Benedikt Gollhardt | Westwall

Benedikt Gollhardt | Westwall

Er hatte sich auf einen Deal eingelassen, der seine dunkle Seele noch ein Stück dunkler werden lassen würde. Der Rabe hackte es mit seinem Schnabel tief in seinen Rücken: Die Frau, die ihm gerade lächelnd gegenübersaß, die er mochte und die ihn mochte, war sein Opfer. Alles in Nick revoltierte, er musste Licht hereinlassen, wenigstens ein bisschen, bevor er platzte, weshalb er vorsichtig zu erzählen begann: von dem Zuhause, das nie ein Zuhause gewesen war, von der Freiheit, die sich als Einsamkeit, Angst und Leere entpuppte. Von den Reisen, die nichts anderes waren als ein Umherirren, und von der Wut, die wuchs und wuchs. Wut auf die, die ihn allein gelassen hatten. Und auf die Welt an sich. (Auszug Seite 185)

Julia Gerloff ist Polizeischülerin auf der Polizeischule in Brühl. Sie lernt einen netten jungen Mann scheinbar zufällig in der Straßenbahn kennen. Doch Nick ist nicht der, der er zu sein vorgibt, was Julia allerdings ziemlich schnell herausfindet, als sie nach einer gemeinsamen Nacht sein Hakenkreuz-Tattoo auf dem Rücken entdeckt. Aber die Geschichte ist für Julia noch nicht vorbei und sie führt tief in ihre eigene Vergangenheit. Denn Julia ist ins Zentrum von Aktivitäten verschiedener Geheimdienstler und einer rechten Splittergruppe geraten. Diese Gruppe um die dominante Ira sammelt obdachlose Kinder und Jugendliche um sich und schwört sie in einem alten Forsthaus im Hürtgenwald bei den Überresten des Westwalls auf ihre Ideologie ein.

Nick heißt eigentlich Christian und ist ein Abtrünniger der rechten Gruppe und nun vom Bundesamt für Verfassungsschutz als V-Mann zwangsverpflichted worden. Er soll sich an Julia heranmachen und auf die Neonazis aufmerksam machen. Doch es mischen noch weitere Personen mit und allmählich wird klar, dass das rechte Netzwerk größer ist als gedacht. Währenddessen planen die Rechten im Wald ein aufmerksamkeitswirksames Attentat.

Ira ließ ihren Blick über die Reihen der Jugendlichen gleiten. „Ihr kommt aus einer Welt, die euch nicht will. Eure Mütter wollen euch nicht. Eure Väter wollen euch nicht. Das System will euch nicht. Ihr seid die Gespenster der Gesellschaft, die man nicht sehen will.“ (Seite 70)

Autor Benedikt Gollhardt hat mit Westwall sein Romandebüt verfasst, nachdem er vorher Drehbuchautor u.a. für Serien wie „Danny Lowinsky“ oder „Türkisch für Anfänger“ war. In einem Interview im Anhang beschreibt er es als „befreiend“, den Zwängen und Reglementierungen des Drehbuchschreibens im Rahmen dieses Romans entkommen zu sein. Als Thema bringt er das aktuelle Geschehen um rechte Gruppen, die sich im Verborgenen auf eine eventuelle Machtübernahme oder terroristische Aktivitäten vorbereiten. Dabei spielt Gollhardt ein Szenario durch, das man angesichts solcher Fälle wie des ehemaligen Chefs des Bundesamts für Verfassungsschutzes Maaßen für nicht völlig abwegig erachten kann: Ein rechtskonservatives Unterstützungsnetzwerk von Personen mit Einfluss in Politik, Geheimdienst und Polizei.

Gollhardt punktet außerdem mit einem gut gewählten Schauplatz. Neben Köln und Umgebung spielt der Roman im tiefen Wald. Der Hürtgenwald südostlich von Aachen strahlt im Buch diese intensive, undurchdringliche Ursprünglichkeit aus, die dem deutschen Wald ja gerne nachgesagt wird. Daneben beherbergt der Wald noch viele Überreste des legendären und mystisch-verklärten Westwalls, einer Verteidigungslinie mit Panzersperren und Bunkern entlang der deutschen Westgrenze. Der propagandistische Wert des Westwalls war zwar offenbar größer als der militärische, allerdings war die Schlacht im Hürtgenwald Anfang 1945 einer der schwierigsten Operationen der US-Armee im Rahmen des Zweiten Weltkriegs in Europa. Die dreieckigen Panzersperren, Bunker und ein Panzerskelett bilden ein überzeugendes Setting. Hinzu kommt ein verlassenes Forsthaus als Unterschlupf für die neue rechte Jugend.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Julia. Sie ist bei ihrem alleinerziehenden Vater in einer linken Aussteigerkommune aufgewachsen und sehr zu dessen Verdruss zur Polizei gegangen. Ihr Vater ist mit ihr nach Köln gezogen, ist jedoch inzwischen schwer krank und hält sich mehr oder weniger nur noch in seiner Wohnung auf. Julia ist eine sympathisch-emotionale junge Frau, manchmal etwas zu impulsiv, auch stellenweise naiv. Die Liaison mit dem undurchsichtigen Nick alias Christian wirkt als Impuls für die weitere Story und an dieser Lovestory mit einigen Hüs und Hotts gab es schon ein paar Dinge, die mich ein wenig gestört haben und die auch Einfluss auf die Handlung nehmen.

Generell setzt der Autor neben der Hauptfigur auch auf zahlreiche Nebenfiguren, die einen durchaus großen Raum einnehmen und die er, dies sei positiv erwähnt, mit ausreichender Tiefe ausstattet. Allerdings hat man teilweise das Gefühl, dass die Geschichte etwas straffer hätte erzählt werden können, wenn man auf die Details mancher Nebenfiguren verzichtet hätte. Insgesamt ist Westwall aber ein gut recherchierter und meist spannender Thriller, der vor allem durch sein Thema als auch durch seinen Schauplatz aus der Masse der Durchschnittsthriller ein wenig heraus sticht.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Westwall | Erschienen am 25. März 2019 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10412-4
280 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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