Monat: April 2019

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Christine Grän & Hannelore Mezei | Glück in der Steiermark

Chefinspektor Martin Glück ist gerade aus Wien in der Steiermark eingetroffen und darf im Landeskriminalamt Graz, wo zur Zeit erheblicher Personalmangel herrscht, ganz offiziell wieder in Sachen Mord ermitteln, nachdem er zuletzt nur noch Bagatellfälle zu bearbeiten hatte. Nach einem Zwangsurlaub am Wörthersee hatte man ihn in ein Kellerbüro des Präsidiums verbannt, weil er ausgerechnet seinen Vorgesetzten Arm in Arm mit seiner Frau Larissa entdeckte und aus Eifersucht verprügelte. Mit Aggressionen anderer kann er ganz gut umgehen, nur nicht mit seinen eigenen, aber das ist nach einer Therapie schon besser geworden. Mittlerweile ist er geschieden und hat in seinem befristeten Urlaub Lily Prokop kennengelernt, eine Kollegin, die es ihm angetan hat. Allerdings scheint sich ihre Beziehung langsam einem Ende zu nähern, auch wenn das keiner der beiden zugeben mag. Sie verabreden sich stattdessen auf ein Wochenende in der Südsteiermark, um die Weinstraßen zu erkunden. Vielleicht eine Wiederbelebung der Beziehung. Oder das Ende.

Die neuen Kollegen sind nett und nehmen ihn herzlich auf, aber ausgerechnet Felix Wagner, der ihm als Partner zugedacht ist, hat einen Hass auf alle Wiener, seit seine Frau mit einem Hauptstädter auf und davon ist. Nur langsam finden Martin mit seinem Wiener Schmäh und Felix, den der etwas rauen Charme der Steiermärker auszeichnet, bei ihrer gemeinsamen Arbeit zu eine Team zusammen. Aber es hilft nichts, sie müssen sich zusammenraufen, haben sie doch gleich zwei spektakuläre Mordfälle an der Hacke, die für reichlich Gesprächsstoff sorgen in der Landeshauptstadt. Graz macht es einem leicht, friedlich und unbehelligt zu leben. Man trifft immer jemanden, den man kennt, ein wundervolles großes Dorf. Viele junge Leute, eine Universitätsstadt von bezaubernder Gemütlichkeit. Die von den Autorinnen Christine Grän und Hannelore Mezei, die beide in Graz geboren wurden, kenntnisreich und liebevoll inszeniert wird, so ausführlich und innig zum Teil, dass man sich den Reiseführer sparen kann, wenn die Lust auf einen Besuch oder Urlaub geweckt ist.

Hier leitet im Hilmteichviertel der berühmte und höchst erfolgreiche Schönheitschirurg Prof. Dr. Fridolin Leitner eine renommierte Privatklinik. Und ausgerechnet dort hat jemand die Journalistin Stephanie Hütter erstickt. Sie lag nach einer Nasenkorrektur noch mit Schmerz- und Schlafmitteln betäubt auf dem Krankenzimmer, als man ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte. Steffi schrieb an einer Biographie über Leitner, Memoiren eines Schönheitschirurgen. Ob dort auch Privates eingeflossen war? Der Professor arbeitet jedes Jahr einen Monat für Ärzte ohne Grenzen. Er hatte den Beruf eigentlich ergriffen, um Unfall- oder Kriegsopfern mit plastischer Chirurgie zu helfen. Die vier Wochen in Krisengebieten bauen ihn jedes mal moralisch auf. Und lassen ihn der ehelichen Hölle entkommen. Claudia, seine kunstsinnige Ehefrau, betrügt ihn mit einem Maler, den sie für ein Genie hält und ausstellt. Sein Sohn nennt sich Banker und ist vor allen Dingen Porschefahrer. Seine Tochter, Yogalehrerin, ruht so in sich selbst, dass sie andere Menschen gar nicht wahrnimmt. Seinen Plan, auszuziehen und ein Zimmer in der Klinik einzurichten, verschiebt er ein ums andere Mal.

