Monat: September 2019

Liza Cody | Ballade einer vergessenen Toten

Liza Cody | Ballade einer vergessenen Toten

Dieser Song mit seiner schmerzlich-schönen Melodie und seinem herzzerreißenden Text bewirkt, dass die Frau ihren Kopf in die Zeitung steckt und weint. Doch er setzt auch die Alchemie in Gang, die Amy von einer ausrangierten, trauernden verlorenen Seele in eine Biografin verwandeln wird. (Auszug Seite 19)

Die Schriftstellerin Amy ist an einem Tiefpunkt angelangt. Beruflich läuft es nicht wirklich rund und jetzt wurde sie auch noch von ihrem Freund, einem erfolgreichen Autor verlassen. Passend zu ihrer deprimierten Stimmung läuft im Radio der 80er Jahre Song „See Jesse Tomorrow“ der Band SisterHood. Deren blutjunge Sängerin Elly Astoria war ein musikalisches Genie und leider viel zu früh verstorben. Die Band löste sich danach sofort auf und Elly geriet nach der medialen Aufregung um ihren Tod sehr schnell in Vergessenheit. Das musikalische Wunderkind wurde vor 25 Jahren grausam misshandelt und ermordet aufgefunden, der Täter nie gefasst. Die spontane Idee eine Biografie über Elly Astoria zu schreiben, beflügelt Amy total. Sie will unbedingt mehr über die begnadete Musikerin erfahren und der Nachwelt das vergessene Genie in Erinnerung bringen.

Wer war Elly Astoria?

Die Umstände von Ellys Tod spielen erst mal gar keine so große Rolle denn Amy sieht sich auch nicht als Detektivin. Amy interviewt die damaligen Lehrer und Nachbarn, ermittelnde Polizisten und sogar den Friseur, der für die nötige Bühnenpräsenz sorgen sollte. Während sich Ellys Lebensgeschichte anhand von Interviews der Bandkollegen, Abschriften von Polizeiberichten, E-Mails, Briefen, Tagebucheinträgen und Tonaufzeichnungen immer detaillierter darstellt, tritt die Person Elly mehr und mehr in den Hintergrund. Da wir sie nur durch die Augen anderer kennen lernen, bleibt ihre Persönlichkeit blass.

Unauffällig, fast unsichtbar war das zierliche Mädchen auch in der Schule, bis man auf ihr absolutes Gehör aufmerksam wurde. Ohne Vater lebte sie mit ihrer drogensüchtigen Mutter in einer verwahrlosten Wohnung zusammen. Sie fühlte sich für ihre Mutter verantwortlich und verdiente Geld als Musikerin auf den Straßen Londons. Hier wird die Frauenband auf sie aufmerksam und bald ist sie die Sängerin und Songschreiberin der SisterHood. Die Frauen, allen voran „Big Mama“ Briony, die füllige Bandmutter, nehmen die vernachlässigte Außenseiterin unter ihre Fittiche, profitieren aber auch von ihrem Megatalent und vereinnahmen sie. Als ihre Mutter stirbt und die Band erstmals die versifften Verhältnisse sehen, in denen Elly leben musste, wurde die Wohnung renoviert und alle Bandmitglieder zogen mit ein. Elly ließ alles mit sich geschehen, sie war aber auch erst 15 Jahre alt, und nicht 18, wie sie allen erzählte.

Die Macht der Musik

Bei ihren Recherchen stößt Amy auf unterschiedliche Aussagen, auch auf Neid und Missgunst und ihr wird klar, dass sie den Mord an Elly nicht ausklammern kann und die Biografie würde sich auch besser verkaufen. Also wird aus der Musikerbiografie eine Ermittlungsgeschichte und sie erstellt eine Liste mit zehn Verdächtigen für die grausame Tat. Was ist zum Beispiel mit dem zwielichtigen Manager Tom Prank und seiner geschäftstüchtigen Zwillingsschwester Carol, die Elly zum Megastar gemacht hatten? Aber was hätten sie für einen Grund gehabt? Die Geschwister verdienten Millionen, während die Band fast leer ausging. Dann doch schon eher die schöne Maddie, sexy Star der Band, bevor Elly dazu stieß. Ausgerechnet die kleine, unscheinbare Elly, die auf Bildern oft nur der verwischte Fleck ist, der grade ins Bild kommt oder rausgeht. Aber sobald sie die Bühne betrat, entwickelte sie ein Charisma und riss die Massen mit.

