftstellern der USA. 2020 erhielt er als erster schwarzer Schriftsteller die National Book Foundation Medal.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Der weiße Schmetterling | Erstmals erschienen 1992
Die Neuausgabe erschien am 28.01.2021 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-3111-5511-9
320 Seiten | 12,00 €
Originaltitel: White Butterfly (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Kaiser)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Mario Puzo | Der Pate

Mario Puzo | Der Pate

„Ich werde ihm ein Angebot machen, dass er nicht ausschlagen kann.“ (Auszug S.549)

Selbst viele Nicht-Genreleser werden dieses Zitat sofort „Der Pate“ von Mario Puzo zuordnen, insbesondere in der Verfilmung von 1972, für die Puzo gemeinsam mit Regisseur Francis Ford Coppola seinen Roman in ein Drehbuch umschrieb (und dafür gewannen beide auch damals einen Oscar). Auch der Film selbst gewann die höchste Auszeichnung der Filmbranche und gilt bis heute als ikonisches Meisterwerk. Ich hatte den Film zuletzt vor bestimmt 20 Jahren gesehen und natürlich auch als großartig in Erinnerung, aber natürlich verblassen die Details bis auf wenige Ausnahmen nach so vielen Jahren (die eindrucksvollste Szene bleibt für mich sicherlich der blutige Pferdekopf im Bett des Filmproduzenten). Somit konnte ich relativ unvoreingenommen an die Romanvorlage herangehen, die nun in der sehr schmucken Reihe „Red Eye“ des Kampa Verlags eine Neuauflage erfahren hat.

Die grundlegende Story dürfte vielen sicherlich bekannt sein: Die Corleones bilden Mitte der 1940er Jahre eine der fünf Mafia-Familien New Yorks. Die Geschäfte laufen ganz passabel, dank eines Friedensabkommens zwischen den Familien. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erwarten alle eine noch deutliche Steigerung ihrer Geschäfte. Oberhaupt (Don) des Corleone-Clans ist der inzwischen in die Jahre gekommene, aber immer noch äußerst clevere Vito Corleone. Vito hat drei Söhne, Sonny, Fred und Michael, bei denen unklar ist, wer einmal die Familiengeschäfte übernehmen wird. Sonny, der Älteste, gilt als zu impulsiv, Fred, der Mittlere, als nicht clever genug. Und Michael, der Jüngste, hat sich schon mehrfach den Anweisungen des Vaters widersetzt, war freiwillig im Krieg, will nun studieren und hat eine typische Amerikanerin als Partnerin. Als nun die aufkommenden Geschäfte mit Rauschgift die Balance zwischen den Familien ins Wanken bringt und auf Don Vito sogar ein Mordanschlag verübt wird, kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Michael in die Rolle des Oberhaupts hineinwächst.

Don Vito Corleone war ein Mensch, an den sich alle um Hilfe wandten, und noch nie hatte er einen Bittsteller enttäuscht. Er machte keine leeren Versprechungen, noch gebrauchte er die feige Ausrede, ihm wären von Stellen, die mehr Macht besäßen als er, die Hände gebunden. Es war nicht notwendig, dass er ein Freund des Bittstellers war, es war nicht einmal wichtig, dass man die Mittel besaß, um ihn für seine Mühe zu belohnen. Nur eines wurde verlangt: dass der Bittsteller selber ihm Freundschaft schwor. (Auszug S.25)

„Der Pate“ umfasst neun „Bücher“, die bestimmte Abschnitte der Familiensaga umfassen, oft auch mit einem Perspektiv- oder Ortswechsel. Die erzählte Zeit umfasst etwa zehn Jahre Mitte der 1940er bis Mitte der 1950er Jahre, wobei auch rückblickend von den Anfängen Vito Corleones erzählt wird, wie er nach Amerika kam und dort zu einem Mafioso aufstieg. Mario Puzo beschreibt eindrucksvoll die Machtstrukturen innerhalb der „Familie“, ein streng hierarchisches (patriarchaisches) System, das durch diesen Aufbau ebenfalls das Oberhaupt zusätzlich zur Omertà vom Verrat abschirmt. Kein Fußsoldat wird jemals vom Don einen Auftrag erhalten. Durch die Perspektive der italienischen Einwanderer erhält man zudem einen Blick auf die amerikanische Gesellschaft, die es den Neuankömmlingen nicht einfach gemacht hat, so dass sich Parallelgesellschaften gebildet haben, mit eigenen Moralvorstellungen und eigenen Regeln. Und die Familien haben inzwischen so viel Geld und Einfluss gewonnen, dass sie die Vertreter des eher ungeliebten amerikanischen Staates korrumpieren können.