Die zweite Tote wird in der Garderobe des Grazer Theaters gefunden, wo gerade die letzten Proben für die diesjährige Aufführung beim steirischen Herbst über die Bühne gehen, eine skandalträchtige Inszenierung des „Lumpazivagabundus“ von Nestroy, von Emanuel Prader mit bewusstem Kalkül auf einen Eklat eingerichtet. Die mäßig begabte Schauspielerin Mara Sibelius hat in dem Stück eine kleine Rolle ergattert, indem sie sich dem alternden Regiestar hingibt. Nun liegt sie in einer Blutlache am Boden, mit einer schweren Kopfverletzung. Als Martin den Tatort betritt, zuckt er kurz zusammen. Er kennt die Tote, war dabei, als sie in einem Lokal von Praders eifersüchtiger Gattin mit Olivenöl übergossen wurde. Er selbst hatte das Handgemenge der beiden Furien beendet, welches natürlich ein gefundenes Fressen für die Skandalpresse war. Es stellt sich heraus, dass die Sibelius wohl gestürzt ist, weil sie mit Atropin vergiftete Pralinen gegessen hat. Und noch etwas ergeben die ersten Untersuchungen: sie hatte vor kurzem eine Vaginalstraffung, und zwar in der Klinik des Professor Leitner!
Den Eingriff hat der Meister persönlich vorgenommen, obwohl der Unterleib eigentlich das Spezialgebiet seiner „Oberärztin“ Dr. Olga Markovitz ist, seiner einzigen chirurgischen Mitarbeiterin. Sie war zuvor Hautärztin in München, seit der Trennung von ihrem Mann praktiziert sie nun seit zwei Jahren in Graz und führt außerdem unterschiedlichste Schönheitsoperationen in Leitners Klinik durch. Als Martin sie zu den jüngsten Ereignissen in der Klinik befragt, erfährt er, dass in der Tatnacht eine weitere bekannte Schauspielerin in der Klinik weilte, inkognito selbstverständlich. Und plötzlich steht sie leibhaftig vor ihm: Alma Zoppot! Martin kennt sie aus einem früheren Fall, in dem er Erbschaftsmorde aufklärte. (Im ersten Roman der Reihe Glück in Wien). Nun erfährt er, dass auch sie mit Prader liiert war, ihn aber verlassen hat. Auch ihren Freund Edgar, einen Spieler, der auf ihr geerbtes Vermögen aus war, hat sie in die Wüste geschickt. Nun ist ihr Bestreben, sich den Professor Leitner zu schnappen. Sie erzählt Martin, dass sie dabei ist, eine „MeToo“-Kampagne gegen Prader anzuschieben, darüber hatte sie auch mit Mara Sibelius gesprochen.

Eine weitere alte Bekannte taucht auf, Romana Petuschnigg, seine erste Liebe, inzwischen eine ältere Dame, deren treuer Begleiter das kleine Hündchen Alex ist. Ihr Nachbar ist der reichste Mann am Wörthersee, ihre große Liebe, der sie fast jeden Tag auf ein Glas Wein besucht. Dass er sie einmal heiraten wollte, ist längst kein Thema mehr, dazu ist es auch mittlerweile zu spät, findet Romana, die nach Graz gekommen ist, um sich die Hüfte operieren zu lassen. Sie war eine der Begünstigten der Erbschaftsangelegenheit, an ihrer Miterbin Alma Zoppot lässt sie kein gutes Haar. Welche Rolle spielen die beiden im aktuellen Fall? Und wie passt Sascha Prinz ins Bild? Er ist der Star des Grazer Schauspielhauses, mit einigem Einfluss, allerdings säuft er zu viel. Dann spielt er aber auch sensationell, das Publikum betet ihn an. Auch er hat ein Verhältnis mit Mara, weshalb ihn seine Frau – vorläufig – verlassen hat. Und zu Martins Verwunderung und Verärgerung stellt sich heraus, dass diese Frau Gigi Altenbacher ist, der er gerade etwas näher gekommen ist, denn sie ist Nachbarin in der gerade bezogenen Unterkunft.

Die Autorinnen lassen sich Zeit bei der Entwicklung des Plots, immer wieder werfen sie Seitenblicke auf das Leben und Treiben der vielen Beteiligten. Dabei ist das Tempo gemächlich, fast gemütlich, für einen typischen Whodunit, wie er hier vorliegt, allerdings nicht ungewöhnlich und ebenso nicht unpassend. Auch ist Hochspannung in diesem Genre nicht unbedingt Voraussetzung für gute Unterhaltung und literarische Qualität. So fließt bei den beiden Autorinnen kein Blut (außer vielleicht bei den Schönheitsoperationen), dafür hat ihr Krimi andere Qualitäten. Wie die beiden sich die Arbeit an ihren Büchern teilen, ist beim Lesen nicht zu bemerken, das Ergebnis ist jedenfalls ausgesprochen homogen und liest sich wunderbar locker. Der Stil ist sehr direkt und ausgesprochen witzig, allerdings ist der Humor zum Teil sehr speziell, strotzt vor bitterem Sarkasmus, ja Zynismus. Wer sich für diesen boshaften, beißenden Spott mit seinen wohl dosierten, gut gezielten Seitenhieben auf die Schickimicki und Bussi-Bussi-Gesellschaft erwärmen kann, wird viel Spaß haben mit den vielen richtig spaßigen Passagen rund um das befremdliche Treiben im Steirischen Herbst, dem „obszönen Kasperltheater“, mit den intelligenten Spitzen gegen die Kultur im Allgemeinen und die Kulturschaffenden im Besonderen.