Es ist recht interessant, einmal festzustellen, wie oft Beteiligte gewisser Begebenheiten in Ellys Leben gestehen, dass sie einen Hass auf sie entwickelten, einfach weil alle anderen „sie liebten“. Oder Neid empfanden, weil Elly, die zweifellos musikalisch begnadet war, zusätzlich auch noch eine Art von Aufmerksamkeit auf sich zog, die sie „gar nicht verdiente“. (Seite 87)

Amy muss tief im Leben der grausam Ermordeten graben und hadert erst mit ihrer Rolle als Detektivin. Es ist interessant zu lesen, wie sie langsam über sich hinaus wächst, streng gehütete Geheimnisse enthüllt und sogar einen Verleger an Land zieht.

Fazit

Obwohl die englische Krimiautorin Liza Cody zum Schluss auch eine stimmige Auflösung anbietet, ist es weniger ein Kriminalroman, sondern mehr ein detailliertes, teilweise bissiges Portrait des gar nicht so glänzenden Musikgeschäfts. Es ist auch eine Abrechnung mit den Abgründen der Musikindustrie einschließlich ein paar gekonnten Seitenhieben gegen Musikjournalisten. Den präzisen Blick hinter die Kulissen der Musikszene kauft man Cody aufgrund ihrer Erfahrungen als Roadie im Konzertbusiness der 6oer und 70er Jahre völlig ab.

Es war mein erster Roman von Liza Cody, aber nachdem ich mich erst mal auf die nicht lineare Erzählweise und die sukzessive Enthüllung der unterschiedlichen Informationen eingelassen hatte, habe ich die grandiosen Charakter- sowie Milieustudien sehr genossen. Cody schreibt mit Witz, Empathie aber ohne große Sentimentalitäten. Am Ende dieser außergewöhnlich erzählten Geschichte will man unbedingt die ergreifende und berührende Musik der fiktiven Elly Astoria hören.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Ballade einer vergessenen Toten | Erschienen am 24. April 2019 bei Ariadne im Argument Verlag
ISBN 978-3-867-542388
416 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezensionen zu den Cody-Romanen Miss Terry und Lady Bag.

Jakob Bodan | Ein richtig falsches Leben

Jakob Bodan | Ein richtig falsches Leben

Das Einzige, was Constanze jemals zum Mord an ihrem Vater geschrieben hatte, war der offene Brief an die RAF gewesen. Eine Antwort hatte sie nicht erhalten.
„Wie kommt es, dass die Täter niemals identifiziert worden sind?“
Die immergleiche unerlässliche Frage.
„Sie waren einfach zu gut“, meinte Ortner.
„Besser als die Polizei? Kaum zu glauben.“
„Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Selbst wenn du wüsstest, wer geschossen hat, würde dein Vater nicht wieder lebendig.“ (Auszug Seite 114)

Constanze Behrenberg lebt mit ihrem Sohn David aktuell im Haus der Familie in Südfrankreich. Dort lernt sie Frederic kennen, einen Deutschen, der dort in einem alten Bauernhaus mit seiner Partnerin Marie-Claire Marmeladen herstellt und verkauft. Constanze und Frederic kommen sich näher. Doch Frederic ist nicht der, der er zu sein vorgibt und er erkennt bald, dass ihn eine monströse Tat mit Constanze verbindet: Er war (und ist) Teil der dritten Generation der RAF, die vor mehr als zwanzig Jahren Constanzes Vater Stephan Schilling ermordet hat.

