Brian DeLeleeuw | Der Andere

Brian DeLeleeuw | Der Andere

Einsam trotz seines Luxusdaseins wächst Luke an New Yorks mondäner Upper West Side auf. Seine überdrehte Mutter taumelt nach der Scheidung von einer Krise in die nächste. Zum Trost erfindet sich der Sechsjährige einen gleichaltrigen Freund, Daniel. Doch der ist alles andere als ein frommes Lamm und wird im Laufe der Jahre immer mächtiger, verschlagener und brutaler. Ständig verleitet er Luke zu Taten, die ihm nachher leid tun. Als Luke aufs College geht, ergreift der Andere endgültig Besitz von ihm … 

Nach der Scheidung seiner Eltern lebt Luke zusammen mit seiner psychisch kranken Mutter Claire isoliert in einem noblen Appartement in New York. Er hat weder Freunde noch die Freiheit zur Schule zu gehen, da seine Mutter ihn um sich braucht, wobei sie sich ihm immer wieder entzieht, indem sie sich in ihrem Schlafzimmer einschließt und Luke sich selbst überlässt.

Alleine mit seiner Einsamkeit bricht sich Daniel – Lukes Alter Ego – Bahn. Daniel ist nur für Luke sichtbar und wird zu seinem einzigen Vertrauten. Daniel benutzt Claires Labilität um Luke zu manipulieren, ihm seine eigenen lebensverachtenden Ansichten aufzuzwingen. Nach einem Umzug auf Fire Island scheint sich Claire zu erholen und verbringt viel Zeit mit ihrem Sohn. Luke beginnt Daniel zu ignorieren, was dessen Stärke schwächt. Als Luke dann noch einen Welpen als Freund an seine Seite gestellt bekommt, eskaliert die Situation zum ersten Mal: Daniel belügt Luke und bringt ihn so dazu den Welpen zu vergiften. Daniel gewinnt an Stärke zurück, doch Claire sieht nun, dass ihr Sohn Hilfe benötigt.

Luke wird psychiatrisch behandelt und medikamentiert, was dazu führt, dass Daniel für zwölf Jahre „nur aus Lukes Kopf zuschauen kann“. Die Medikamente haben ihn verbannt. Im Roman werden diese zwölf Jahre nun übersprungen und es schließt sich die Zeit des 18jährigen Luke an. Claire und Luke leben wieder in New York, Luke hat ein eigenes Leben entwickelt doch schon bald wird klar, wie fragil dieses ist. Als Claire einen massiven Rückfall erleidet und sich vor den Augen ihres Sohnes das Leben nehmen will stürzt auch Lukes Fassade ein und das Absetzen seiner Medikamente unterstützt Daniels Rückkehr.

Daniel, zwölf Jahre in Gefangenschaft, ist nun bösartiger, gerissener und brutaler als je zuvor. All die Jahre hat er in Lukes Unterbewusstsein auf die Chance der Rückkehr gelauert um nun wieder vollkommen Besitz von Lukes Geist zu nehmen. In dieser Phase findet Luke ein Buch, aus dessen Randnotizen seiner Mutter und Großmutter hervorgeht, dass sowohl Claire als auch ihre Mutter an der selben Krankheit leiden, dass sich Claires Mutter das Leben genommen hat und dass beide sehr verzweifelt nach einem Ausweg aus ihrer Lebenssituation gesucht haben. Daniel erkennt das für ihn gefährliche Potenzial dieses Buches und bringt Luke dazu es zu vernichten, was Claire wiederum – als sie es sucht und nicht finden kann – in eine erneute schwere Krise stürzt.

Mit Beginn seiner Collegezeit im Alter von 19 entzieht sich Luke vollkommen dem Einfluss seiner Mutter Claire. Er lebt auf dem Campus und ist Daniels Einfluss nahezu ausgeliefert. Daniel bestärkt Luke in seiner Freundschaft zum zwielichtigen Richard, welcher kokainabhängig ist. Mit Daniels ansteigender Stärke wird Luke geschwächt und er gibt Daniels Drängen nach Drogen nach. In seinem ersten Drogenrausch erlebt er erstmalig die annährend vollständige Metamorphose von Luke zu Daniel. Doch noch ist er sich dessen bewusst und sucht nach diesem Erlebnis seinen Psychiater auf.

Im sehr surrealistischen Schlussteil, der lediglich zwei kurze Kapitel umfasst, wird die ganze Tragweite der familiären Tragödie klar.

Brian DeLeeuws Roman wird aus der Sicht von Daniel erzählt. Dieser soll zu Beginn des Romans ebenso wie Luke sechs Jahre alt sein. Jedoch hat Daniel das Bewusstsein und das Denken eines reifen und intelligenten Erwachsenen, wodurch es – auch nach Beendung des Romans – nicht leicht nachzuvollziehen ist, dass die beiden das selbe Alter haben sollen, was natürlich auch in der schweren Thematik begründet sein kann.

Der Schreibstil ist sehr gut! DeLeeuw schildert sehr plastisch und eindringlich. Die Geschichte lässt sich meist flüssig lesen, bedarf aber stellenweise einer hohen Konzentration, da wie durch einen Zerrspiegel erzählt wird, es bis zu drei Erzählebenen gibt.

Zu Beginn der Geschichte war ich orientierungslos und musste mich erst zurechtfinden. Einen Spannungsbogen konnte ich nicht ausmachen. Sich zuspitzenden Situationen waren vorhersehbar. Ich würde den Roman nicht in das Genre Krimi / Thriller einordnen. Es fehlt der Thrill und der Roman hat bedingt durch die Strukturierung zu viele Längen, die es mir manchmal schwer machten, weiterlesen zu wollen.

Brian DeLeeuw hat ganz sicher eine große Begabung allerdings erscheint mir sein Roman „Der Andere“ diffus unvollständig. Nichtsdestotrotz ist die Geschichte sehr lesenswert, wenn man sich die notwendige Zeit und Ruhe dafür nehmen mag und sich auf die abenteuerliche Erzählperspektive einlassen kann. Sowohl den Schreibstil betreffend als auch den Inhalt würde ich sagen, es ist kein leichtes Buch, eher schwere Lektüre mit einer düsteren Schattierung. Ein Roman, den man vielleicht erst nach mehrmaligem Lesen vollständig erfassen kann.

 

0975c-derandereDer Andere | Erschienen am 3. August 2012 im Knaur Verlag
352 Seiten | 9,99 Euro
Leseprobe

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