Während die Hauptcharaktere liebevoll, fast zärtlich behandelt werden, bekommen es die Angehörigen der „besseren Gesellschaft“, allesamt eher Karikaturen, knüppeldick ab: Böse, aber treffend nehmen die Autorinnen zum Beispiel das Gehabe des Starregisseurs Emanuel „Mani“ Prader aufs Korn, der gern überall Hof hält. Auch seine völlig überdrehte, zuweilen hysterische und ständig eifersüchtige Gattin bekommt ihr Fett weg. Nicht zu vergessen die Riege der Schauspielerinnen wie die alternde Ex-Diva Alma Zoppot, die mit gekünstelten Gesten jede Gelegenheit für einen großen Auftritt nutzt. Herrlich die gallige Charakterzeichnung der bösartigen Ehefrau des „Skalpellmeisterlein“ Leitner. Die Aufzählung ließe sich mühelos fortsetzen.

Kein Wunder, dass einige dieser Figuren auch auf der Liste der Verdächtigen auftauchen, und die ist lang. Zu viele könnten ein Interesse haben, zu viele hatten die Gelegenheit. Jeder hätte die Ampullen mit dem giftigen Atropinsulfat aus dem Suchtmittelschrank der Klinik entwenden können. Aber auch wenn die Ermittler eine Menge Spuren verfolgen, haben sie doch keine konkreten Anhaltspunkte oder gar Beweise. Während sie versuchen, die Fäden zusammenzuknüpfen und passende Theorien zu konstruieren, drehen sie sich nur im Kreis. Sie diskutieren hin und her ohne sich zu einigen. Irgendwann, so spürt Felix, führen alle Spuren ins Theater. Martin tippt eher auf das Umfeld Dr. Leitners, aber er kann keine Verbindung seines Hauptverdächtigen Emanuel Prader zur Hilmteichklinik erkennen. Der entscheidende Mangel bei all ihren Überlegungen: Es fehlt das Motiv. Als dann auch bei Alma Zopott eine Schachtel mit vergifteten Pralinen abgegeben wird und sie ebenfalls eine Atropin-Vergiftung erleidet, ist Martin sicher: Drei Frauen, die sich zur gleichen Zeit in der Schönheitsklinik aufhielten, werden ermordet, oder doch fast, da muss es einen Zusammenhang geben.

An dieser entscheidenden Stelle treten die Autorinnen dann gehörig auf die Bremse. Martin nimmt sich eine Auszeit in der „Toskana der Steiermark“. Nachdem sich der Ausflug mit Lily zerschlagen hat und ihre Beziehung definitiv beendet ist, findet sich schnell Ersatz: Gigi Achenbacher will zufällig nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen, die dort ein kleines Weingut besitzen. Da liegt es nahe, dass die beiden ein gemeinsames Wochenende verbringen und sich natürlich ein neues Verhältnis anbahnt. Aber die kurze Auszeit, bei der Martin eigentlich nur abschalten wollte, bringt ihm unverhofft auch einen wichtigen Hinweis, der den stockenden Ermittlungen wieder neue Dynamik verleiht und zudem in eine gänzlich unerwartete Richtung lenkt. Und endlich ist sich das Ermittlerduo einig und entwickelt gemeinsam eine schlüssige Rekonstruktion der wahrscheinlichen Tathergänge, wobei sie mit ihren Vermutungen (fast) richtig liegen. Was folgt, ist ein Geständnis und dann doch noch eine unerwartete Wendung und Pointe, eine Auflösung, die etwas locker gestrickt ist, aber immerhin glaubwürdig. Durch einen glücklichen Zufall stößt Martin schließlich auf die lange gesuchte Verbindung zur Schönheitsklinik. Nicht der einzige etwas weit her geholte Zusammenhang, nur ein weiterer eher unwahrscheinliche Zufall, der nicht nur die Ermittler überrascht, sondern auch den Leser etwas ratlos zurücklässt.