Die Mörder Schillings wurden nie gefasst. Die meisten der dritten Generation der RAF sind immer noch im Untergrund. Wie Frederic. Doch der stellt sein Leben und seine Taten inzwischen in Frage. Er hält es nicht mehr aus, will auch wissen, was damals wirklich passierte, welche Personen im Hintergrund die Fäden zogen. Und er will Marlene wiedersehen, eine Mitkombattantin und seine große Liebe. Auch Constanze hat das Trauma der Ermordung des Vater nur oberflächlich überwunden. Sie versuchte damals als Jugendliche vergeblich, Kontakt zur RAF aufzunehmen, um Antworten zu finden. Sie will immer noch die Mörder finden und hinterfragt das ehrliche Bemühen der deutschen Sicherheitsbehörden nach echter Aufklärung. Als auch sie die Identität Frederics herausfindet, kommt es zu einem brüchigen Pakt zwischen beiden auf der Suche nach der Wahrheit. Doch auf der anderen Seiten gibt es immer noch einige, die darauf achten, dass diese niemals ans Licht kommt.

Hatte er ernsthaft Welcome-Back-Gesänge erwartet? Hoch die Tassen auf die alte Zeit? Das war kein Veteranentreffen. Das waren verbitterte, verkrachte, seelisch verwahrloste Gestalten. […]
Das Leben im Untergrund war nur ein halbes Leben.
Die Früchte der Anarchie hatten nie geschmeckt.
Aber nun waren sie verfault. (Seite 224)

Die RAF hat auf mich schon als Kind eine irgendwie makabere Faszination ausgeübt. Ich weiß noch genau, wie ich als Neunjähriger nach einer Samstagabendshow im Oktober 1985 noch einen Teil der abschließenden Nachrichten sehen durfte und dort die Meldung vom Mord an Gerold von Braunmühl kam. Seitdem habe ich zahlreiche Bücher und Filme über die RAF gelesen bzw. gesehen. Die sogenannte dritte Generation ab Mitte der 1980er ist bis heute zum großen Teil ein Mysterium, sind doch nur wenige Mitglieder namentlich bekannt, die Mörder von Braunmühl, Herrhausen oder Rohwedder nicht ermittelt. Bis heute leben viele im Untergrund, begehen sogar weiterhin Raubüberfälle, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Bekannt ist, dass diese Terroristengeneration massive Unterstützung der DDR erhalten hatte.

Autor Jakob Bodan (ein Pseudonym) nutzt die spärlichen Fakten, um daraus eine fiktive Geschichte zu machen, in der er letztlich auch die Frage stellt, wem nutzten die letzten Morde der RAF, war die RAF noch eine Organisation mit einer gefestigten (wenn auch verqueren) Ideologie oder waren sie zu Handlangern, zu Auftragsmördern Dritter verkommen? Als Constanze und Frederich beginnen, Staub aufzuwirbeln, wird klar, dass die Omertá der Täter immer noch gilt, Verräter nicht geduldet werden und weitere Hintermänner oder zumindest Nutznießer noch in ganz anderen Positionen sitzen. Im begleitenden Pressetext sagt der Autor, dass der Staat kein Interesse an der Wahrheit habe und die innere Einheit Vorrang vor der Aufklärung der Rolle der DDR in der Geschichte der RAF besitze.

Als Vehikel und Aufhänger wählt Bodan das Private der Opfer und Täter. Das Leid und das Trauma der Hinterbliebenden, die von der Tat gezeichnet bleiben – in diesem Fall Constanze, die ein emotionales Defizit und ein ungestilltes Rachebedürfnis zurückbehalten hat. Auf der anderen Seite die Täter, die immer noch unerkannt sind, sich total auf das nicht selbst bestimmte Leben im Untergrund einlassen müssen und sich ihrer Taten nicht stellen.

Als Ansatz ist dies durchaus überzeugend, allerdings war das Ergebnis für mich manchmal zu verkopft. Der Autor bringt Verweise auf Schillers Die Räuber und der Titel darf sicherlich als Hinweis auf Adornos Es gibt kein richtiges Leben im falschen interpretiert werden. Das alles deutet natürlich darauf hin, dass Bodan hier weniger einen Thriller als eher einen politischen Gesellschaftsroman im Sinn hatte. Warum er dann doch die Thrillerelemente einbaut, bleibt unklar, denn diese Szenen gehören nicht zu den Stärken des Romans und wirken unrund geplottet. Dennoch fand ich das Thema, die Anregungen und Andeutungen interessant und gelungen. Insgesamt also eine zwiespältige Lektüre mit Stärken und Schwächen.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Ein richtig falsches Leben | Erschienen am 3. Juni 2019 im Droemer Verlag
ISBN 978-3-426-30711-3
384 Seiten | 14.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Anna Johannsen | Das Mädchen am Strand

