Tag: 17. Oktober 2019

Geir Tangen | Seelenmesse Bd. 1

Geir Tangen | Seelenmesse Bd. 1

„Es geht genau um diese Sache. Ich habe einen Tipp bekommen, der darauf hindeutet, dass der Mörder Bücher oder Filme als Vorbild für seine Morde benutzt.“ „Bücher…?“ Du meinst, er ist ein Copycat?“ Er hätte dieses Wort selbst nicht benutzt, aber es war absolut treffend. Copycat … jemand, der nachahmt, was andere vorgemacht haben. (Auszug Seiten 299-300)

Viljar Ravn Gudmundsson ist Journalist der Lokalpresse im norwegischen Haugesund, einer kleinen, idyllischen Stadt an der Nordseeküste. Früher war er mal der große Star der Redaktion. Doch ein grober Fehler vor circa vier Jahren beendete seine glanzvolle Karriere und der einst gefeierte Journalist wurde ein abgehalfterter Schreiberling, der von den Kollegen verachtet, nur noch mit Routineaufgaben beauftragt wird.

Ein großer Scoop?

Als er eine anonyme E-Mail erhält, in der ein selbsternannter Richter ein Todesurteil über eine Frau aus Haugesund ausspricht, die angeblich Schuld auf sich geladen hat und vor Gericht stand, aber aus Gründen nicht verurteilt wurde, denkt Gudmundsson kurz an einen großen Scoop. Doch dann tut er das Ganze als groben Unfug ab, leitet aber die mysteriöse E-Mail an die Polizei weiter. Am nächsten Tag wird tatsächlich die Leiche einer Frau gefunden. Und schnell steht fest, dass sie nicht freiwillig aus dem Fenster gesprungen ist, sondern gestoßen wurde. Mit ihrem Team versucht die junge Oberkommissarin Lotte Skeisvoll die zahlreichen Spuren am Tatort auszuwerten. Dabei kommt raus, dass Viljar und die Tote sich anscheinend gut kannten und so gerät der Journalist in den Fokus der Ermittlungen.

Am nächsten Tag trifft eine weitere E-Mail ein, in der das nächste Opfer angekündigt wird. Kurz darauf wird ein Mann vor seiner Haustür erschossen aufgefunden. Die Polizeibeamten sind über weite Strecken ratlos und hechten immer hinter dem wahnsinnigen Täter her. Dieser hat die Morde sorgfältig geplant und dirigiert die Ereignisse nach Belieben, also wie ein Maestro, so ist auch der norwegische Original-Titel. Aus Oslo wird der erfahrene Hauptkommissar Olav Scheidrup Hansen zur Unterstützung gerufen. Erst als ein belesener Beamter darauf kommt, dass der Täter offenbar ein Kenner skandinavischer Kriminalliteratur ist, kommt Bewegung in die Ermittlungsangelegenheit. Es werden Morde aus norwegischen Erfolgskrimis nachstellt. Angefangen von so namhaften Autoren wie Unni Lindell über Anne Holt, Karin Fossum bis Jo Nesbø.

Kaputte Protagonisten

Es gibt Rückblicke auf die Ereignisse des Jahres 2010, in denen der Leser erfährt, welche Schuld der Journalist auf sich geladen hat. Der Zusammenhang zu den aktuellen Morden wird aber erst langsam klar. Kapitel in denen der Täter zu Wort kommt, sorgen für weitere Unterbrechungen.

In diesem ersten Teil einer Trilogie um die Polizeiermittlerin Lotte Skeisvoll und den Journalisten Viljar Ravn Gudmundsson spielt Autor Geir Tangen wirklich mit jedem Krimiklischee. Neben eisiger Kälte und düsterer Stimmung sind das die zerrissenen Helden und der geniale, wahllos tötende Serienkiller sowie brutale Morde. Auch im Handlungsablauf bedient sich der Autor bewährter Komponenten wie das Wechseln zwischen zwei Zeitebenen und das Legen vieler falscher Fährten. Da dürfen auch die inneren Monologe des irren Täters nicht fehlen.

Der einst supererfolgreiche Viljar befindet sich nach einem folgenschweren Fehler, bei dem durch seine Nachlässigkeit ein Informant aufflog, in psychologischer Behandlung. Der geschiedene Journalist wird als menschliches Wrack dargestellt, der durch ständige Angstzustände und Panikattacken nur noch chaotisch arbeitet.
Die disziplinierte Lotte arbeitet immer sehr genau und gut strukturiert. Andere finden sie fast überkorrekt und durch ihr ständiges Abwegen auch umständlich. Ein massiver Kontrollzwang dominiert ihren Alltag. Seit dem Tod ihrer Eltern fühlt sie sich für ihre jüngere, drogensüchtige Schwester Anna verantwortlich.

Fazit

Ich fand die Geschichte wirklich spannend erzählt, flüssig und wendungsreich geschrieben. Immer wieder tauchen neue Tatverdächtige auf, nur um der Geschichte kurz darauf wieder eine andere Wendung zu geben. Durch den einfachen Schreibstil liest sich der Thriller wie geschnitten Brot. Spannung entsteht nicht zuletzt auch, da Personen zu den Opfern gehören, mit denen ich überhaupt nicht gerechnet hatte. Zum Schluss war es vielleicht eine Wendung zu viel und auch das Motiv für den Täter fand ich ziemlich unglaubwürdig. Den Charakteren hätte etwas mehr Tiefe gut getan, die Differenzen zwischen der jungen Lotte Skeisvoll und dem erfahrenen aber übergriffigen Osloer Hauptkommissar Hansen hatten dafür auch genug Potential, welches verschenkt wurde. Überhaupt kommen die Polizeibeamten nicht wirklich gut weg. Es kommt schlussendlich zu sechs Opfern und die Beamten laufen immer nur hinterher und können die Morde nicht verhindern, denn der Täter ist ihnen immer einen Schritt voraus. Und wahrscheinlich habe ich schon zu viele skandinavische Thriller gelesen, aber der Mörder war für mich keine Überraschung.

Geir Tangen lebt in Haugesund und ist ein bekannter Blogger. Auf Norwegens größtem Krimi-Blog Bokbloggeir.com schreibt er seit 2012 Krimi- und Thriller-Rezensionen. 2016 hat er sich seinen Traum erfüllt und mit „Maestro“ den ersten eigenen Thriller veröffentlicht. Der Schriftsteller war bei verschiedenen Zeitschriften journalistisch tätig und diese Erfahrungen konnte er durch authentische Beschreibungen des Redaktionsalltags in sein Debüt einarbeiten.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Seelenmesse | Erschienen am 16. Oktober 2017 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-24865-19
480 Seiten | 10.- Euro
Originaltitel: Maestro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Krimis aus Norwegen.