Glück in der Steiermark endet angesichts der vorhergehenden tragischen Ereignisse ein wenig zu harmonisch, entlässt den Leser aber mit einem guten Gefühl und der Frage, in welchem Bundesland und in den Armen welcher Frau Martin bei seinem nächsten Abenteuer landet.

 

Rezension und Foto von Kurt Schäfer.

Glück in der Steiermark | Erschienen am 7. Februar 2019 im Verlag ars vivendi
ISBN 978-3-86913-997-5
250 Seiten | 14.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

Ellen Sandberg | Der Verrat (mit Verlosung)

„In Nane brach etwas zusammen. Für einen Moment glaubte sie, ihr Herz habe keine Kraft weiterzuschlagen. Im nächsten Augenblick explodierte sie. Sie sprang auf und schrie: „Dieses verdammte Miststück! Nichts gönnt sie mir! Alles muss sie mir nehmen!“ Sie brüllte ihre Wut über diesen doppelten Verrat heraus, und Birgit gelang es erst, Nane zu beruhigen, als die Nachbarn klingelten und fragten, ob alles in Ordnung sei.“ (Auszug Seite 323)

Nane saß zwanzig Jahre im Gefängnis, weil sie durch Manipulation am Auto ihrer Schwester Pia den Tod von Henning, dem Sohn von Pias Mann Thomas, herbeigeführt hat. Nun ist ihre restliche Strafe auf Bewährung ausgesetzt und sie kann sich ein neues Leben aufbauen. Aber auch nach so langer Zeit lässt ihr der Unfallabend keine Ruhe: Sie ist sich ganz sicher, dass sie nach Ablassen der Bremsflüssigkeit Thomas angerufen und ihn gewarnt hat. Warum hat er vor Gericht etwas anderes ausgesagt? Sie muss unbedingt nochmal mit ihm reden… So und durch andere Begebenheiten wird nach und nach der Tathergang noch einmal aufgedröselt und ein ganzes Familienschicksal erzählt.

Familiengeschichte mit Geheimnissen

Der Verrat von Ellen Sandberg ist der zweite Spannungsroman der Autorin. Es ist am ehesten eine Familiengeschichte mit Geheimnissen, in der sich die Prophezeiung der Mutter der drei Schwestern Nane, Birgit und Pia bewahrheitet: Denn schon seit Generationen stürzen sich Frauen der Familie durch Liebe und Leidenschaftlich unweigerlich ins Verderben.

Komplexe Verhältnisse innerhalb der Familie

Im Kern des Buches geht es um den Unfall von Henning, der durch die Manipulation am Auto von Nane verunfallt und dabei ums Leben gekommen ist. Die Geschichte wird abwechselnd in zwei Zeitebenen erzählt, vor zwanzig Jahren und heute. Dabei kommen viele handelnde Personen zu Wort, wobei in der ersten Hälfte erst mal ausführlich alle Familien- und Personenverhältnisse erläutert werden. Das stellt sich als relativ komplex dar und es werden viele Namen genannt, aber ich habe den Überblick nicht verloren. Außerdem verschwimmen die Zeitebenen etwas, da die Personen von heute sich auch an die Vergangenheit erinnern. Hier bin ich dann schon einige Male ins Straucheln geraten, das hat meinen Lesefluss aber nur sehr kurz beeinträchtigt.

Unaufgeregtes Lesevergnügen

In der zweiten Hälfte wird es dann so richtig interessant, denn immer wieder werden Andeutungen gestreut, dass es außer dem Warn-Anruf noch weitere Ungereimtheiten und Geheimnisse zu diesem Unglücksabend gibt. Insgesamt hat sich die Geschichte für mich unaufgeregt, aber stetig interessant gelesen. Ich habe gern von der Familie gelesen und mich insgeheim gefreut, dass ich nicht selbst solche komplizierten Verhältnisse zu meiner eigenen habe. Meine Sympathien zu den handelnden Personen wechselte etwas, am ehesten kann ich mich aber mit Pia identifizieren, da sie sehr darauf bedacht ist, auch in der Liebe einen klaren Kopf zu behalten, um alles in geordneten Bahnen verlaufen zu lassen. Nane hingegen finde ich tatsächlich einfach durchgeknallt, wobei ich sie in einigen Passagen auch verstehen kann. Diese beiden Schwestern sind im Roman als Protagonisten anzusehen, auch wenn viele andere Personen zu Wort kommen. Das Ende konnte mich dann schon überraschen, haut mich aber nicht völlig von den Socken.