Anna Johannsen | Das Mädchen am Strand

„Der Strandabschnitt war weiträumig abgesperrt und wurde auf jeder Seite von einem Polizisten überwacht. Im Laufen hob Lena ihren Ausweis, der Kollege nickte und hob das Absperrband für sie hoch. Um die Leiche, die in einer windgeschützten Mulde am Rand des Strandes lag, standen Arno Brandt und drei Polizisten der Suchmannschaft. Die Szene wirkte merkwürdig friedlich: Das Mädchen sitzend und leicht zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, die Arme locker auf dem Schoß.“ (Auszug Seite 44)

Hauptkommissarin Lena Lorenzen macht eigentlich einen Kurzurlaub auf Amrum, wird dann aber gebeten, die Suche nach einem vermissten Mädchen auf der Nachbarinsel Föhr zu unterstützen. Die 14-jährige Maria ist von zu Hause verschwunden und wird am zweiten Tag der Suchaktion tot am Strand gefunden, mit aufgeschlitzten Pulsadern. Alles deutet also auf einen Suizid hin, auch die Tatsache, dass Marias Familie in einer streng religiösen Glaubensgemeinschaft lebt. Lena bleibt allerdings von Anfang an skeptisch und trifft bei ihren Befragungen auf großes Schweigen. Warum ist Maria weggelaufen? Wollte sie einfach nur den festen Regeln ihrer Religion entkommen oder steckt etwas ganz anderes dahinter?

Das Leben neben dem Beruf

Lena ist Mitte dreißig und arbeitet in Kiel beim LKA. Sie lebt im Moment in einer Fernbeziehung mit Erck, einem Freund aus Schultagen, dem sie vor kurzem wieder begegnet ist und der jetzt auf Amrum lebt. Erck stört es, dass beide sich nicht so oft sehen und wenn, dann trotzdem Lenas Job dazwischen funkt, wie in dieser Vermisstensache. Erck möchte eine Zukunft und Familie, Lena ist sich jedoch unsicher. Und dann ist einer der Flensburger Kollegen, die mit in dem Fall ermitteln, auch noch Ben, mit dem sie nach einem Seminar im Bett gelandet ist… Hier sind Grübeleien vorprogrammiert.

Viel Ermittlungsarbeit

Das Mädchen am Strand von Anna Johannsen ist der zweite Roman um die Kommissarin Lena Lorenzen. Bisher ermittelte die Protagonistin in fünf Fällen. Die Geschichte ist ein klassischer Kriminalroman, in dem es hauptsächlich um die Ermittlungen in dem Todesfall geht. Außer den Kollegen vor Ort bekommt Lena schnell noch weitere Unterstützung aus Flensburg und so koordiniert sie insgesamt drei Teams über die Insel. Es werden viele Befragungen geführt, mit den meisten Personen auch mehrmals, da sich eine Hülle des Schweigens um die Menschen im Umfeld von Maria bildet. Immer wieder zieht Lena sich auch mit Johann, einem Kollegen aus Flensburg, mit dem sie bereits in einem früheren Fall gut zusammengearbeitet hat, zurück und reflektiert die bisherigen Ergebnisse. Es dauert lange, bis es so etwas wie einen Verdächtigen gibt, doch dann kommt alles auf einmal!

Leichter Lesegenuss

Mir hat dieser Krimi Lesefreude bereitet, da eben nicht so sehr viel drum herum erzählt wird, sondern wirklich der Fall im Vordergrund steht. Lena ist für mich als Protagonistin eher flach geblieben, ich kann mich nicht besonders gut mit ihr identifizieren, richtig unsympathisch ist sie mir allerdings auch nicht. Ein bisschen Liebesgeschichte und Familienprobleme geben der Geschichte noch etwas Abwechslung. Das ist nichts wirklich Neues, stört aber auch nicht. Zweimal hatte ich erst das Gefühl, dass doch etwas zu viel Zufall eingewebt wurde, hat sich dann aber doch nicht bestätigt. Beim Ende habe ich ebenfalls erst vermutet, dass der Täter doch recht früh feststeht, aber glücklicherweise änderte sich auch das nochmal und es blieb bis zum Schluss spannend. Insgesamt liest sich die Handlung flüssig und schnell und ich konnte immer gut folgen. Außerdem kommt ein wunderschöner Schauplatz dazu und oftmals sortiert Lena ihre Gedanken im Watt oder im Strandkorb.