„Mein Vater ist ein Geschäftsmann, der versucht, für seine Frau und Kinder und für jene Freunde zu sorgen, die er in Zeiten der Not eines Tages brauchen könnte. […] Er weigert sich, nach Regeln zu leben, die andere gesetzt haben, nach Regeln, die ihn zu einem Leben im Elend verdammen. Sein eigentliches Ziel aber ist es, ein Mitglied dieser Gesellschaft zu werden – allerdings mit einer gewissen Macht, da diese Gesellschaft Mitglieder, die keine eigene Macht besitzen nicht schützt. Inzwischen handelt er nach seinem eigenen Moralkodex, den er der Rechtsstruktur der Gesellschaft für weit überlegen hält.“ (Auszug S.521-522)

Die Verfilmung von „Der Pate“ ist trotz aller Lobeshymnen nicht ohne Kritik geblieben. Einige befanden, dass der Film auch gut „aus dem Werbeetat der Cosa Nostra“ hätte finanziert werden können, denn die Mafia werde ein Stück weit glorifiziert. Diese Kritik gibt es bis heute für diverse kulturellen Bearbeitungen des Mafia-Topos. In Deutschland ist Autorin Petra Reski eine der schärfsten KritikerInnen dieser „Mafia-Folklore“. Und tatsächlich bewegt sich auch Mario Puzo auf einem sehr schmalen Grat. Er verschweigt nicht die Brutalität und rohe Gewalt, deren sich die Mafia bedient. Aber er stellt diese immer wieder in einen Kontext zu Familie, Ehre und Loyalität. Die schmutzigen Geschäfte der Familie Corleone (im Wesentlichen Glücksspiel und Gewerkschaftsangelegenheiten) werden ein Stück weit als Gaunereien verklärt und Don Vito als ehrenwerten Mann, der Rauschgiftschmuggel als unmoralisch verabscheut. Das aber auch nicht durchgehend, sodass der Leser schon erfährt, dass die Mafiafamilien einen totalitären Anspruch verfolgen, den Staat und seine Institutionen großflächig unterwandern und dabei auch tief im Rassismus verwurzelt sind. Was man für einen Roman, der in den 1940er/1950ern in einer italienischstämmigen Mafiafamilie spielt, natürlich nicht erwarten kann, ist ein differenziertes Frauenbild abseits des Hure oder Heilige-Schemas. Dennoch eher als ärgerlich habe ich einige von Puzos Nebenerzählungen empfunden, die offensichtlich bewusst schlüpfrig angelegt sind – etwa die Brautjungfer der Corleonetochter, die aufgrund einer anatomischen Fehlbildung offenbar nur vom mächtigen Geschlecht Sonny Corleones befriedigt werden kann und sich später einer Schönheitsoperation unterzieht.

So war für mich der letztendliche Eindruck schon nicht völlig ohne kritische Hintergedanken. Dennoch ist Mario Puzos „Der Pate“ immer noch ein packender und mitreißender Roman über das organisierte Verbrechen, um Macht, Familie, Ehre und Gewalt. Ein System, dass alle Figuren eng umschlungen hält und sie letztlich in einen Strudel hineinzieht oder gefangen hält, aus dem scheinbar nur der Tod (oft gewaltsam) sie befreien kann. Das fasziniert noch heute und macht „Der Pate“ nach wie vor zu einem echten Klassiker.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der Pate | Erstmals erschienen 1969
Die aktuelle Ausgabe erschien am 14.10.2021 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-311-12510-5
640 Seiten | 22,- €
Originaltitel: The Godfather (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Gisela Stege)
Bibliografische Angaben & Leseprobe