Fazit: Ein Familien-Spannungsroman ohne besondere Höhen oder Tiefen, der sich flüssig lesen lässt.

Ellen Sandberg ist das Pseudonym der Autorin Inge Löhnig. Sie wurde 1957 geboren, studierte Grafikdesign und arbeitete zunächst in verschiedenen Werbeagenturen. Das ursprüngliche Hobby Schreiben wurde nach und nach zum Hauptberuf. Die Autorin schreibt vor allem Ermittlerkrimis um den Protagonisten Konstantin Dühnfort, aber auch Jugendthriller und eben Spannungsromane.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Der Verrat | Erschienen am 27. Dezember 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10090-4
480 Seiten | 15.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Andreas Rezension zum ersten Spannungsroman der Autorin, Die Vergessenen.

 

Verlosung!

Wer sich nun selbst einen Leseeindruck verschaffen möchte, hat bei uns die Gelegenheit, den ersten Band Die Vergessenen zu gewinnen. Alles was ihr dafür tun müsst, ist uns bis zum 30. April 2019 einen Kommentar unter dieser Rezension zu hinterlassen, in dem ihr uns euren Lieblingshandlungsort für Krimis verratet, z. B. Skandinavien, Japan, Südstaaten etc.

Nach der Gewinnbenachrichtigung bitten wir den Gewinner, uns innerhalb einer Woche seine Postadresse an hallo-at-krimirezensionen.de mitzuteilen. Diese wird nicht gespeichert und nur für den Versand des Gewinnes verwendet. Der Versand erfolgt per Büchersendung ausschließlich an Postanschriften in Deutschland; dem Gewinner entstehen keine Kosten. Ein Versand an Packstationen ist leider nicht möglich.

Eine Barauszahlung des Gewinnes ist ausgeschlossen, ebenso wie der Rechtsweg.

Viel Glück wünscht euch das Kaliber.17-Team!

Volker Kutscher | Marlow

Volker Kutscher | Marlow

Geheimakten. Weiß Gott woher. Aber das spielte auch keine Rolle. Ebenso war es völlig unerheblich, dass Rath noch keinen zusammenhängenden Satz gelesen hatte und gar nicht wusste, worum es ging. Er hatte unbefugt geheimes Material geöffnet, das auf irgendeine Weise mit Hermann Göring zu tun hatte, seinem Dienstherrn, dem zweitmächtigsten Mann im Reich. (Auszug Seite 35)

Im Spätsommer 1935 wird Gereon Rath, inzwischen Oberkommissar, zu einem tödlichen Verkehrsunfall gerufen. Ein Taxi ist aus noch ungeklärten Gründen auf den Yorckbrücken frontal gegen eine Mauer gerast und beide Insassen, der Fahrer und der Passagier, sind auf der Stelle tot. Rath findet im Fond des Wagens einen Umschlag, den er spontan öffnet und erschrocken feststellt, dass es sich hier um geheime Nachforschungen des SS-Geheimdienstes den Reichsministers Hermann Göring betreffend, handelt. Er will die brisanten Akten schnell wieder los werden und schickt sie an die ursprüngliche Adresse in Nürnberg.

Hirntumore und Heiratsschwindler

Da kein Hinweis auf Fremdeinwirkung vorliegt, will Rath den Fall eigentlich schnell abschließen, denn seine Tage bei der Mordinspektion unter Kriminaldirektor Ernst Gennat, dem „Buddha“ sind gezählt. Die Arbeit macht ihm schon lange keinen Spaß mehr, seit er zuletzt nur noch mit belanglosen Fällen betraut wird und er ist daher froh, dass sein Versetzungsantrag zum Landeskriminalamt angenommen wurde. Andererseits kommen ihm einige Sachen sehr dubios vor. Bei dem toten Fahrgast handelt es sich um einen hochrangigen SS-Mann, der allerdings unter ganz anderem Namen von einer Dame als vermisst gemeldet wurde und die ist ausgerechnet die Sekretärin von Hermann Göring. Weiter stellt sich heraus, dass der Taxifahrer unter einem aggressiven Hirntumor litt, was eine Erklärung für den Unfall wäre.