Fazit: Leichter, aber keinesfalls langweiliger Krimi mit bester Kulisse!

Anna Johannsen lebt seit ihrer Kindheit in Nordfriesland. Sie liebt die Landschaft und Menschen der Region, besonders verbunden ist sie den nordfriesischen Inseln, auf denen die Krimireihe »Die Inselkommissarin« spielt.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Das Mädchen am Strand | Erschienen am 6. Februar 2018 bei Edition M (Selfpublishing)
ISBN 978-1-50390144-0
350 Seiten | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Frank Goldammer | Roter Rabe ♬

Frank Goldammer | Roter Rabe ♬

Im Sommer 1951 werden in der noch jungen DDR zwei Mitglieder der Wachturmgesellschaft wegen Spionageverdacht in Polizeigewahrsam genommen. Kurz nach der Verhaftung werden die beiden Zeugen Jehovas tot in ihren Untersuchungszellen aufgefunden. Sie sollen auf ziemlich ungewöhnliche Art Suizid begangen haben. Oberkommissar Max Heller zweifelt an den vermeintlichen Selbstmorden in getrennten Zellen, stößt aber während seinen Ermittlungen bei den misstrauischen Sektenmitgliedern auf Widerstände. Die Untersuchung der Todesfälle gestaltet sich auch so schwierig, denn die verschiedenen Geheimdienste scheinen ihre Finger im Spiel zu haben. Heller darf ermitteln, wird aber immer wieder zurückgepfiffen und vieles soll auch unter den Teppich gekehrt werden.

Angst vor der Atombombe

Max Heller trifft auf einen alten Bekannten, den jungen Russen Alexej Saizev, der mittlerweile für den russischen Geheimdienst tätig ist. Einst ein Freund, hat dieser sich total verändert, wirkt zynisch und verbittert und seine Handlungen sind für Heller nicht nachvollziehbar. Saizev ist auf der Suche nach einem amerikanischen Topspion und er warnt Heller eindringlich, ihm nicht in die Quere zu kommen. Der gefährliche Geheimagent, auch Der Rabe genannt, soll für den Westen spionieren und Sabotage betreiben. Es kursieren Gerüchte, die Amis wollen die Atombombe in Dresden einsetzen, um die Russen zu entmachten.

Heller und seine Mitarbeiter Werner Oldenbusch und Peter Salbach stoßen auf mysteriöse Zeitungsannoncen, in denen offenbar chiffrierte Nachrichten übermittelt werden und eine weitere Spur führt zu einem jugendlichen Schmugglerpärchen. Aufgrund einer Explosion in einem Kraftwerk wenige Monate zuvor, zieht Heller einen Zusammenhang mit dem Schmuggel von Uranerz. Dieses spezielle Erz wird für den Bau einer Atombombe benötigt. Die Angst vor einem Bombenattentat in Dresden ist allgegenwärtig. Nach und nach kommen alle Zeugen auf merkwürdige Weise zu Tode. Und zwar so viele, dass ich irgendwann aufhörte, zu zählen.

Kein Telegramm von Karin

Der Oberkommissar muss zeitgleich auch noch sein Privatleben organisieren. Er kehrte grade mit seiner Familie aus dem Ostseeurlaub zurück. Und während seine Frau Karin mit einer Ausreisegenehmigung gleich weiterreist, um zum ersten Mal den gemeinsamen Sohn Erwin und dessen kleine Familie im Westen zu besuchen, bleibt Heller schweren Herzens alleine mit der kleinen Pflegetochter Annie zu Hause. Sie wohnen bei Frau Marquardt und dass die alte Dame immer verwirrter wird, bedeutet eine weitere Sorge für Max. Er wartet sehnsüchtig auf ein Lebenszeichen seiner Frau und weist brüsk alle Andeutungen zurück, dass Karin nicht vereinbarungsgemäß nach 14 Tagen zurückkommt. Er vertraut seiner Frau, doch auch an ihm nagen Zweifel, als das vereinbarte Telegramm nicht kommt. Dann taucht eine junge Frau namens Edeltraud Hermann auf, die sich als entfernte Verwandte von Frau Marquardt ausgibt und sich auch noch in der Wohnung einquartiert. Heller empfindet ihr Verhalten als merkwürdig.