Hier kommt Raths alter Vorgesetzter, der ehemalige Kommissar Wilhelm Böhm, der nun gemeinsam mit Charlotte Rath eine Detektei betreibt, in Spiel. Ihn erinnert das an einen Fall aus der Vergangenheit und der hängt mit dem Tod von Charlys Vater vor einigen Jahren zusammen. Als Rath begreift, dass seine Ehefrau in Gefahr ist, und auch, dass sein ewiger Widersacher, der Gangsterboss Johann Marlow irgendwie in die Sache verstrickt ist, macht er sich auf den Weg nach Nürnberg. Offiziell um seinen Ziehsohn Fritz zu besuchen, der mit der HJ zum Nürnberger Reichsparteitag marschiert ist. Der Junge hatte sich in den letzten Monaten durch seine Bewunderung für die Nazis immer mehr von seinen Pflegeeltern entfernt. Und zu allem Überfluss geraten diese wegen mangelnder Parteitreue ins Visier des Jugendamtes.

Eine andere Geschichte

Doch eigentlich geht es in dem siebten Teil der Gereon-Rath-Reihe um den ehemaligen Berliner Unterweltkönig Johann Marlow. Im neuen Deutschland zählt nur noch Macht und nicht mehr der Rechtsstaat. Also trägt Dr. M jetzt SS-Uniform statt Smoking und will mit Hilfe einflussreicher Freunde in den höchsten Regierungskreisen aus seinen kriminellen Geschäften aussteigen. Im Wechsel mit dem aktuellen Ermittlungsfall wird in Rückblenden „eine andere Geschichte“ erzählt. Diese beschreibt einen Zeitraum von 1918 bis 1926 und wir erfahren von Marlows Jugend in der kaiserlichen Kolonie Tsingtau, wie der Sohn eines rassistischen Vaters als Sanitätsunteroffizier im Ersten Weltkrieg diente, erfahren von der dramatischen Liebesgeschichte mit einer Chinesin und ihrem Sohn Liang Kuen-Yao, der später seine rechte Hand und Chauffeur wird.

Gewohnt komplex mit mehreren parallel laufenden Handlungssträngen sowie Rückblenden in die Vergangenheit und wie immer akkurat recherchiert lässt dieser Band den grauen Alltag im dritten Reich auf beklemmende Weise nachempfinden. Fast beiläufig erfährt man von den sogenannten Stürmerkästen, ein antisemitisches Hetzblatt, dass in öffentlichen Schaukästen ausgestellt wurde. Es gibt bedrohliche Szenen, wenn unser Held vor die SS zitiert wird.
Aber Rath ist auch ein fragwürdiger Held, was besonders in diesem Band deutlich wird. Ein widersprüchlicher Mensch mit manchen Irrtümern, der nicht immer den politischen Durchblick behält. Aber grade dadurch ist er für mich eine absolut realistische, authentische Figur. Er verstrickt sich immer wieder in neue Lügen und ist über sich selbst entsetzt, als er auf dem Parteitag in Nürnberg von den Massen mitgerissen wird. Am Beispiel des eher unpolitischen Gereon Rath spürt man die Gefahr, zum Mitläufer zu werden.

Er, Gereon Rath, der in Berlin den Deutschen Gruß verweigerte und verschlampte, wo immer das nur möglich war, stand hier in Nürnberg am Straßenrand und riss, getragen von der Masse und ihrem Rhythmus, in einem fort den rechten Arm hoch. (Seite 280)

Babylon Berlin

Marlow ist der erste Band nach dem Erscheinen von Babylon Berlin, mit fast 40 Millionen Euro die teuerste deutsche Fernsehserie aller Zeiten, mit namhaften Schauspielern und dem Hollywood erfahrenen Tom Tykwer. Drei Drehbuchautoren hatten den ersten Band der Gereon-Rath-Reihe Der nasse Fisch zu 16 Folgen in zwei Staffeln verwandelt. Und egal, wie einem die Serie gefallen hat – und die Meinungen gehen hier weit auseinander: Für die einen ist es ein bildgewaltiges Meisterwerk, für die anderen zu steril und zu komplex – von Volkers Kutschers Original-Story ist hier nicht viel übrig geblieben. Der Autor sagt dazu, dass er seine Figuren loslassen und vertrauen musste, denn Tykwer sprühte vor Ideen und er wollte dessen Kreativität nicht zügeln. Es war ihm klar, dass mit Bildern zu erzählen etwas anderes ist, als mit Worten. Wichtig war ihm nur, dass der Grundgedanke seiner Kriminalreihe erhalten bliebe.

In dem illustrierten Prequel der Serie Moabit wird die Vorgeschichte von Charlotte Ritter und dem Tod ihres geliebten Vaters erzählt und im Gegensatz zur Fernsehserie wird Charlotte hier mit einer ganz anderen Biografie ausgestattet. Jetzt im siebten Band Marlow bleibt Volker Kutscher bei seiner Storyline und führt diese Geschichte weiter bis zur spannenden Auflösung.