Die Zeugen Jehovas

In der DDR waren die Zeugen Jehovas erst als Opfer des Faschismus anerkannt und als kleine Religionsgemeinschaft eingetragen. Doch schnell wurde die Glaubensgemeinschaft verboten und bis zum Ende der DDR standen die Mitglieder unter intensiver Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und lebten in ständiger Furcht vor staatlichen Repressionen. Als Staatsfeinde agierten sie im Untergrund, wurden verfolgt und verhaftet.

Diese Thematik arbeitet Frank Goldammer in dem 4. Teil der Krimireihe um den Dresdner Oberkommissar Max Heller ein. Dabei gelingt es ihm sehr eindrücklich, die Atmosphäre von Misstrauen und Angst aufzuzeigen, denn die junge DDR stand unter permanenter Beobachtung durch die Sowjetunion. Bespitzelung und Denunziation bestimmten den Alltag der Menschen und das Vertrauen zwischen Freunden oder sogar innerhalb der Familie wurde häufig auf eine harte Probe gestellt. Das wird am Beispiel von Hellers Kollege sehr anschaulich dargestellt. Oldenbusch wird durch das MfS drangsaliert, nachdem sich seine Verlobte in den Westen abgesetzt hat. Neu im Team ist der ehemalige Polizist Peter Salbach, dem Oldenbusch mit Misstrauen begegnet, da er ihn für einen Spion hält. Heller ist entsetzt über das paranoide Klima in den eigenen Reihen und attestiert Oldenbusch Verfolgungswahn. Die Versorgungslage hat sich nach Kriegsende verbessert, ist aber längst nicht so gut wie in der BRD. Des weiteren leben die Menschen mit der ständigen Befürchtung, der Spionage verdächtigt zu werden, dazu reichte es schon, wenn man dabei erwischt wird, westliche Radiosender zu hören.

Verworrener Plot und grundanständiger Protagonist

Während der Autor den einzelnen Figuren sehr viel Sorgfalt widmet und die Zeit stimmig eingefangen wird, war mir der Plot zu komplex und verworren. Ich hatte Mühe, allenVerdächtigungen und Geschehnissen zu folgen. Irgendwann habe ich den Faden verloren, und auch die Auflösung zum Schluss ist nicht wirklich gelungen, da einige Fragen nicht schlüssig beantwortet werden. Vielleicht habe ich sie auch überhört und hier wäre das Printmedium besser gewesen, um noch mal zurückzublättern. Obwohl der Schauspieler und bekannte Hörbuchsprecher Heikko Deutschmann mit sonorer Stimme seine Sache wirklich sehr gut macht. Für mich wurde die Handlung mit zu vielen unnötigen Todesfällen überfrachtet.

Als Hörer weiß man nie mehr als Heller, da aus seiner Sicht erzählt wird. So ist man der Gedanken- und Gefühlswelt des sympathischen Protagonisten immer sehr nah. Und der unbestechliche Max Heller ist wirklich ein grundanständiger aber auch ziemlich dröger Zeitgenosse mit hohen Moralvorstellungen. Er hält an seinen Prinzipien fest und will soweit wie möglich unpolitisch bleiben. Die Begegnungen zwischen dem stocksteifen Max Heller und der übergriffigen Edeltraud Hermann haben mich jedenfalls sehr amüsiert.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Roter Rabe | Das Hörbuch erschien am 21. Dezember 2018 bei Der Audio Verlag
ISBN 978-3-7424-0643-9
1 mp3-CD | 19.99 Euro
Laufzeit: 11 Stunden 9 Minuten
ungekürzte Lesung von Heikko Deutschmann
Bibliografische Angaben & Hörprobe