Mir haben bisher alle Bände der Reihe sehr gut gefallen, aber Marlow ist unglaublich dicht erzählt und eindeutig ein Höhepunkt!

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Marlow | Erschienen am 30. Oktober 2018 bei Piper
ISBN 978-3-492-05594-9
528 Seiten | 24.- Euro
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, LunaparkGoldstein,Die Akte Vaterland sowie Märzgefallene.

Volker Kutscher | Märzgefallene ♬

Volker Kutscher | Märzgefallene ♬

Im März 1933 nutzt der Berliner Kriminalkommissar Gereon Rath ein paar freie Tage und stürzt sich mit falscher Gumminase, schwarzer Brille und Schnurrbart in den Kölner Karnevalstrubel. Der Ex-Rheinländer muss seinen Kurzurlaub jedoch abbrechen, als in Berlin der Reichtstag brennt und alle verfügbaren Mitglieder der Polizei bei der Politischen eingesetzt werden. Der frisch zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler nutzt den Reichstagsbrand, um politische Gegner auszuschalten, besonders die Anhänger der kommunistischen Partei.

Obdachlose und minderjährige Brandstifter

In Berlin hat sich Raths ungeliebter Vorgesetzter Oberkommissar Wilhelm Böhm ins politische Abseits manövriert und so erbt Rath den Fall eines am Nollendorfplatz ermordeten Obdachlosen. Dieser wurde mit einem Grabendolch erstochenen. Der Wehrpass in seinem Mantel weist den im Gesicht schlimm entstellten Toten als Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs aus. Eine Spur führt zu einer jungen Brandstifterin. Charly Ritter befragt Hanna Singer, die in einem Irrenhaus untergebracht ist, bekommt aber aus dem sechzehnjährigen verstörten Mädchen nichts heraus. Am nächsten Tag bricht Hanna aus der Anstalt aus.

Operation Alberich

Es meldet sich ein Zeuge, der angibt mit dem Ermordeten im Krieg gekämpft zu haben. Leutnant a.D. Achim Graf von Roddeck hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, das kurz vor der Veröffentlichung steht. In seinem Roman „Märzgefallene“ geht es um die schrecklichen Ereignisse während der letzten Kriegstage des ersten Weltkrieges. Im Besonderen um die unrühmlichen Taten der abziehenden Wehrmacht in Frankreich sowie um die schändlichen Verbrechendes des jüdischen Hauptmannes Benjamin Engel.

Viele markante Ereignisse hat Volker Kutscher in die Handlung eingebaut, die diese Zeit prägten, wie den Reichstagsbrand, die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler oder die Bücherverbrennung im nationalsozialistischen Deutschland. Der Autor versteht es wieder hervorragend, die politische und gesellschaftliche Realität jener Jahre mit der fiktiven Geschichte in Einklang zu bringen. Langsam aber sicher beeinflusst das NS-System das Alltagsleben. Die detailgenaue und authentische Gestaltung des zeitgenössischen Hintergrundes macht einen großen Reiz dieses spannenden Kriminalromans aus.

Rath bewegt sich in diesem fünften Kriminalroman wieder am Rande der Legalität und darüber hinaus. Er lässt Leichen verschwinden, vertuscht Morde, belügt Vorgesetzte und Verlobte, nimmt die Hilfe von Unterweltbossen an und wacht am Karnevalsmorgen mit einer fremden Frau im Bett auf. Er ist eine eigensinnige Figur, dem Gerechtigkeit oft wichtiger ist als Recht. Volker Kutscher hat hier eine Person mit Grautönen geschaffen. Rath ist intelligent genug, die Ereignisse um ihn herum wahrzunehmen. Aber er ist auch ein bisschen bequem und redet sich ein, so schlimm wird es schon nicht werden.

David Nathan ist ein deutscher Hörbuch- und Hörspielsprecher und für mich einer der Besten seines Fachs, besonders bei den Interpretationen in den Genres Thriller- und Horrorliteratur. Nathan hat auch viele Romane des amerikanischen Schriftstellers Stephen King eingelesen. Er lebt in Berlin und ist die deutsche Stimme von u.a. Johnny Depp und Christian Bale. Ich habe bei Nathan nie das Gefühl, das mir jemand etwas vorliest, sondern ich bin immer mitten in der jeweiligen Geschichte drin.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Märzgefallene | Das Hörbuch erschien am 27. September 2018 im Argon Verlag
ISBN 978-3-8398-9397-5
1 mp3-CD | 10.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesefassung: 9 Stunden 41 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, LunaparkGoldstein und Die Akte Vaterland.

Volker Kutscher | Die Akte Vaterland ♬

Volker Kutscher | Die Akte Vaterland ♬

Schnapsbrennerei und indianisches Pfeilgift

Der vierte Teil der Gereon-Rath-Reihe führt uns in den Sommer von 1932. Im Lastenaufzug von Haus Vaterland, einer riesigen Vergnügungsstätte am Potsdamer Platz in Berlin, wird ein Spirituosenhändler tot aufgefunden. Alle Ermittlungen deuten darauf hin, dass er ertrunken ist. Zwei weitere ähnlich gelagerte Todesfälle ergeben, dass die Opfer durch ein indianisches Pfeilgift gelähmt wurden. Kommissar Gereon Rath ist frustriert, denn seine Ermittlungen gegen einen mysteriösen Auftragsmörder, genannt „Phantom“ treten auf der Stelle und er muss die Ermittlungen abgeben. Charlotte Ritter kommt von einem Studienjahr aus Paris zurück und fängt als Kommissaranwärterin bei der Weiblichen Kriminalpolizei am Alex an. Sie wird ausgerechnet Gereons Mordkommission zugeteilt und endlich machen die beiden durch eine Verlobung ihre Beziehung öffentlich. Charly wird undercover als Küchenhilfe in Haus Vaterland eingeschleust und nicht nur hier ist sie mehrfach frauenfeindlichen Übergriffen ausgesetzt.

Die Spur führt nach Ostpreußen

Da alle Spuren in eine Spirituosenbrennerei nach Ostpreußen führen, macht sich Rath in die masurische Kleinstadt Treuburg auf. Die wortkargen Einwohner erweisen sich als nicht besonders auskunftsfreudig und sind Fremden gegenüber erst mal misstrauisch. Einige Bewohner versuchen sogar, den Kommissar bewusst ins Moor zu leiten und hoffen, dass er nie wieder auftaucht. Der Reiz entsteht hier durch den absoluten Gegensatz zwischen der pulsierenden, aufgeklärten Weltstadt Berlin und dem vermeintlich idyllischen Treuburg. Mittels Volksabstimmung war Masuren grade wieder deutsch geworden und der Hass auf alles was polnisch oder katholisch ist, immer noch spürbar.

Ich kann die vielschichtige Handlung hier nur anreißen. Volker Kutscher nimmt sich viel Zeit und entwickelt langsam und ruhig seinen Plot mit mehreren miteinander verwobenen Fällen. Der Autor schafft es wieder, Zeitgeschichte in einen unterhaltsamen Kriminalroman zu transportieren ohne die Spannungskurve zu vernachlässigen. Kutscher glänzt nicht mit temporeichen atemlosen Thrill, sondern mit ausgefeilter Dramaturgie. Seinen immensen Einfallsreichtum kann ich nur wieder bewundern. Es geht um organisierte Schnapsbrennerei und ein in den Wäldern lebenden Ostpreußen. Vom Staatsputsch im Juli 1932 gegen die demokratische Regierung bekommt der Berliner Kommissar aufgrund seiner Ermittlungen in der Wildnis von Masuren gar nichts mit. Dabei gerät Rath dadurch ganz schön in Bedrängnis, da auch die Spitze der Berliner Polizei ausgetauscht wird und er damit den Schutz des Polizeivizepräsidenten verliert. Nach wie vor haben die Menschen keine Ahnung vom bevorstehenden Untergang und der politisch eher uninteressierte Gereon Rath, beispielhaft für einen Teil der Bevölkerung, verabscheut zwar die Nazis, versucht sich aber mit den Gegebenheiten zu arrangieren.

David Nathan ist der perfekte Interpret für diese Zeitreise in eine ganz andere Welt. Er benötigt nur wenige Minuten und man kann sich dem Kopfkino nicht mehr entziehen. Bei dem Hörbuch handelt es sich um eine gekürzte Version.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die Akte Vaterland | Das Hörbuch erschien am 26. September 2018 im Argon Verlag
ISBN 978-3-8398-9394-4
1 mp3-CD | 10.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesefassung: 7 Stunden 21 Minuten
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Volker Kutscher.

Auch bei uns: Rezensionen zu Volker Kutschers Romanen Der nasse Fisch, Der stumme Tod, Lunapark und Goldstein.